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Gary Medel hat die statt­liche Kör­per­länge von 171 Zen­ti­me­tern. Ein kräf­tiger Typ mit dem Spitz­namen Pit­bull“. Dass Medel in der chi­le­ni­schen Natio­nal­mann­schaft als Abwehr­chef fun­giert, würde man auf den ersten Blick nicht ver­muten. Er ist jedem Mit­tel­stürmer in der Luft unter­legen und nimmt gern mal drei, vier Schritte Anlauf, bevor er ins Kopf­ball­duell geht. Was Medel an Kör­per­größe nicht hat, macht er mit Ein­satz und purem Willen wett.
 
Der Pit­bull musste auf einer Trage vom Feld gebracht werden

So gesehen bei der Welt­meis­ter­schaft im ver­gan­genen Jahr. Das kleine Chile traf damals im Ach­tel­fi­nale auf Gast­geber Bra­si­lien. Medel ging bereits ange­schlagen in die Partie, war an beiden Ober­schen­keln getapt. Als wenn das nicht schon genug wäre, ver­letzte er sich in der Anfangs­phase des Spiels noch schwerer am linken Bein. Was sich später als Riss in der Ober­schen­kel­mus­ku­latur ent­puppen sollte, hin­derte Medel nicht daran wei­ter­zu­spielen, zehn Kilo­meter zu rennen und Neymar kalt zu stellen. Medel kämpfte bis an den Rand der Besin­nungs­lo­sig­keit. Erst in der 109. Minute der Ver­län­ge­rung wurde er auf einer Trage vom Feld gebracht.

Chile verlor am Ende im Elf­me­ter­schießen. Das Bild des wei­nenden Medels ging um die Welt. Und der 27-Jäh­rige hatte sich in die Notiz­bü­cher einiger Klubs gespielt. Am Ende wech­selte er von Pre­mier-League-Absteiger Car­diff City zu Inter Mai­land.

Fuß­ball in Chile ist Spek­takel

Fuß­ball in Chile ist Fuß­ball im Grenz­be­reich. Ob sich nun Colo-Colo und Uni­ver­sidad de Chile heiß­blü­tige Derbys lie­fern oder eben die Natio­nal­mann­schaft bei Tur­nieren für Furore sorgt. Es ist ein Spek­takel. Wenn die Spieler von La Roja“, so wie die Aus­wahl genannt wird, vor jeder Begeg­nung mit Inbrunst die Lan­des­hymne schmet­tern, dann schwingt dort ein gehö­riger Schuss Natio­nal­stolz mit.

Chile ist der David in einer Welt voller Goli­aths. Abge­sehen von Tor­hüter Claudio Bravo ist in der Startelf nor­ma­ler­weise kein Spieler größer als 1,80 Meter. Dafür ist La Roja“ eine Aus­wahl von Kampf­zwergen, ange­führt von Medel, Arse­nals Alexis Sán­chez und dem selbst­er­nannten Krieger“ Arturo Vidal. Der Juventus-Profi, noch einer der Grö­ßeren im Team, steht mit seinem Spiel­stil stell­ver­tre­tend für die ganze Mann­schaft.

Selbst­mör­de­ri­sches“ Pres­sing

Aggres­sives Pres­sing in Ver­bin­dung mit unglaub­lich hohem Lauf­ein­satz bringt immer wieder den Rasen zum Brennen. Da spielt es keine Rolle, ob die Chi­lenen bei großer Hitze an der Copa­ca­bana oder bei nied­rigem Sau­er­stoff­ge­halt auf dem Hoch­land Ecua­dors antreten.

Der Pres­sing­fuß­ball von Bayer Lever­kusen oder Borussia Dort­mund wird schon als auf­re­gend ange­sehen. Bei Par­tien von Chile braucht der Zuschauer zuweilen einen Sicher­heits­gurt. Vidal und Co. sorgen für einen Orkan, wenn sie dem Ball hin­ter­her­jagen. Als selbst­mör­de­risch“ bezeich­nete Spa­nien-Trainer Vicente del Bosque einst diesen Stil. Bei der letzten WM hatten die Iberer dem Pres­sing der Chi­lenen aber wenig ent­ge­gen­zu­setzen. Sie ver­loren mit 0:2 und schieden vor­zeitig aus.

