Die Dritte Liga ist das Vorzeigeprojekt des Deutschen Fußball-Bundes. Doch heute stehen viele Klubs vor dem Bankrott, sie wollen raus aus der Liga. Eine Bilanz.
Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe #196 und somit vor der Insolvenz von Rot-Weiß Erfurt. Das Heft ist im Shop erhältlich.
Holger Hadek mag es funktional. Das signalisiert schon seine Kleidung: dunkelgrauer Pullunder über weißem Hemd und Jeans. Nur funktioniert hier was nicht, wie der Geschäftsführer des VfR Aalen am Fenster einer VIP-Loge im Stadion des Drittligisten kopfschüttelnd vorführt: „Man sieht die vierte Eckfahne nicht, die Ehrengäste müssen deshalb einen schmalen Gang zur Haupttribüne rauf. Bis die in der Halbzeit hier sind, um einen Kaffee zu trinken, ist die Pause schon wieder vorbei.“ Noch schlimmer als die Ehrengäste trifft es in Aalen aber das einfache Sitzplatzpublikum: Im kalten Winter auf der Ostalb fegt der eisige Wind ungehindert über die Tribüne, die Aufgänge wurden nämlich falsch berechnet. Also schauen die Zuschauer zusammengekauert und frierend zu. Und ja, an der alten, unüberdachten Stehtribüne müsste auch mal wieder was getan werden.
Schlecht kaschierte Probleme
Das zusammengewürfelte Stadion in der 67 000-Einwohner-Stadt ist zudem steingewordenes Zeugnis eines übertriebenen Geltungsdrangs. Hadek arbeitet in einer Geschäftsstelle, die für Drittligaverhältnisse ein Palast ist. Schwere Teppiche auf dem Boden, mächtige Schiebetüren aus Glas zwischen den Büroräumen, doch für den Pragmatiker Hadek ist das nichts. Er ärgert sich, als er mit schneebedeckten Schuhen reinkommt und sich der Teppich sofort mit dem Schmelzwasser vollsaugt. Und er erzählt, dass die Decken regelmäßig repariert werden müssen, weil sie die schweren Türen eigentlich gar nicht tragen können. Mehr Schein als Sein, und eine Menge schlecht kaschierter Probleme, das ist aber nicht nur die Geschichte des VfR Aalen, sondern der Dritten Liga insgesamt.
Als vor zehn Jahren erstmals in Deutschland eine eingleisige dritte Spielklasse gegründet wurde, sollte sie eigentlich zum Vorzeigeprodukt des Deutschen Fußball-Bundes werden. Doch heute sind die Kassen vieler Drittligisten leer, und vielerorts haben die Schuldenberge bedenkliche Höhen erreicht. Auch Manuel Hartmann, der als Abteilungsleiter Ligen und Wettbewerbe beim DFB tätig ist, bestätigt das: „Wenn wir auf die Dritte Liga schauen, müssen wir sagen: Es gibt Problemfälle.“
Minus mal Minus gleich … Minus!
Und das sind nicht wenige! Den SC Paderborn, der im finanziell attraktiven DFB-Pokal das Viertelfinale erreichte, drücken Schulden von etwa 3,3 Millionen Euro. Weitere drei Millionen Euro Minus sind nach Abschluss der laufenden Saison zu erwarten. Auch Absteiger Karlsruhe verzeichnet im laufenden Spieljahr ein Minus von drei Millionen Euro. Sollte der direkte Wiederaufstieg nicht gelingen, würde unter anderem die zweite Mannschaft abgemeldet werden, hat Vizepräsident Günter Pilarsky angedeutet. Dem Tabellenletzten Rot-Weiß Erfurt droht die Insolvenz. Hansa Rostock macht nur deshalb kein Minus, weil Investor Rolf Elgeti auf Forderungen von 8,5 Millionen Euro verzichtete. Auch Carl Zeiss Jena benötigte den Goodwill seines belgischen Investors. Die Verantwortlichen in Osnabrück, Münster und Chemnitz präsentierten zuletzt tiefrote oder arg geschönte Zahlen. Beim Halleschen FC soll es eine Liquiditätslücke von 1,35 Millionen Euro geben.
