Tristesse regierte bei der EM 1980 in Italien. In leeren, maroden Stadien bekriegten sich acht Mannschaften mit Betonfußball. Die DFB-Elf war der einzige Lichtblick.
Als der deutsche Rentner Fritz Neumann, der mit seinem Fahrrad den langen Weg aus Sulzbach nach Rom geradelt war, vor dem Holiday Inn vorfuhr, begrüßte ihn DFB-Präsident Hermann Neuberger und übergab ihm als Belohnung ein Ticket für das Eröffnungsspiel. Eine Form von Grassrootmarketing, die durchaus ihre Berechtigung hatte. Denn statt der erwarteten 50.000 Karten für deutsche Schlachtenbummler waren vorab gerade mal 4000 abgesetzt worden. Ticketpreise von bis zu 70 Mark hatten viele Fans abgeschreckt.
Der Sicherheitsfußball, der von fast allen Teilnehmerländern bevorzugt wurde, machte das Turnier nicht attraktiver. Am Ende der Titelkämpfe stand eine maue Torquote von 1,93 Treffern pro Match, die nur dank Derwalls Mannen überhaupt diesen Wert erreicht hatte.
Der Bundestrainer ließ ein offensives 4 – 3‑3-System spielen, das zumindest beim 3:2‑Sieg in der brütenden Hitze von Neapel über den Vizeweltmeister Niederlande Wirkung entfaltete. Das Spiel ging nicht nur wegen Bernd Schusters genialen Auftritts und der drei Tore von Klaus Allofs in die deutsche Fußballgeschichte ein, sondern auch weil Bernhard Dietz in der 73. Minute Leistenprobleme vortäuschte, damit ein strebsamer Jungspund, der sich schon lange am Spielfeldrand warmlief, seinen ersten Länderspieleinsatz bekam: Lothar Matthäus.
Der Franke nutzte gleich die ihm gebotene Bühne: In seiner ersten Aktion foulte er Ben Wijnstekers und verursachte beim Stand von 3:0 einen Strafstoß, der die Niederländer noch einmal zurück ins Spiel brachte.
Doch auch der deutschen Elf fehlte es in der biederen Gruppenphase oft an Inspiration. Vor allem das grausige 0:0 im letzten Vorrundenspiel gegen Griechenland brachte Jupp Derwall viel Kritik ein. Der Trainer hatte sich das Reglement zunutze gemacht, um drei Leistungsträger zu schonen.
Unglaubliche drei Millionen Mark hatte die UEFA für die Übertragungsrechte an dem Turnier eingenommen. Folge war ein Spielmodus, bei dem alle Partien zeitversetzt stattfanden, damit sie live im TV gezeigt werden konnten. Die deutsche Elf saß also vor ihrem letzten Gruppenspiel in der Kabine im Stadion von Turin und verfolgte auf einem Schwarz-Weiß-Fernseher genüsslich das Aufeinandertreffen von Holland und der CSSR. Derwall schickte die mit Gelb vorbelasteten Schuster, Dietz und Allofs immer wieder zum Warmlaufen ins Stadion.
Als das Verfolgerduell dann unentschieden endete, stand Deutschland als Gruppensieger fest – und der Trainer setzte seine Gelbsünder auf die Bank, damit sie nicht mehr in Gefahr gerieten, fürs Finale auszufallen.
Endspielgegner Belgien hatte aufgrund des besseren Torverhältnisses Gastgeber Italien hinter sich gelassen. Eine goldene Generation von Spielern, angeführt vom 35-jährigen Haudegen Wilfried Van Moer, der daheim eine Kneipe namens „Wembley“ unterhielt. Im Tor Jean-Marie Pfaff, der noch halbtags in einer Bank jobbte. Als sie das Endspiel erreicht hatten, konzentrierten sich die Spieler erst mal auf die Prämienverhandlungen. Am Ende bekamen sie 14 000 Mark für den Finaleinzug.
Die deutsche Elf erhielt für den EM-Sieg 25.000 Mark pro Spieler – und jeweils einen 2500-Mark-Juweliergutschein für ihre Frauen. Klaus Allofs kann sich nicht erinnern: „Ich war damals noch nicht verheiratet, hoffentlich liegt der nicht noch irgendwo rum.“
Ein Versprechen auf die Zukunft
Zwei Minuten vor Spielende erzielte Hrubesch in unnachahmlicher Manier per Kopf den 2:1‑Siegtreffer. Hinterher erzählte er, der Papst habe ihm bei der Audienz den Titel und zwei Finaltore prophezeit. Die Presse war sich einig: Da wächst ein Team heran, mit dem der deutsche Fußball die Hegemonie, die er in der Mitte der Siebziger innehatte, wiederherstellen kann. Ein Versprechen auf die Zukunft. Zum besten Spieler des Turniers wurde Karl-Heinz Rummenigge gewählt.
Doch der Münchener haderte mit seiner Leistung. Er sehnte sich nach seinem Partner vom FC Bayern, Paul Breitner: „Mir fehlt der Paul hier, er weiß blind, wie ich mich im Spiel bewege.“ Zwei Jahre später bei der WM in Spanien sollte er seinen Willen bekommen. Breitner spielte, Schuster war von Derwall geschasst worden. Vorstopper Karlheinz Förster bedauert es: „Schade, dass die EM-Mannschaft nicht mehr bei der WM gespielt hat.“
Nach dem Abpfiff in Rom wurden Bernard Dietz und Uli Stielike zur Dopingprobe gebeten. Zwei Stunden mühten sich beide, während die Mannschaft unter Anleitung von Hrubesch beim Bankett bereits „When the Saints Go Marching In“ intonierte. Als Dietz und Stielike endlich im Hotel ankamen, übernahm der Kurpfälzer das musikalische Zepter und stimmte mit allen Europameistern an: „Wir müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehen und …“