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Seite 3: „Wir müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehen“

Als der deut­sche Rentner Fritz Neu­mann, der mit seinem Fahrrad den langen Weg aus Sulz­bach nach Rom gera­delt war, vor dem Holiday Inn vor­fuhr, begrüßte ihn DFB-Prä­si­dent Her­mann Neu­berger und übergab ihm als Beloh­nung ein Ticket für das Eröff­nungs­spiel. Eine Form von Grass­root­mar­ke­ting, die durchaus ihre Berech­ti­gung hatte. Denn statt der erwar­teten 50.000 Karten für deut­sche Schlach­ten­bummler waren vorab gerade mal 4000 abge­setzt worden. Ticket­preise von bis zu 70 Mark hatten viele Fans abge­schreckt.

Der Sicher­heits­fuß­ball, der von fast allen Teil­neh­mer­län­dern bevor­zugt wurde, machte das Tur­nier nicht attrak­tiver. Am Ende der Titel­kämpfe stand eine maue Tor­quote von 1,93 Tref­fern pro Match, die nur dank Der­walls Mannen über­haupt diesen Wert erreicht hatte.

Der Bun­des­trainer ließ ein offen­sives 4 – 3‑3-System spielen, das zumin­dest beim 3:2‑Sieg in der brü­tenden Hitze von Neapel über den Vize­welt­meister Nie­der­lande Wir­kung ent­fal­tete. Das Spiel ging nicht nur wegen Bernd Schus­ters genialen Auf­tritts und der drei Tore von Klaus Allofs in die deut­sche Fuß­ball­ge­schichte ein, son­dern auch weil Bern­hard Dietz in der 73. Minute Leis­ten­pro­bleme vor­täuschte, damit ein streb­samer Jung­spund, der sich schon lange am Spiel­feld­rand warm­lief, seinen ersten Län­der­spiel­ein­satz bekam: Lothar Mat­thäus.

Der Franke nutzte gleich die ihm gebo­tene Bühne: In seiner ersten Aktion foulte er Ben Wijns­te­kers und ver­ur­sachte beim Stand von 3:0 einen Straf­stoß, der die Nie­der­länder noch einmal zurück ins Spiel brachte.

Doch auch der deut­schen Elf fehlte es in der bie­deren Grup­pen­phase oft an Inspi­ra­tion. Vor allem das grau­sige 0:0 im letzten Vor­run­den­spiel gegen Grie­chen­land brachte Jupp Der­wall viel Kritik ein. Der Trainer hatte sich das Regle­ment zunutze gemacht, um drei Leis­tungs­träger zu schonen.

Unglaub­liche drei Mil­lionen Mark hatte die UEFA für die Über­tra­gungs­rechte an dem Tur­nier ein­ge­nommen. Folge war ein Spiel­modus, bei dem alle Par­tien zeit­ver­setzt statt­fanden, damit sie live im TV gezeigt werden konnten. Die deut­sche Elf saß also vor ihrem letzten Grup­pen­spiel in der Kabine im Sta­dion von Turin und ver­folgte auf einem Schwarz-Weiß-Fern­seher genüss­lich das Auf­ein­an­der­treffen von Hol­land und der CSSR. Der­wall schickte die mit Gelb vor­be­las­teten Schuster, Dietz und Allofs immer wieder zum Warm­laufen ins Sta­dion.

Als das Ver­fol­ger­duell dann unent­schieden endete, stand Deutsch­land als Grup­pen­sieger fest – und der Trainer setzte seine Gelb­sünder auf die Bank, damit sie nicht mehr in Gefahr gerieten, fürs Finale aus­zu­fallen.

End­spiel­gegner Bel­gien hatte auf­grund des bes­seren Tor­ver­hält­nisses Gast­geber Ita­lien hinter sich gelassen. Eine gol­dene Gene­ra­tion von Spie­lern, ange­führt vom 35-jäh­rigen Hau­degen Wil­fried Van Moer, der daheim eine Kneipe namens Wem­bley“ unter­hielt. Im Tor Jean-Marie Pfaff, der noch halb­tags in einer Bank jobbte. Als sie das End­spiel erreicht hatten, kon­zen­trierten sich die Spieler erst mal auf die Prä­mi­en­ver­hand­lungen. Am Ende bekamen sie 14 000 Mark für den Final­einzug.

Die deut­sche Elf erhielt für den EM-Sieg 25.000 Mark pro Spieler – und jeweils einen 2500-Mark-Juwe­lier­gut­schein für ihre Frauen. Klaus Allofs kann sich nicht erin­nern: Ich war damals noch nicht ver­hei­ratet, hof­fent­lich liegt der nicht noch irgendwo rum.“

Ein Ver­spre­chen auf die Zukunft
 
Zwei Minuten vor Spie­lende erzielte Hru­besch in unnach­ahm­li­cher Manier per Kopf den 2:1‑Siegtreffer. Hin­terher erzählte er, der Papst habe ihm bei der Audienz den Titel und zwei Final­tore pro­phe­zeit. Die Presse war sich einig: Da wächst ein Team heran, mit dem der deut­sche Fuß­ball die Hege­monie, die er in der Mitte der Sieb­ziger inne­hatte, wie­der­her­stellen kann. Ein Ver­spre­chen auf die Zukunft. Zum besten Spieler des Tur­niers wurde Karl-Heinz Rum­me­nigge gewählt.

Doch der Mün­chener haderte mit seiner Leis­tung. Er sehnte sich nach seinem Partner vom FC Bayern, Paul Breitner: Mir fehlt der Paul hier, er weiß blind, wie ich mich im Spiel bewege.“ Zwei Jahre später bei der WM in Spa­nien sollte er seinen Willen bekommen. Breitner spielte, Schuster war von Der­wall geschasst worden. Vor­stopper Karl­heinz Förster bedauert es: Schade, dass die EM-Mann­schaft nicht mehr bei der WM gespielt hat.“

Nach dem Abpfiff in Rom wurden Ber­nard Dietz und Uli Stie­like zur Doping­probe gebeten. Zwei Stunden mühten sich beide, wäh­rend die Mann­schaft unter Anlei­tung von Hru­besch beim Ban­kett bereits When the Saints Go Mar­ching In“ into­nierte. Als Dietz und Stie­like end­lich im Hotel ankamen, über­nahm der Kur­pfälzer das musi­ka­li­sche Zepter und stimmte mit allen Euro­pa­meis­tern an: Wir müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehen und …“