Dr. Michael Schädlich will die genaue Höhe des Fehlbetrags nicht bestätigen, aber der besonnene Mann an der Spitze des HFC hatte im Januar höchstpersönlich auf die sich abzeichnende Schieflage aufmerksam gemacht. Sofort begann der Wirtschaftswissenschaftler mit der Kommune und mit Sponsoren zu verhandeln. 300 000 Euro kamen so in Halle allein im ersten Monat zusammen. Es sieht daher so aus, als könne der Klub eine Insolvenz vermeiden. Die grundlegenden Probleme löst das jedoch nicht. „Die Dritte Liga ist gefährlich. Sobald die Euphorie verflogen ist, musst du liefern“, sagt Schädlich. Die Mannschaft des Halleschen FC, gebeutelt von vielen Verletzungen und etwas Pech, lieferte in dieser Saison nicht. Die Zuschauer blieben aus, die prognostizierten Einnahmen damit auch. Eine Möglichkeit wäre es, die Profiabteilung auszugliedern, wie es zuletzt Preußen Münster getan hat, um Investoren zu locken. Schädlich will das nicht. „Nennen Sie mich altmodisch, aber zu einem Fußballverein gehören auch Frauen und Kinder.“ In Halle stehen sie dazu, dass sie sich in der Dritten Liga eigentlich wohl fühlen. Das aber widerspricht auf der anderen Seite dem Grundsatz, immer weiter nach oben zu wollen. „Im Fußball gilt immer das Prinzip von ‚Deutschland sucht den Superstar‘“, sagt Schädlich, „wenn du nach vier Jahren noch in der Dritten Liga spielst, giltst du als graue Maus.“ Klar, meint der Präsident, dass aus diesem Grund viele Vereine, alles auf Rot setzen. Und notfalls die Insolvenz riskieren.
In Aalen haben sie das erlebt, dort drohten vor genau einem Jahr die Lichter auszugehen. Nach drei kräftezehrenden Spielzeiten in der zweiten Bundesliga und dem Abstieg in die Dritte Liga stand der Klub vor dem Aus. In die Zweitklassigkeit geführt hatten den VfR vor allem zwei Personen: der Aufsichtsratsvorsitzende und Direktor des langjährigen Hauptsponsors Imtech, Johannes Moser, und Bernd-Ulrich Scholtz, Vorsitzender eines Schrott-Recycling-Unternehmens. Es waren schöne Jahre, mit dem jungen Ralph Hasenhüttl auf der Trainerbank und Spielern wie Kevin Kampl auf dem Platz. Doch bereits nach der Pleite von Imtech wurde der VfR Aalen schon 2013 vor erhebliche finanzielle Probleme gestellt. Bürgschaften von insgesamt 6,15 Millionen Euro musste kurzerhand Präsident Scholtz übernehmen. Die richtigen Probleme setzten jedoch 2016 nach dem Abstieg in die Drittklassigkeit ein. Zwar versprach Scholtz, den Verein im ersten Jahr zu führen und schuldenfrei zu übergeben, es kam allerdings anders.
Guten Tag, Durchsuchungsbefehl!
Nächtelang hatten Holger Hadek und die Vorstandsmitglieder des VfR Aalen kaum geschlafen, ehe sie am 14. Februar 2017 endlich zum Amtsgericht gingen. Mit einem Durchsuchungsbefehl hatte das Finanzamt einige Wochen zuvor vor der Geschäftsstelle gestanden, und Präsidiumssprecher Roland Vogt erinnert sich mit Grauen, was dann passierte: „Das Finanzamt hat die Jahre 2008 bis 2012 geprüft, danach wäre sicher eine Folgeprüfung erfolgt. Es zeichnete sich also ab, dass wir mit einer Nachzahlung von 500 000 Euro plus Verzugszinsen rechnen mussten. Dazu kam das bereits vorhandene negative Eigenkapital von 3,6 Millionen Euro. Da haben wir gesagt: Wir müssen jetzt die Reißleine ziehen.“
Wenige Monate zuvor hatte Vogt mit drei Kollegen das Präsidentenamt von Bernd-Ulrich Scholtz übernommen. Während sie davon ausgegangen waren, dass Scholtz das Konto ausgeglichen hätte, hatte der Ex-Präsident in Wirklichkeit nur eine weitere Bürgschaft übernommen. Dann kam die überraschende Steuernachprüfung und bei den nun Verantwortlichen brach verständliche Panik aus. „In dem Moment hätten wir uns sonst haftbar für Summen und Dinge gemacht, die wir nicht verursacht haben“, sagt Vogt. So gingen er, Hadek und ein weiterer Vorstand am Valentinstag 2017 mit dem Insolvenzantrag zum Gericht.
