Kicken konnte unser Autor nie. Also hat er Nachhilfeunterricht in Ingo Anderbrügges Fußballschule genommen.
Lukas macht eine Ansage und klingt schon nicht mehr so sanft wie beim Kennenlernen. Kalt rattert er einen Katalog von Regeln herunter. Niemand kommt zu spät, niemand widersetzt sich den Anweisungen. Daran erinnere ich mich noch beim Warm-up. Tippeln, über den Ball hüpfen, Knie an die Brust, bereits nach zehn Minuten habe ich das Gefühl, dem Erbrechen nah zu sein. Ob es ihm auch so geht, frage ich mein Nebenkind. „Ne, war doch alles entspannt“, sagt er. „Aber du siehst auch ganz schön unsportlich aus.“ Mein Körper scheint für ihn ein offenes Buch zu sein, das von Pizza, Bier und Zigaretten handelt.
Bei der ersten Übung sollen wir in Paaren die simpelsten Tricks lernen. Übersteiger, abkappen, den Ball mit der Sohle zurückziehen. Mein Trainer „Debo“, der eigentlich Christoph heißt, teilt mich Leith zu. Drei Mal muss ich nachfragen, wie sein Name richtig ausgesprochen wird. „Wie die Chips“, sagt er irgendwann. Also Lays, kapiert. Leith ist elf, Stürmer und Rechtsfuß. „Aber heute gelingt mir irgendwie mit links mehr“, sagt er. Ich bin beeindruckt, dass er so was ausmachen kann. Ich würde mich schon über einen Fuß freuen, mit dem was geht. Dann sagt Leith, dass er BVB-Fan ist und eigentlich nicht mit mir reden darf, weil ich Schalker sei.
Wissen die Kinder überhaupt noch, wer Ingo Anderbrügge ist?
Zwei Einheiten später erkundige ich mich, wo eigentlich Ingo Anderbrügge ist. Lukas erklärt, es würden noch vier weitere Camps gleichzeitig laufen und Ingo könne ja nicht überall sein. Sein Name anscheinend schon. Aber wissen die Kinder überhaupt noch, wer Ingo Anderbrügge ist? Mein Tisch beim Mittagessen zuckt kollektiv mit den Schultern, die Gesichter bleiben schweigend auf das Schnitzel gerichtet, das anscheinend interessanter ist als ein Eurofighter. Nur Nico-Kevin antwortet mir: „Klar. Mein Vater schaut sich jeden Tag Videos von dem auf Youtube an.“ Aha.
Der nächste Morgen beginnt mit einer Schmerztablette, mein Körper will schon nicht mehr. Gestern standen eigentlich „nur lockere Übungen an“, hatte mir Debo versichert. Meine Oberschenkel bezweifeln das, jeder Schritt ist eine kleine Qual. Ich verzichte sogar auf die morgendliche Zigarette und mache mich auf zur zweiten Episode meiner Tortur.
Zur Strafe zehn Liegestütze
Die Kinder haben sich schon vor Beginn des Trainings verabredet und spielen Fangen quer übers Feld. Wie weit weg man mit zehn Jahren noch vom großen Kummer ist, denke ich. Wie gerne würde ich mir meine Laune nur von einer schlechten Mathe-Note verhageln lassen. Dann ertönt Musik, die das Zeichen fürs Sammeln ist: „Fire“ von Scooter. Schlagartig sprinten alle wie aufgedreht zum Pavillon und nehmen Aufstellung in Reih und Glied. Wie gern ich Scooter noch gut finden würde, denke ich. Ich bin der Letzte und muss zur Strafe zehn Liegestütze machen. Alle gucken zu.
Bei einer Torschussübung zimmere ich den Ball übers Tor und damit gefährlich nah an die Gestalten, die sich am grünen Tisch vor dem Vereinsheim versammelt haben. Es sind jene Eltern, die ihre Kinder nicht abgeben und nach Hause fahren, sondern bleiben. Die vollen sechs Stunden. Ein Vater trägt die gesamten drei Tage die gleiche lila Daunenjacke, helle Jeans und graue Mütze. Vielleicht verlässt er die Platzanlage gar nicht mehr. Wie verschmolzen mit dem weißen Plastik der aufgestellten Gartenstühle sehe ich ihn nie essen, nie trinken, nur rauchen.