Kritisch Bilanz ziehen möchte der Deutsche Fußball-Bund nach dem frühen Ausscheiden. Eine gute Idee, die unbedingt nachgeahmt werden sollte. Das waren die Höhepunkte und Aufreger der Gruppenspiele.
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Der Videobeweis
Nach den Erfahrungen der abgelaufenen Bundesliga-Saison drohte der VAR-Room, dieser mystische Videobeweis-Ort in Moskau, an dem sich Unparteiische aller Länder vereinigen, um der Gerechtigkeit die Hand zu reichen, zu einem Folterkeller zu werden. Schließlich hatten längst noch nicht alle Teilnehmerländer Erfahrungen mit dem System gesammelt, geschweige denn alle Schiedsrichter. Doch es blieb alles anders. Strittige Szenen gab es zwar weiterhin, auch nach dem Einsatz des Videobeweises. Insgesamt herrscht nach dieser Vorrunde aber vor allem der Eindruck, dass das Prinzip Videobeweis ein Prinzip mit Zukunft ist.
Die Fans
Was wurde nicht alles geunkt im Vorfeld dieser WM? Russische Hooligans würden die Bühne Weltmeisterschaft nutzen, die Stadien in No-Go-Areas verwandeln. Und überhaupt, die russische Weite! Zwischen Kaliningrad und Jekaterinburg (circa 3.000 Kilometer), zwischen Sankt Petersburg und Sotschi (circa 2.500 Kilometer) verlaufe sich das Gefühl eines Turniers, würden die Fans aus aller Welt von der Unlust gepackt, einfach daheim zu bleiben. Doch das Gegenteil war der Fall. Insbesondere die Anhänger aus Südamerika orderten Tickets, als wäre es die letzte Weltmeisterschaft überhaupt. Was angesichts der kommenden WM in Katar ja sogar irgendwie stimmt. Allein die argentinischen Fans machten beim entscheidenden letzten Gruppenspiel einen Lärm der Begeisterung, der kaum noch in Dezibel, sondern eher in Wahnsinn gemessen werden sollte. Und dann waren da ja noch die Fans aus Japan und Senegal. Fröhlich und bunt wie alle anderen, aber auch: höflich bis zum Weltfrieden. So räumten sie nach ihren Spielen in den eigenen Reihen auf und sammelten den Müll ein, den sie zuvor produziert hatten. Tragisch, dass ausgerechnet Japan nur dank der Fair-Play-Wertung über den Senegal triumphierte und in die K.O.-Runde einzog.
Die Geheimfavoriten
Es war kaum noch auszuhalten. Jedes Turnier dieselbe Leier. Belgien! Kolumbien! Kroatien! Dieses Mal wird es ihnen gelingen, dieses Mal wird ein Geheimfavorit und mithin ein Außenseiter den Weltpokal in den Händen halten. Doch denkste, die Leier zog einfach weiter und mündete in mehr oder minder enttäuschenden Erzählungen. Jedes Nazi-Gold ist ein Klecks der Geschichte gegenüber dem Schutthaufen der goldenen Generationen, die an ihren und den an sie gestellten Ansprüchen scheiterten. Und so schien auch vor dieser Weltmeisterschaft klar, dass nichts klar ist, außer, dass es ganz bestimmt keiner der sogenannten Geheimfavoriten wird. Die Vorrunde nun machte Hoffnung auf Veränderung. Belgien hat plötzlich nicht nur Talent ohne Ende, sondern auch noch einen gesunden Mannschaftsgeist. Kolumbien scheint zäher als ein Stück Leder aus dem Pleistozän und hat mit dem Argentinier José Pékerman einen der vielleicht besten Trainer des Turniers. Kroatien hingegen verfügt mit Luka Modric und Ivan Rakitic über das vielleicht beste Mittelfeld dieser WM. Wäre doch schön, wenn das mit der alten Leier endlich mal ein Ende finden würde. Und es beim nächsten Mal heißt: Geheimfavorit? Deutschland!
Die Debütanten
Panama und Island wecken jede Menge Assoziationen. Nur eben nicht unbedingt solche, die mit Fußball zu tun haben. Gut, die Isländer reüssierten schon während der Europameisterschaft vor zwei Jahren und eroberten die Herzen so ziemlich aller Fans im Huh. Aber eine Weltmeisterschaft ist dann eben doch noch mal etwas anderes. Und plötzlich erfuhr der ganze Globus vom Trainer, der eigentlich Zahnarzt ist, von Rurik Gislason, der eigentlich beim SV Sandhausen spielt, und nun trotzdem und dank argentinischer Schauspiel-Sternchen zum Instagram-Phänomen und Sex-Symbol wurde. Manche nervte der Hype dann auch schnell wieder, für die gab es dann aber noch Panama. Am Ende aller Resultate ist der Fußball ja vor allem wegen seiner Geschichten so großartig. Und von denen haben schließlich besonders Debütanten noch jede Menge ungehobene Schätze.
Irans Frauen
Durften, anders als in ihrer Heimat, zu den Spielen ihrer Nationalmannschaft. Nutzten das für einen wunderbaren Support und dazu, der Weltöffentlichkeit ihr Anliegen vorzutragen: offene Stadien für alle. Und tatsächlich hoben sich in Teheran zeitgleich uralte Vorhänge. Im Nationalstadion der Stadt war es Frauen erstmals seit 37 Jahren erlaubt, zu einem Fußballspiel das Azadi-Stadion zu betreten. Wenn auch vorerst nur zum Public Viewing. Jeder Anfang braucht einen ersten Schritt.