Wie ist das möglich?
Im Warteraum des Amtsgerichts von Aalen versuchte das Präsidium des VfR ein letztes Mal, auf ihren Vorgänger Scholtz einzuwirken. Gemeinsam würde die Möglichkeit bestehen, die drohende Insolvenz noch einmal abzuwenden. Um 9 Uhr hatten Vogt und Hadek zum ersten Mal das Büro der Richterin betreten, seitdem telefonierten sie immer wieder mit Scholtz, den Aktenordner fest umklammert. „Die Richterin hatte uns darauf aufmerksam gemacht, dass ein Abstellen des Ordners als Einreichen der Insolvenzunterlagen gewertet werden könnte“, erinnert sich Hadek. Doch auch bis kurz vor Feierabend wurden sich der VfR Aalen und Scholtz nicht einig. Also stellten Hadek und Vogt den Ordner schließlich auf dem Schreibtisch der Richterin ab, reichten damit Insolvenz ein und informierten den DFB.
Wie konnte ein Klub mit so windiger Finanzlage wie der VfR Aalen überhaupt eine Zulassung des DFB erhalten? Manuel Hartmann hat in der DFB-Zentrale eine einfache Antwort: „Für das Zulassungsverfahren ist es letztlich nicht entscheidend, auf welche Art die Liquidität dargestellt wird. Ob das nun durch Darlehen oder eigene Beträge geschieht.“ Der DFB prüft also nur, ob die Vereine für eine Saison, also bis zum 30. Juni eines Jahres, überleben können. Im Grunde heißt das aber auch: Leiht sich ein Verein Gelder, die er erst am 1. Juli zurückzahlen muss, ist die Zulassung kein Problem. Der DFB weist darauf hin, dass eine Prüfung über die Saison hinaus aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei. „Das heißt aber nicht, dass es für uns als Verband egal ist. Wir wirken dann schon im Sinne der Vernunft auf die Vereine ein“, sagt Hartmann. Außerdem war man in Frankfurt über die Insolvenz des VfR, milde gesagt, überrascht. „Bei einer Steuerprüfung weiß man – gerade als außenstehende Partei – nie genau, was da noch zum Vorschein kommt. Das haben wir bei der Zulassung nicht absehen können“, sagt Hartmann.
Der DFB versteht sich als Ratgeber der Drittligisten, und aus den Geschäftsstellen anderer Klubs ist zu vernehmen, dass die Vereine das auch so wahrnehmen. Doch nun wurde er zum Richter. Dem VfR Aalen wurden während der laufenden Saison neun Punkte abgezogen, diese Strafe ist dafür vorgesehen, wenn ein Klub in die Insolvenz geht. „Hätten wir die Saison ohne Insolvenzantrag zu Ende gespielt, hätte sich kein Punktabzug ergeben. Für die Folgesaison hätten wir aber keine Lizenz stemmen können“, erklärt Präsidiumssprecher Vogt. Stundenlang hatte er mit den Verbandsfunktionären darüber diskutiert. „Dass wir damals Insolvenz anmeldeten, haben die nicht verstanden. Wir hätten die Saison ja noch zu Ende spielen und dann Zahlungsunfähigkeit anmelden können. Das war für uns keine Option. Liegt ein Insolvenzgrund vor – hierzu zählt auch die drohende Zahlungsunfähigkeit in der Zukunft – gibt es keine Wahl“, sagt Vogt. „Dem DFB wäre es vielleicht lieber gewesen: Spielt durch und dann kommt der Cut.“
Es ist der Sinn des Insolvenzrechts, dass es die Fortführung eines Unternehmens vorsieht und so auch den VfR am Leben erhielt. Früher wurde ein insolventer Verein vom DFB automatisch zum Absteiger erklärt. Weil das dem öffentlichen Recht widerspricht, gibt es nun eine Punktestrafe. Aalen konnte diese letzte Saison sportlich noch ausgleichen. Die Mannschaft holte in den sechs Spielen nach dem Insolvenzantrag 13 Punkte und hielt die Klasse.