Den Grund­stein legte Mar­celo Bielsa. Der Argen­ti­nier trägt, wie pas­send, den Spitz­namen El Loco“, der Ver­rückte. Er war zwi­schen 2007 und 2011 Natio­nal­trainer. Mit einem pro­gres­siven Offen­siv­stil belegte Chile in der Süd­ame­rika-Qua­li­fi­ka­tion zur Welt­meis­ter­schaft 2010 den zweiten Platz hinter Bra­si­lien. Die erste WM-Teil­nahme seit zwanzig Jahren machte Bielsa zum Natio­nal­helden.

Sam­paoli brachte das Kol­lektiv zurück

Die hohe Inten­sität im Pres­sing, rasantes Kurz­pass­spiel und unor­tho­doxe For­ma­tionen wie ein 3−1−3−3 tragen heute noch die Hand­schrift Bielsas. Sein Lands­mann Jorge Sam­paoli über­nahm im Jahr 2012 die chi­le­ni­sche Mann­schaft, nachdem Claudio Borghi, der eben­falls Argen­ti­nier ist, als Bielsa-Nach­folger glücklos blieb. Unter Borghi gab es zu viele Lücken in der Ver­tei­di­gung der Chi­lenen. Nur als Kol­lektiv können sie aber über­leben. Genau diesen Anspruch brachte Sam­paoli wieder zurück.

Den 55-Jäh­rigen kann man getrost als Fuß­ball­ver­rückten bezeichnen und selbst das klingt noch wie eine Unter­trei­bung. Er schläft wenig, steht um fünf Uhr mor­gens auf und ver­bringt viele Stunden mit tak­ti­scher Ana­lyse, Video­stu­dium und Trai­nings­vor­be­rei­tung.

Doch das war nicht immer so. Sam­paoli kickte als Jugend­spieler bei Newell’s Old Boys aus dem argen­ti­ni­schen Rosario. Ein Schien- und Waden­bein­bruch zwang ihn im Alter von 19 Jahren zum Kar­rie­re­ende. Damals schwor Sam­paoli dem Fuß­ball ab. Er wurde Bank­an­ge­stellter.

Pure Obses­sion

Erst Mar­celo Bielsa brachte ihn zurück zum Fuß­ball. Als dieser Newell’s Old Boys Anfang der neun­ziger Jahre trai­nierte, ent­schied sich auch Sam­paoli für eine Kar­riere an der Sei­ten­linie – und tut dies seitdem mit purer Obses­sion. Als Ama­teur­trainer tourte er durch Europa, besuchte Pro­fi­mann­schaften in Spa­nien oder Ita­lien. Er gab sein letztes Geld für diese Stu­di­en­reise statt für Nah­rung und Schlaf­plätze aus. So manche Nacht in Europa ver­brachte er des­halb auf öffent­li­chen Plätzen.

Die Opfer zahlten sich aus. Über diverse Sta­tionen in Peru und Chile lan­dete er 2011 beim Renom­mier­klub Uni­ver­sidad de Chile. Dort ließ der klein­ge­wach­sene Glatz­kopf, der gerne mal als Ani­ma­teur in der Coa­ching Zone fun­giert, diese Art von aggres­sivem Pres­sing­fuß­ball spielen, der nun bei der Natio­nal­mann­schaft zu sehen ist.

Sama­poli geht aller­höchstes Risiko: Teil­weise sichern nur zwei Ver­tei­diger an der Mit­tel­linie ab. Alle anderen sind im totalen Jagd­modus. Damit fei­erte er schon bei La U“ einige Erfolge. Neben drei Meis­ter­schaften in der chi­le­ni­schen Pri­mera Divi­sión holte er die Copa Suda­me­ri­cana 2011. Der erste inter­na­tio­nale Titel für einen Klub Chiles seit zwei Jahr­zehnten.

Näher an Guar­diola

Aber nicht nur Bielsa, den er bis ins letzte Detail stu­dierte, ist ein Vor­bild für Sam­paoli. Ich bin jetzt näher an Guar­diola“, sagte er vor kurzem. Die Ideen des Bayern-Trai­ners in puncto Ball­be­sitz­fuß­ball und Posi­ti­ons­auf­tei­lung impo­nieren Sam­paoli. Trotzdem wird er kei­nes­falls die Iden­tität der Chi­lenen opfern. Ihre unbän­dige Inten­sität werden die Gegner auch bei der nun anste­henden Copa Amé­rica auf chi­le­ni­schem Boden zu spüren bekommen.

Mit tem­pe­ra­ment­vollen Fans im Rücken schalten die Kicker von La Roja“ einmal mehr in den Angriffs­modus. Anführer Gary Medel wetzt schon die Messer, wenn es gegen die Ney­mars und Messis geht.