Jack Wilshere galt einst als kommender Superstar. Nun steht er ohne Vertrag da. Als 29-Jähriger. Wie konnte es dazu kommen?
Es war eine kalte Londoner Nacht im Februar 2011. Achtelfinal-Hinspiel im Europapokal, ausverkauftes Stadion, Viertel vor Neun. Arsenal gegen Barcelona. An jenem Abend nahm es der 19-jährige Jack Wilshere mit den ganz Großen auf. Damals waren das Messi, David Villa, Iniesta, Xavi, Busquets. Gegen die drei Letztgenannten spielte der Junge aus Stevenage an diesem Abend ein wunderbares Spiel. Ein Spiel, das ein Versprechen für die zukünftige Spielkultur Arsenals und der Three Lions sein sollte. Von einem Engländer, der nicht wie ein Engländer spielte.
Nun, über zehn Jahre später, müssen Jack Wilshere und alle, die sich an diesem Abend in sein Spiel verliebten, anerkennen, dass aus der ganz großen Karriere nichts geworden ist. Auch wenn Wilshere in einem kürzlich erschienen Interview mit The Athletic davon spricht, dass er eine „tolle Karriere“ gehabt habe, sind dem Engländer die Enttäuschung über seinen Karriereweg und die Selbstzweifel, die seine derzeitige Situation hervorrufen, jederzeit anzumerken. Kein Wunder – schließlich zeigte er früh das Potential für eine ganz andere Karriere.
Bereits mit neun Jahren kommt Jack Wilshere in die Jugendakademie von Arsenal. Ab der U16 läuft er für England auf, kurze Zeit später feiert er mit 16 Jahren sein Profi-Debüt bei Arsenal. Unter seinem Förderer Arsène Wenger entwickelt er sich fußballerisch rasant weiter, spätestens als ihm der große Auftritt gegen das übermächtige Mittelfeld Barcelonas gelingt, haben alle sein Potential erkannt.
Doch die Karriere des jungen Engländers gerät ins Stocken. Immer wieder werfen ihn Verletzungen zurück, vor allem sein Sprunggelenk ist betroffen. Die Europameisterschaft 2012 verpasst er wegen einer Knie-OP. Auch in der Folgezeit bleiben die Verletzungen eine feste Konstante in seiner Karriere und verhindern, dass er einen echten Spielrhythmus entwickeln kann. Als 2018 dann noch die Ära von Arsène Wenger endet und Unai Emery bei den Gunners übernimmt, flieht er zu West Ham United, dem Lieblingsklub seiner Kindheit. Ein Schritt, den er heute bereut. Zuletzt war Wilshere für den AFC Bournemouth in der zweiten englischen Liga aktiv. Mit 29 Jahren, im besten Fußballeralter, steht er nun ohne Vertrag da.
Ziemlich genau ein Jahr, bevor Jack Wilshere mit seinem Aufritt gegen die Katalanen ganz Europa auf sich aufmerksam machen wird, ist der damals 18-Jährige von Arsenal gerade an die Bolton Wanderers verliehen. Das Champions-League-Viertelfinale seines Heimatvereins will er sich trotzdem nicht entgehen lassen. Und so nimmt er damals den Zug nach London, um das Spiel im Stadion zu sehen. Wie ein Jahr später muss Arsenal in der KO-Phase auch 2010 gegen den FC Barcelona ran. Wilshere ist an diesem Abend Zeuge, wie sein zukünftiges Team nach einem 0:2‑Rückstand noch ein 2:2‑Unentschieden schafft. Arsène Wenger spricht nach der Partie von einer „außergewöhnlichen Champions-League-Nacht“. Doch mindestens genauso beeindruckt wie von der Aufholjagd seines Teams zeigt sich Wilshere von der Leistung eines Spielers, der für den FC Barcelona die Fäden im Mittelfeld zieht. Es ist ein gewisser Xavi Hernandez.