Spielerberater stehen Schlange
Nun besteht jedoch die Gefahr, dass der VfR Aalen damit zum Vorbild für andere Vereine wird. Schlimmstenfalls könnte es die Verantwortlichen dazu ermutigen, mehr Geld auszugeben, als sie besitzen. Im besten Fall schafft man es so in die zweite Bundesliga, wo die Fehlbeträge mit dem Fernsehgeld leicht wieder ausgeglichen werden können. Wenn auf eine Insolvenz lediglich der Abzug von neun Punkten folgt, und nicht wie früher der Zwangsabstieg, fehlt dem Verband sein härtestes Mittel.
„Sicher, die Insolvenz war nicht gerade das beste Ereignis meines Lebens“, sagt Geschäftsführer Hadek. Aber im Sommer rannten ihm die Spielerberater die Geschäftsstelle ein. Deren Logik war klar: Aalen begann nach der Insolvenz bei Null und hatte damit gegenüber den hochverschuldeten Klubs einen Vorteil. Bei den Schwaben würden in nächster Zeit ganz sicher die Gehälter bezahlt werden. Der auf einmal hochseriöse VfR konnte sich seine Spieler aussuchen.
Der Hallesche FC wird um eine Insolvenz vermutlich herumkommen, und Präsident Schädlich gibt sich geläutert. Noch einmal werde er diesen Fehler nicht machen und dem drängenden Wunsch nach dem Mehr nachgeben. „Ich ärgere mich über mich selbst“, sagt er. Medien, Fans oder Kommunen, denen zum Beispiel das Stadion gehört, üben auf die Klubs häufig den größten Druck aus. Manchmal ist es aber auch nur der Geltungsdrang einzelner Personen. Auch beim Halleschen FC, der einst zum Stammsortiment der DDR-Oberliga gehörte und zweimal im UEFA-Cup spielte, wurden die Menschen drum herum nervös. Dritte Liga – das kann auf Dauer doch nicht alles sein! Es gibt 36 Startplätze in der ersten und zweiten Fußballbundesliga. Aber es lassen sich problemlos weit über 50 Vereine aufzählen, die allein aufgrund von Tradition oder Standort dort mitspielen wollen. Eine Rechnung, die nicht aufgehen kann.
Financial Fairplay
„Wer Dritter ist, will Erster werden – das ist ein offizieller Slogan der Liga“, sagt Hartmann vom DFB und klingt leicht resigniert. Der Verdacht liegt nahe, dass auch zukünftig Vereine mit riskanten Manövern versuchen werden, den Aufstieg zu erzwingen. Beim DFB hat man erkannt, dass Punkteabzüge allein vielleicht nicht reichen: „Sollten wir merken, dass Vereine die Regel nutzen und weiter ins Risiko gehen, dann müssten wir es überdenken. Bisher hat es noch nicht überhandgenommen, aber wir sehen genau hin.“ Hartmann und der DFB denken auch bereits über die Einführung einer neuen Regelung nach, um „einen Hebel ins Zahnrad zu bekommen“. In groben Zügen soll es eine Form des Financial Fairplay für die Dritte Liga sein. Das wäre eine Abkehr vom Solidarprinzip, das zurzeit in der Dritten Liga gilt und jeden Klub gleichermaßen an den Erlösen beteiligt. Demnach würden dann Vereine, die nachhaltig wirtschaften, von den Marketingerlösen der Liga stärker profitieren als andere. „Statt um Strafen geht es hier um ein Belohnungssystem“, so Hartmann.
Das klingt gut, wäre aber in der Praxis nicht unkompliziert. Problematisch wäre es etwa für Klubs, die mit Altlasten zu kämpfen haben und denen noch mehr Geld vorenthalten würde. Und das in einer Liga, in der es sowieso schon an allen Ecken und Enden fehlt. „Zweitligisten können ihren Etat zu 50 Prozent aus TV-Geldern bestreiten. In unserem Haushalt werden nur 15 Prozent abgedeckt“, rechnet Aalens Vogt vor. Halles Schädlich sagt: „Die Dritte Liga ist einfach unterfinanziert, der Abstand zur zweiten Liga ist zu groß.“
Über die Verhältnisse
Solange dieser Abstand besteht und der DFB jene nicht richtig belangen kann, die über ihre Verhältnisse leben, besteht wohl wenig Aussicht auf Veränderung. Das würde sich vermutlich erst dann ändern, wenn es auch sportlich wirklich belohnt würde, seriös zu wirtschaften.