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Im Sommer 2015 beschloss Steven Ger­rard, den FC Liver­pool zu ver­lassen und seine Kar­riere in den USA aus­klingen zu lassen. Nach ins­ge­samt 26 Jahren im Verein und über 500 Pflicht­spielen.

Sport­lich schien der Abgang des Spie­lers Ger­rard sogar noch ver­schmerzbar. Die unver­wech­sel­baren Stirn­falten des Eng­län­ders waren tiefer geworden, die Beine lang­samer. Die paten­tierten dyna­mi­schen Mär­sche über die Plätze der Pre­mier League hatten mit 34 Jahren ihre Wir­kung ver­loren. Der Abgang des Lea­ders Ger­rard hin­gegen, der mit seiner regel­recht mili­tä­ri­schen Hal­tung als Kapitän stets bei­spiel­haft vor­an­ging, hin­ter­ließ eine mas­sive Lücke an der Anfield Road.

Jeder würde es schwer haben, in die iko­ni­schen Fuß­stapfen der Ver­eins­le­gende zu treten. Erst recht ein unschein­barer Typ wie Jordan Hen­derson.

Ein ziem­lich lang­wei­liger Typ

Anders als Ger­rard, war Hen­derson in Liver­pool von Anfang an umstritten. Nur ein Jahr nach seiner 18 Mil­lionen Euro teuren Ankunft aus Sun­der­land im Sommer 2011, hätte ihn sein dama­liger Trainer Brendan Rod­gers sogar bei­nahe wieder ver­scher­belt. Doch der damals 21-Jäh­rige mit der gegelten Kurz­haar­frisur und dem Drei­ta­ge­bart wollte sich durch­beißen. Hen­derson kämpfte sich in die Mann­schaft zurück, wurde zu einer unspek­ta­ku­lären Kon­stante im Mit­tel­feld.

Diese unschein­bare Art war auch der Grund, wieso viele Fans an der Anfield Road von seiner Beför­de­rung zum Kapitän nicht gerade begeis­tert waren. Hen­derson, der sich selbst als ziem­lich lang­weilig“ beschreibt, war einer, der seinen Stiefel zuver­lässig her­un­ter­spielte, ohne große Fehler zwar, aber eben auch ohne Wun­der­dinge. Er war jedoch kein Steven Ger­rard, kein Liver­pooler Junge, der bereits von Tag eins die Fans mit­riss, weil er einer von ihnen war und schon gar nicht einer für die magi­schen Momente auf dem Platz.

Er wird seine eigene Person sein, mit seinem eigenen Füh­rungs­stil sowie seinen eigenen Ideen und Methoden“, sah sich Rod­gers bei der Ernen­nung Hen­der­sons zum Kapitän daher fast gezwungen, jeg­liche Ver­gleiche zu dem Mann, der zwölf Jahre die Binde trug, im Keim zu ersti­cken.

Immer wieder ver­letzt

Das erste Jahr nach Ger­rard war sowohl für den Klub als auch für Hen­derson ein schweres. Eine Fer­sen­ver­let­zung und ein Mit­tel­fuß­bruch ließen den frisch geba­ckenen Spiel­führer nicht in den Rhythmus finden. Und auch seine Mann­schaft fand nicht in die Saison, sodass Rod­gers nach nur drei Siegen aus den ersten acht Spielen am 4. Oktober 2015 ent­lassen und durch Jürgen Klopp ersetzt wurde.

Wäh­rend sich die Magie des deut­schen Erfolgs­trai­ners in Liver­pool all­mäh­lich ent­fal­tete, warf Hen­derson ein Bän­der­riss im Knie erneut aus der Bahn. Er been­dete die Saison 2015/2016 mit nur 26 von 63 mög­li­chen Ein­sätzen.

