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Seite 3: Wissen die Kinder überhaupt noch, wer Ingo Anderbrügge ist?

Lukas macht eine Ansage und klingt schon nicht mehr so sanft wie beim Ken­nen­lernen. Kalt rat­tert er einen Katalog von Regeln her­unter. Nie­mand kommt zu spät, nie­mand wider­setzt sich den Anwei­sungen. Daran erin­nere ich mich noch beim Warm-up. Tip­peln, über den Ball hüpfen, Knie an die Brust, bereits nach zehn Minuten habe ich das Gefühl, dem Erbre­chen nah zu sein. Ob es ihm auch so geht, frage ich mein Neben­kind. Ne, war doch alles ent­spannt“, sagt er. Aber du siehst auch ganz schön unsport­lich aus.“ Mein Körper scheint für ihn ein offenes Buch zu sein, das von Pizza, Bier und Ziga­retten han­delt.

Bei der ersten Übung sollen wir in Paaren die sim­pelsten Tricks lernen. Über­steiger, abkappen, den Ball mit der Sohle zurück­ziehen. Mein Trainer Debo“, der eigent­lich Chris­toph heißt, teilt mich Leith zu. Drei Mal muss ich nach­fragen, wie sein Name richtig aus­ge­spro­chen wird. Wie die Chips“, sagt er irgend­wann. Also Lays, kapiert. Leith ist elf, Stürmer und Rechtsfuß. Aber heute gelingt mir irgendwie mit links mehr“, sagt er. Ich bin beein­druckt, dass er so was aus­ma­chen kann. Ich würde mich schon über einen Fuß freuen, mit dem was geht. Dann sagt Leith, dass er BVB-Fan ist und eigent­lich nicht mit mir reden darf, weil ich Schalker sei.

Wissen die Kinder über­haupt noch, wer Ingo Ander­brügge ist?

Zwei Ein­heiten später erkun­dige ich mich, wo eigent­lich Ingo Ander­brügge ist. Lukas erklärt, es würden noch vier wei­tere Camps gleich­zeitig laufen und Ingo könne ja nicht überall sein. Sein Name anschei­nend schon. Aber wissen die Kinder über­haupt noch, wer Ingo Ander­brügge ist? Mein Tisch beim Mit­tag­essen zuckt kol­lektiv mit den Schul­tern, die Gesichter bleiben schwei­gend auf das Schnitzel gerichtet, das anschei­nend inter­es­santer ist als ein Euro­fighter. Nur Nico-Kevin ant­wortet mir: Klar. Mein Vater schaut sich jeden Tag Videos von dem auf You­tube an.“ Aha.

Der nächste Morgen beginnt mit einer Schmerz­ta­blette, mein Körper will schon nicht mehr. Ges­tern standen eigent­lich nur lockere Übungen an“, hatte mir Debo ver­si­chert. Meine Ober­schenkel bezwei­feln das, jeder Schritt ist eine kleine Qual. Ich ver­zichte sogar auf die mor­gend­liche Ziga­rette und mache mich auf zur zweiten Epi­sode meiner Tortur.

Zur Strafe zehn Lie­ge­stütze

Die Kinder haben sich schon vor Beginn des Trai­nings ver­ab­redet und spielen Fangen quer übers Feld. Wie weit weg man mit zehn Jahren noch vom großen Kummer ist, denke ich. Wie gerne würde ich mir meine Laune nur von einer schlechten Mathe-Note ver­ha­geln lassen. Dann ertönt Musik, die das Zei­chen fürs Sam­meln ist: Fire“ von Scooter. Schlag­artig sprinten alle wie auf­ge­dreht zum Pavillon und nehmen Auf­stel­lung in Reih und Glied. Wie gern ich Scooter noch gut finden würde, denke ich. Ich bin der Letzte und muss zur Strafe zehn Lie­ge­stütze machen. Alle gucken zu.

Bei einer Tor­schuss­übung zim­mere ich den Ball übers Tor und damit gefähr­lich nah an die Gestalten, die sich am grünen Tisch vor dem Ver­eins­heim ver­sam­melt haben. Es sind jene Eltern, die ihre Kinder nicht abgeben und nach Hause fahren, son­dern bleiben. Die vollen sechs Stunden. Ein Vater trägt die gesamten drei Tage die gleiche lila Dau­nen­jacke, helle Jeans und graue Mütze. Viel­leicht ver­lässt er die Platz­an­lage gar nicht mehr. Wie ver­schmolzen mit dem weißen Plastik der auf­ge­stellten Gar­ten­stühle sehe ich ihn nie essen, nie trinken, nur rau­chen.