Manuel Neuer wurde nach der WM 2018 schon abgeschrieben. In diesem Jahr ist er der beste Torwart dieser Welt – wie macht er das?
Der persönliche Werkzeugkasten genügt beim Bayern-Keeper für nahezu alle Bereiche, die es braucht, um ein kompletter Schlussmann zu sein. Über sein Spielverständnis und sein aktives Mitspielen muss im Grunde nichts mehr gesagt werden – hier spielt er seit mehreren Jahren mutig mit und ist mittlerweile auch erfahren genug, um Gefahren nahezu fehlerfrei bereinigen zu können.
Der entscheidende Vorteil, den Manuel Neuer gegenüber seinen Konkurrenten hat, ist ein anderer. Auf der Linie hat er ein nahezu perfektes Gespür für Distanzen, Schusswinkel und die richtige Abwehrtechnik.
Zwei Beispiele hierzu sind seine Paraden im Champions-League-Finale gegen PSG und im Supercup-Finale gegen Sevilla in diesem Sommer. In der zweiten Halbzeit gewann er gegen Paris‘ Marquinhos eine schwierige Eins-gegen-eins-Situation. Anstatt sich dem Brasilianer überhastet an der Ecke des Fünfmeterraumes entgegen zu werfen, bewahrte der Bayern-Keeper die Ruhe und fokussierte sich auf seine Positionierung. Letztlich wehrte er den Ball mit seinem, in diesem Spiel omnipräsenten Spreizschritt ab.
Dieser Schritt wäre aber nicht ohne Neuers abgeklärtes Verhalten vor dem Schuss möglich gewesen. Hätte er sich noch in der Laufbewegung befunden und hätte seine Position nicht frühzeitig eingenommen, wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät in den sogenannten „Großen Block“ gekommen, wie es im Fachjargon genannt wird. Und Marquinhos hätte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit über einen Treffer gefreut.
Letztlich war diese frühzeitige Platzierung die Basis, weshalb der 34-Jährige in diesem Finale gleich drei Schüsse mit seinem Spreizschritt parieren konnte. Auffällig war obendrein, dass in allen Situationen die Distanz zum Schützen stimmte. In diesen Situationen kann ein halber Meter von großem Wert sein, um sich Zeit zum Reagieren und Ausführen zu verschaffen.
Ein ähnliches Paradebeispiel war eine Aktion im Supercup gegen Sevilla kurz vor Ende der regulären Spielzeit. Sevilla-Angreifer Youssef En-Nesyri dribbelte alleine auf Neuer zu und hatte die Chance, das Spiel zu entscheiden. Viele unerfahrene Torhüter hätten in solchen Szenen den Fehler gemacht, dem Angreifer mit aller Macht den Winkel zu verkürzen. Neuer hingegen bewahrte die Ruhe, nahm früh seine Position ein und parierte den Schuss diesmal mit der Hand. Böse Zungen behaupten, es sei der Reklamierarm gewesen, mit dem er bereits ausgeholt hätte.
Freilich führt Manuel Neuer im Hinblick auf die Torwarttechnik nicht alle Aktionen sauber aus. Wie an dieser Stelle schon Timo Horn dafür kritisiert wurde, muss das auch für den Bayern-Keeper gelten. Er schwingt vor fast jedem Schuss die Arme hinter den Oberkörper und hat oftmals einen etwas zu breiten Stand.
Der Nationaltorhüter hat im Vergleich zu Konkurrenten sein Timing mittlerweile wieder perfektioniert. Sein Grundniveau ist dabei so hoch, dass kleinere Fehler nicht bestraft werden. Neuers Positionierung innerhalb des Fünfmeterraumes ist dabei stets optimal – er steht so, dass er einen freien Blick auf den Ball hat und die bereits angesprochene richtige Distanz zum Schützen bewahrt.
Dadurch kann er bei Distanzschüssen nur sehr selten überrascht werden und wirkt auch bei Schüssen aus kurzer Entfernung schier unüberwindbar. Zu dieser Aura tragen verrückte Paraden wie gegen Salzburg obendrein bei, die einen als Zusehenden ratlos zurücklassen. Eine Aura der Unfehlbarkeit, die die Konkurrenz aus Madrid, Liverpool und auch Barcelona aktuell nur im Ansatz über einen solchen Zeitraum erreichen kann.
Unser Autor Sascha Felter widmet sich regelmäßig via Twitter dem Torwartspiel, Patzern und gewonnenen Eins-gegen-Eins-Situationen und schreibt üblicherweise für cavanisfriseur.de.