Am Freitag kehrt der legendäre Werner Hansch ans Mikrofon zurück. Unser Autor hat mit ihm an seiner Autobiografie gearbeitet – und erinnert sich vor allem an einen berührenden Moment.
Als Hansch im August 1938 zur Welt kam, war dieser Vater nicht da. Er saß als aktiver Kommunist im KZ Buchenwald. Dort galt er als Wiederholungstäter, denn bereits 1934 hatte ihn die Polizei verhaftet und fast zwei Jahre ins Gefängnis gesteckt. Erst nach dem Krieg bekam Hansch seinen Vater richtig zu Gesicht – aber mehr auch nicht. Die nächsten fünfzehn Jahre lebte der von doppelter Nazi-Haft gebrochene Mann nur noch so als eine Art Hülle neben seinem Sohn her. Als er im März 1961 starb, nur wenige Wochen vor seiner Frau, wusste Hansch wenig von ihm. Nicht einmal, warum genau er im Gefängnis und im KZ gewesen war.
Ohne diese Familientragödie wäre Werner Hansch niemals Fußballreporter geworden, denn durch den unvermittelten Tod beider Eltern wurden alle seine Lebenspläne über den Haufen geworfen. Im Grunde genommen stolperte er von diesem Moment an von einer Karriere in die nächste, ohne dass er irgendwas dafür konnte. Und am Ende wurde der Junge, der sich nie für Fußball interessiert hatte, zur Stimme des Fußballs. Sein barocker Stil, so habe ich mir das später zusammengereimt, kommt auch daher, dass er nicht mit dem Spiel sozialisiert worden ist, die Sprache und Gebräuche des Fußballs nicht von kleinauf aufsaugen konnte, sondern sich das alles als Mitdreißiger nachträglich aneignen musste.
Die Arbeit an dem Buch war für Hansch auch Anlass, nach all der Zeit noch einmal zu versuchen, etwas über seinen Vater herauszufinden. Alle Verwandten, die ihm etwas hätten sagen können, waren schon lange tot, also blieb nur der mühsame Weg durch die Archive. An einem Abend im Februar 2014 klingelte das Telefon bei uns. Noch bevor Hansch seinen Namen vollständig genannt hatte, wusste ich, dass etwas Dramatisches passiert war, denn die so prägnante Stimme klang anders als sonst.
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Tod seines Vaters hatte Werner Hansch Dokumente auf seinem Schreibtisch liegen, die ihm die meisten Fragen beantworteten, die er sein Leben lang gehabt hatte. Denn in ihrem Bürokratiewahn protokollierten die Nazis alles, von den Tätowierungen, die der Gefangene Nummer 7824 gehabt hatte, bis zur genauen Uhrzeit, wann er wohin überführt worden war. Hansch fand heraus, dass sein Vater wegen der Vorbereitung zum Hochverrat im Gefängnis gewesen war (als Gesteinshauer unter Tage hatte er Zugang zu Sprengstoff, den eine Gruppe Widerstandskämpfer brauchte, um eine Polizeistation anzugreifen). Ins KZ war Hanschs Vater gekommen, weil er sich über Hitler lustig gemacht hatte. Beim Studium der Akten kam dem Sohn sogar eine sehr genaue Idee, wer der Denunziant des Vaters gewesen sein dürfte.
Knapp acht Monate später stellten wir die Biografie auf der Buchmesse in Frankfurt vor. Im sogenannten „Kulturstadion“, dem Forum von LitCam und der DFB-Kulturstiftung, saßen wir auf der Bühne und plauderten ein wenig. Die Stuhlreihen vor uns waren ziemlich gut gefüllt. Eigentlich wollten wir nicht so sehr über Fußball sprechen, sondern über Väter und Söhne, über Reden und Schweigen, über Schuld und Sühne. Aber irgendwann verfiel Hansch dann doch ganz automatisch in seinen Hansch-Modus. Da wurde der eigentlich sehr ernste und oft melancholische Mann wieder zur Anekdotenmaschine. Aber das war auch gut, denn es gab mir die Gelegenheit, ein bisschen ins Auditorium zu blicken. Und da stellte ich fest, dass es mit jeder Minute voller vor uns wurde. Sitzplätze gab es schon lange keine mehr, denn die so berühmte Stimme des Ruhrgebiets dröhnte durch die Halle 3.1 und jeder, der sie hörte, wurde wie magisch zu unserer Bühne gezogen.
Schön, dass man diese Stimme am Freitag noch mal hören kann. Nicht so schön, dass Werner Hansch vor zwei Tagen erneut in den Nachrichten auftauchte. Diesmal weil er sich von einem Politiker Geld geliehen hat, das er nicht fristgemäß zurückzahlen konnte oder wollte. Über die Hintergründe kann ich nichts sagen, denn so viel weiß ich dann doch wieder nicht über Hansch. Außer vielleicht: Er ist kein übler Kerl.