Ich hin­ter­fragte meinen Bei­trag als Kapitän“

Jordan Henderson

Zweifel machten sich breit, an seiner Physis, aber auch an seinem Status als Spiel­führer. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich das Kapi­tänsamt nicht wollte“, blickte Hen­derson im Sommer 2016 in einem Gespräch mit dem Guar­dian auf die Vor­saison zurück, aber es gab Zeiten, in denen ich sehr down war, weil ich nicht spielte. Ich hin­ter­fragte meinen Bei­trag als Kapitän.“

Dieser Status geriet zuneh­mend in Gefahr. Auch in den fol­genden zwei Spiel­zeiten brachte es Hen­derson wegen klei­neren Ver­let­zungen nie auf mehr als 27 Spiele. Schlimmer noch, trotz großer Lauf­be­reit­schaft wusste er im defen­siven Mit­tel­feld nicht wirk­lich zu über­zeugen. Hen­derson wirkte hüft­steif und tat sich schwer, Akzente nach vorne zu setzen.

Auch wenn er es nicht offen gestehen würde, selbst Klopp schien Zweifel zu haben. Im Sommer 2018 ver­pflich­tete er mit Naby Keita und Fab­inho für ins­ge­samt 105 Mil­lionen Euro gleich zwei Spieler für das zen­trale Mit­tel­feld.

Der schlak­sige und kahl­köp­fige Fab­inho war es auch, der sich nach schwie­riger Ein­ge­wöh­nungs­zeit zum Jah­res­wechsel 2018/2019 fest als Sechser eta­blierte. Hen­der­sons Tage in der Schalt­zen­trale Liver­pools schienen gezählt.

Doch wieder kämpfte sich Hen­derson zurück. Nachdem der Rechtsfuß bei der eng­li­schen Natio­nal­mann­schaft im März 2019 gegen Tsche­chien in offen­si­verer Rolle über­zeugte, ent­schied er sich kur­zer­hand, auch seinen Ver­eins­trainer auf einen Posi­ti­ons­wechsel anzu­spre­chen. Klopp gewährte ihm eine Chance und durfte im April mit ansehen, wie Hen­derson wäh­rend eines Kurz­auf­tritts gegen Sout­hampton auf der offen­si­veren Acht ein Tor erzielte und ein wei­teres vor­be­rei­tete. Wenige Tage später über­zeugte er dort im Vier­tel­final-Hin­spiel der Cham­pions League gegen Porto mit klugen Impulsen.

Der Trainer und ich haben uns unter­halten“, wurde Hen­derson nach dem 2:0‑Sieg gegen die Por­tu­giesen vom Liver­pool Echo zitiert. Er erklärte: Für mich als Kapitän und Spieler dieses Klubs stelle ich immer die Mann­schaft in den Vor­der­grund, ich mache, was immer der Trainer mir sagt. Aber in dem Gespräch, hatte ich das Gefühl, meine Mei­nung sagen zu können. Ich möchte so viel bei­tragen wie mög­lich und ich glaube, das kann besser ich auf einer offen­si­veren Posi­tion.“

Klopp blieb nichts anderes übrig, als ihm zuzu­stimmen. Mit einem breiten Grinsen, das seine weißen Zähne noch etwas mehr auf­blitzen ließ als sonst, sagte der Trainer auf der Pres­se­kon­fe­renz: Es ist meine Schuld, dass er ein­ein­halb Jahre auf der Sechs spielen musste, sorry dafür, aber wir brauchten ihn dort.“

Kein Spieler kre­iert mehr Tor­chancen

Wäh­rend ihm der dyna­mi­schere Fab­inho den Rücken frei­hielt, spielte sich Hen­derson mit neuem Selbst­be­wusst­sein auf der Acht fest. Sein Ein­fluss war vor allem wäh­rend des unfass­baren Laufs in der Cham­pions League 2018/2019 zu spüren.

Ab jenem Vier­tel­final-Hin­spiel gegen Porto, über das sen­sa­tio­nelle Halb­final-Rück­spiel gegen Bar­ce­lona (4:0), bis ins Finale gegen Tot­tenham (2:0), lei­tete kein Spieler des FC Liver­pool annä­hernd so viele Chancen ein wie Hen­derson (11, gefolgt von Alex­ander-Arnold mit 7). Es waren seine offen­siven Akzente, seine wohl über­legten Zuspiele auf Mohamed Salah und Co., die einen enormen Anteil daran hatten, dass die Reds den sechsten Hen­kel­pott ihrer Ver­eins­ge­schichte gewannen.

