Viel Kampf, wenig Spielkultur: Der Hamburger SV und Werder Bremen suchen nach der taktischen Identität, sind jedoch noch in der Findungsphase. Die 11FREUNDE-Taktikanalyse erklärt, welche Wege beide Trainer einschlagen – und wieso noch viel Arbeit vor ihnen liegt.
Vor nicht allzu langer Zeit fand das Nordderby Hamburger SV gegen Werder Bremen in DFB-Pokal- und sogar in Europa-League-Halbfinals statt. Mittlerweile ist es zum echten Abstiegs-Derby mutiert. Am Sonntag sahen die Zuschauer im Hamburger Volksparkstadion dementsprechend keinen brasilianischen Zauberfußball, sondern zwei Teams, die ackerten und rackerten und sich bemühten, die neue taktische Identität ihres Trainers umzusetzen.
Der HSV wandelt auf Bayerns Spuren
HSV-Coach Josef Zinnbauer versuchte zuletzt, seinen passiven Hamburgern eine dominantere Spielweise einzuimpfen. Nachdem er in den ersten Spielen vor allem auf ein dominantes Pressing setzte, erweiterte er gegen Werder Bremen sein Konzept um ein aktives Ballbesitzspiel. Die Hamburger übernahmen von Beginn weg die Initiative über das Spiel und verbuchten am Ende 60% Ballbesitz.
Zinnbauers Team trat überraschend offensiv auf: Die Außenverteidiger stießen im eigenen 4−1−4−1 permanent nach vorne, die Außenstürmer konnten dadurch praktisch im Zentrum spielen. Aus der Tiefe machte Valon Behrami das Spiel. Rafael van der Vaart bot sich vor der Abwehr als Verbindungsspieler an, während die übrigen Mittelfeldspieler sehr hoch agierten. Im Falle eines Ballverlustes im Mittelfeld hätten nur drei bis vier Hamburger hinter dem Ball abgesichert. Dass die Hamburger trotz dieser offensiven Spielweise keine Konter fürchten mussten, lag an den passiven Bremern.
Werder wählt den gegensätzlichen Weg
Bei Bremen bemüht sich der neue Trainer Victor Skripnik zunächst einmal um defensive Stabilität. In der ersten Halbzeit agierten die Bremer extrem passiv. Das Bremer Mittelfeld verfolgte die Gegenspieler eng, sodass sich die Bremer Mittelfeldkette weit nach hinten drücken ließ. Vor allem die Außenstürmer deckten die Hamburger Außenverteidiger eng. So stand Bremen teilweise in einer Sechserkette am eigenen Sechzehner, das entstehende 6−2−2 war extrem passiv.
Bremen versuchte gar nicht erst, im Mittelfeld den Ball zu gewinnen. Stattdessen lenkten die Stürmer das Aufbauspiel auf die Außen, wo Bremen am eigenen Sechzehner den Zugriff suchte. So hatten sie jedoch auch Probleme, nach Ballgewinnen ins Angriffsspiel umzuschalten. Zwar versuchten sie stets, kontrolliert mit flachen Bällen hinten herauszuspielen, allerdings war der Weg zu den Angreifern zu groß. Oft verzettelten sich die Verteidiger am Hamburger Gegenpressing.
Niemand nutzt die Schwächen
So war die Partie eine zähe Angelegenheit. Keins der beiden Teams schaffte es, die Schwächen des Gegners zu nutzen. Die Bremer konnten die offenen Konterräume im Mittelfeld nicht anspielen, weil sie bei ihren Ballgewinnen zu tief standen. Die Hamburger hingegen wählten oft den komplizierten statt den einfachen Weg. So versuchten sie, Durchbrüche über die Flügel oder mit Pässen auf Lasogga zu erzwingen. Bremens tiefe Sechserkette war gegen diese Mittel jedoch bestens gerüstet. Nur selten gelang es den Hamburgern, die durchaus anfälligen Innenverteidiger aus der Abwehrkette zu ziehen und mit Kombinationen über mehrere Stationen Räume zu öffnen. Zu selten wählten die Hamburger den Weg durch das Zentrum.