Am 8. Februar 2019 erlebt der brasilianische Traditionsklub Flamengo die schlimmste Tragödie seiner Vereinsgeschichte. Nicht einmal ein Jahr später folgt der größte Triumph.
Einmal, als ihm im Derby gegen Vasco die seltene Ehre eines erfolgreiches Torschusses zuteil wurde, zelebrierte er seinen Jubel mit rudernden Armen und kreisenden Hüften exakt, so wie es Vascos Klublegende Edmundo Ende der Neunziger nach einem berühmten Tor gegen Flamengo gemacht hat. Das Maracana tobte, und Rafinha merkte später an, er habe nur den großen Edmundo preisen wollen: „Ich war bei seinem Tor zwölf Jahre alt und fand ihn einfach cool.“ Ein anderes Mal, es ging gegen den FC Sao Paulo, gab er auf der Ersatzbank den Capo. Den Einpeitscher unten am Rasen. Rafinha funktionierte seine Schienbeinschoner zu Trommelstöcken um, er wippte erst sitzend mit dem Oberkörper im Takt, sprang dann auf und sang laut die Klubhymne von den heldenhaften Kämpfern, den Champions zu Land und zur See: Flamengo, Flamengo /Tua gloria e lutar / Flamengo, Flamengo /Campeao de terra e mar. Das Video vom trommelnden, wippenden, singenden Rafinha ging in Brasilien viral und ist bis heute ein Renner auf Youtube.
Flamengo steht für das schöne, das liebenswerte, das rassenübergreifende Brasilien. Seine Fans kommen aus dem ganzen Land und, wichtiger noch, auch aus ganz Rio. Aus dem Finanzdistrikt im Zentrum, den Stränden von Copacabana und Ipanema und den Favelas auf den Hügeln mittendrin. Wie zu Zicos Zeiten ist der Klub Brasilien und Brasilien Flamengo. Die Flamenguistas sind schwarz und weiß und braun und scheren sich nicht darum. Als vor ein paar Jahren der damalige US-Präsident Barack Obama nach Rio kam, schaute er wie selbstverständlich auch kurz bei Flamengo vorbei. Er wollte gerade wieder in seinen Hubschrauber steigen, da trat die Klubpräsidentin nach vorn, schlüpfte aus einem über die offizielle Garderobe gestreiften Flamengo-Trikot und drückte es dem verblüfften Obama in die Hand: „Für Sie, Mr. President! Sie sind jetzt der neueste Flamengo-Zugang!“
Mag sein, dass Flamengo für Rafinha am Anfang ein Abenteuer war, ein Zugeständnis an die drei Kinder und seine Frau, die sich nach 14 Jahren in Europa nach der Heimat sehnten. Und wer hätte schon gedacht, dass sich alles so perfekt fügt? Nach dem Abschied aus München war keine Zeit für einen Urlaub, denn in Brasilien wird fast immer gespielt. Beginnend mit den Staatsmeisterschaften, an die sich nahtlos das Campeonato Brasileiro anschließt, und zwischendurch ist da noch die Copa Libertadores. „In Deutschland stöhnen sie über 50 Spiele im Jahr“, sagt Rafinha. „In Brasilien kommst du locker auf 80.“
Gleich am Anfang verwandelte er im Copa-Achtelfinale den entscheidenden Elfmeter gegen die ecuadorianischen Sportskameraden von CS Emelec. Und wurde auf dem Weg ins Endspiel dann beinahe noch gestoppt. Als er mit einem Stürmer von Atletico Paranaense zusammenrasselte und einen doppelten Jochbeinbruch davontrug. Rafinha war verzweifelt. Auch wegen der Schwere der Verletzung, vor allem aber, weil es nur noch zwei Wochen waren bis zum Halbfinale. Da eilten David Luiz und Petr Cech ihm zu Hilfe. Luiz, der brasilianische Verteidiger vom FC Arsenal, erzählte Rafinha die Geschichte vom Ex-Mitspieler Petr Cech, der seine Karriere nach einem Schädelbasisbruch mit einem speziell für ihn zugeschnittenen Rugbyhelm fortgesetzt hatte. Hilft nicht bei der Heilung, hält aber den Knochen stabil, wenn sich vielleicht doch ein Ellenbogen in Richtung Kopf verirrt. Rafinha konsultierte den Klubarzt, ließ nach der Operation seinen Schädel vermessen und übermittelte die Daten nach London. David Luiz gab auf Cechs Vermittlung eine Sonderanfertigung in Auftrag und kümmerte sich um die Logistik. Zwei Wochen später stand Rafinha wieder auf dem Platz, gewann mit Flamengo das Halbfinale und schwor Luiz ewige Dankbarkeit.
„Wir haben gezeigt, dass wir wieder mit den besten Teams der Welt mithalten können“
Der Rest war die Kür. Die Reise nach Lima und das Finale gegen River Plate, in dem Flamengo lange Zeit 0:1 zurücklag und durch zwei superspäte Tore von „Gabigol“ doch noch die Wende schaffte.
Die schleichende Triumphfahrt mit dem Partybus durch Rio de Janeiro samt nebenbei gewonnener Meisterschaft. Dass es bei der Klub-WM in Doha nur zu Platz zwei reichte, erst in der Verlängerung denkbar knapp geschlagen vom FC Liverpool – sei’s drum. „Wir haben gezeigt, dass wir mit den Besten der Welt mithalten können“, sagt Rafinha. Und irgendeinen Anreiz müsse ja auch die neue Saison bieten, sie hat schon wieder begonnen, Mitte Januar mit dem Campeonato Carioca. Brasilien ist, wo immer Fußball gespielt wird.