Wenige Momente, nachdem er die Tro­phäe in den Madrider Nacht­himmel streckte, war Hen­derson sicht­lich befreit von der Last und den Zwei­feln der letzten Jahre. Mit gla­sigen Augen und zitt­riger Stimme erklärte er gegen­über BT-Sport: Ich hatte schwere Zeiten wäh­rend meiner Kar­riere, aber ich habe weiter gemacht, genau wie die Mann­schaft weiter gemacht hat, und dann hast du solche Momente. Das ist, warum du es tust.“

Das Bin­de­glied der Mann­schaft

2019/2020 ging die Jagd nach den nächsten beson­deren Momenten für Hen­derson und den FC Liver­pool weiter. Die Klub-Welt­meis­ter­schaft, die erste der Ver­eins­ge­schichte, wurde bereits im Winter ein­ge­tütet. Im Sommer folgte der erste Meis­ter­titel seit 30 Jahren.

In dieser spek­ta­ku­lären Saison, in der die Reds bis zum 28. Spieltag unge­schlagen blieben und nur sechs von bisher 37 Spielen nicht gewonnen haben, sind es natür­lich auch die spek­ta­ku­lären Spieler, die die Schlag­zeilen erobern. Die schier unüber­wind­bare Prä­senz von Abwehr­ko­loss Virgil Van Dijk, die Genia­lität von Mohamed Salah, die unbän­dige Dynamik von Sadio Mané, die Raf­fi­nesse von Roberto Fir­mino und mit Andrew Robertson sowie Trent Alex­ander-Arnold das tor­hung­rigste Außen­ver­tei­diger-Duo, das Fuß­ball­eu­ropa wohl je gesehen hat.

Doch es war der unauf­fäl­lige Cap­tain, der dieses Star­ensemble bis zu seiner Ver­let­zung im Sai­son­end­spurt in dieser Per­fek­tion zum Kli­cken brachte. Mit den zweit­meisten Pässen aller Mit­tel­feld­spieler der Pre­miere League war Hen­derson bis zu seinem Aus das Bin­de­glied der Mann­schaft. Er weiß, wann er das Spiel schnell machen muss oder wann es einen seiner einst ver­schrienen Quer­pässe benö­tigt, um das Geschehen zu beru­higen.

Er ist fan­tas­tisch, auf und abseits des Platzes“

Virgil van Dijk über Jordan Henderson

Mitt­ler­weile ist Hen­derson aus der Mann­schaft nicht mehr weg zu denken. Er hat seine feste Rolle und kann im Fall der Fälle noch viele wei­tere bekleiden. In der lau­fenden Saison spielte er auf der Acht, dem Flügel und über­zeugte sogar wieder als Sechser, Außen­ver­tei­diger sowie Innen­ver­tei­diger.

Er ist unser Kapitän“, sagte Van Dijk im Dezember gegen­über Goal, das ist, was wir alle respek­tieren. Er spielt eine fan­tas­ti­sche Saison. Ob er für Fab­inho spielt oder im rechten Mit­tel­feld, wo er Assists gibt. Als Innen­ver­tei­diger war er über­ra­gend. Er ist fan­tas­tisch, auf und abseits des Platzes.“

Wenige Wochen später, nach dem 2:0‑Heimerfolg gegen Shef­field United, brachte es Jürgen Klopp auf den Punkt: Wenn jemand die Qua­lität Jordan Hen­der­sons nicht sieht, dann kann ich ihm nicht helfen. Ist Hendo der per­fekte Fuß­baller? Nein. Kenn ich jemanden, der das ist? Nein. Ist er unglaub­lich wichtig für uns ja? Ja.“

Jordan Hen­derson wird nie­mals Steven Ger­rard sein, aber das muss er auch nicht. Er muss Jordan Hen­derson sein. Und als Kapitän des amtie­renden Cham­pions-League-Sie­gers, Klub-Welt­meis­ters und des eng­li­schen Meis­ters, scheint es genau das zu sein, was der FC Liver­pool benö­tigt. Zumin­dest die Jour­na­listen der Foot­balls Wri­ters‘ Asso­cia­tion haben das nun hono­riert. Und Jordan Hen­derson zum Fuß­baller des Jahres gewählt.