Was macht Dortmund gegen Schalke aus? Feindschaft? Rivalität? Ein Tresengespräch mit den beiden Ruhrpottlegenden Aki Schmidt und Willi Koslowski über das Verhältnis der beiden Vereine, Derbystimmung und Bengalos.
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Im Spätsommer 20015, nur etwas mehr als ein Jahr vor seinem Tod, fuhr BVB-Legende Alfred „Aki“ Schmidt ausgerechnet zur Gelsenkirchener Glückaufkampfbahn. Es kommt noch schlimmer: Er saß in einem weißen Kastenwagen, auf dessen Seitenfenster das Schalker Vereinswappen geklebt war. Schmidt, damals nur wenige Tage von seinem 80. Geburtstag entfernt, hockte auf dem Beifahrersitz, denn natürlich gehörte dieses Gefährt nicht ihm. Sondern dem zwei Jahre jüngeren Fahrer – Willi Koslowski, ein Mitglied der letzten Schalker Meistermannschaft von 1958.
Schmidt stieg aus dem Wagen, gegen den Dauerregen zog er seine Mütze noch etwas tiefer ins Gesicht, darauf das Wappen von Borussia Dortmund und der Schriftzug „Pöhler“, den Dortmunder Fans dank Jürgen Klopp nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa und Asien tragen. Pöhler, „Echte Liebe“ – Schmidt brauchte eigentlich keine Marke oder Botschaften, er war selbst eine BVB-Markenbotschaft. Er lief jahrelang als Kapitän auf, gewann mit Borussia in den sechziger Jahren die Meisterschaft, den DFB-Pokal und die erste europäische Trophäe einer deutschen Mannschaft. Danach war er Fanbeauftragter, später führte er Besucher durch das Westfalenstadion. Dabei sagte er Sätze wie: „Hier kommen die Spieler zum Interview. Die können nicht sagen: ‚Blas’ mir am Kopp, ich hab keine Lust.‘ Die haben das im Vertrag.“ Spätestens da wusste man: Es konnte keinen Besseren für diesen Job geben.
Schmidt und Koslowski umarmten einander bei der Begrüßung wie alte Schulfreunde. Mensch Willi, Mensch Aki. Im Ruhrpott wird man zweimal getauft, einmal in der Kirche, einmal auf dem Bolzplatz. Alfred Schmidt war einfach nur Aki, Willi Koslowski war Willi oder eben „der Schwatte“, wegen seiner pechschwarzen Haare in der Jugend. Der Schwatte fragte dann auch den Aki, ob er sich noch daran erinnern könne, wie sie hier an der Glückaufkampfbahn aufs Spielfeld gelaufen sind. Das sei doch zu lange her, entgegnete Aki, setzte sein schelmisches Grinsen auf und sagte: „Ich weiß nur, dass ihr immer auf den Arsch gekriegt habt. Wir haben ja früher kein einziges Spiel verloren.“ Und der Schwatte gab zurück: „Ja, sicher, am Tresen. Am Tresen haben immer alle gewonnen.“
Aki und Koslowski setzten sich zusammen, und mit allem, was sie sagten und wie sie miteinander umgingen, wurde eines deutlich: dass ein oft vergessener, aber dennoch klarer Unterschied besteht zwischen Feindschaft und Rivalität. Es war vermutlich nicht das letzte Gespräch, das Schmidt in seinem Leben über das Derby und die Bedeutung des Fußballs im Ruhrpott geführt hat, aber es dürfte ganz sicher das launigste gewesen sein.
wurde am 5. September 1935 geboren. Er gewann mit dem BVB zwei Meisterschaften, den Europacup der Pokalsieger und den DFB-Pokal. Diesen Titel holte er auch als Trainer von Kickers Offenbach 1970. Er starb am 11. November 2016.
wurde am 17. Februar 1937 geboren. Er gewann mit Schalke 1958 die Deutsche Meisterschaft. Als Rechtsaußen schoss er nicht nur 58 Tore in 182 Oberligaspielen, sondern auch Schalkes ersten Treffer der Bundesligageschichte.
Aki Schmidt, Willi Koslowski, wann haben Sie erstmals Rivalität beim Fußball gespürt?
Schmidt: Sicher bei den Spielen auf der Straße. Wir haben richtige Turniere ausgespielt, der eine Straßenzug gegen den anderen. Jeden Tag ging das so – und abends ist man dreckig von oben bis unten nach Hause gelaufen.
Koslowski: Bei uns gab es das auch, diese Turniere auf dem Schulhof, wo wir mitunter barfuß gespielt haben. Wir hatten ja keine vernünftigen Klamotten oder Bälle.
Schmidt: Wir haben selbst im Bombenschutt während des Krieges gespielt. Die Jagdbomber flogen 30 bis 40 Meter über uns, die Sirene ging zu spät los. Dann hörten wir es: Pack, pack, pack, die Einschläge. Wir rannten los und brachten uns hinter einer Mauer in Deckung, was eigentlich auch nichts gebracht hätte. Aber vielleicht haben die Engländer gesehen, dass wir Kinder waren, und uns deswegen verschont.
Koslowski: Wir haben vom Krieg weniger mitbekommen. In Gelsenkirchen gab es ein großes Benzinwerk, das von den Amerikanern angegriffen wurde. Deshalb wurde ich mit meiner Familie nach Ostwestfalen evakuiert.
Schmidt: Wir haben alles verloren, meine Eltern standen mit nix in der Hand da. Das ist doch das Schlimmste für Kinder: Deine Eltern, deine Beschützer, die waren auch hilflos. Das prägt einen bis heute. Ich wollte doch raus aus der Scheiße. Deswegen war ich beim Fußball auch so ehrgeizig. Ich habe genug Talente eingehen sehen, mit 14, 15 Jahren, grad die erste Kohle von der Lehre. Dann fangen sie das Rauchen und Saufen an, dann kommen die Mädels. Doch ich hatte immer einen Traum: für den BVB zu spielen.
Wie sahen Sie damals Schalke?
Schmidt: Ich habe Schalke immer gemocht. Mein Vater hatte mir in meiner Kindheit eine Art Tipp-Kick mitgebracht, die Figuren waren in Rot und Blau für Nürnberg und Schalke. Immer wenn ich damit gespielt habe, dann hat Schalke gewonnen. Ich habe doch geschwärmt von Szepan, Kuzorra oder Kalwitzki, die hatte ich alle im Kopf, als wir auf der Straße gepöhlt haben. Als ich 14 Jahre alt war, wollte Schalke mich auch holen. Doch dann hätte ich umziehen müssen. Und ich war körperlich noch nicht weit genug für den Schritt nach oben.
Koslowski: Ich wäre auch beinahe beim BVB gelandet.
Schmidt: Das weiß ich sogar auch noch.
Koslowski: Damals gab es ein Spiel in dem Stadion Rote Erde. Ich weiß nicht, wer seinerzeit Schalker Trainer war, auf jeden Fall hat er mich in der Reserve aufgestellt. Ich war Rechtsaußen, und mein Gegenspieler war der Sohn von Max Merkel …
Schmidt: Ach du lieber Gott. Das war doch so’n Kleiderschrank, der konnte nix. Der hat keinen Ball gesehen, oder?
Koslowski: Hömma, der hat nur meine Rückennummer gesehen. Ich war verärgert, weil ich nicht in der Ersten spielen konnte. Und dann haben die Dortmunder angefragt.
Schmidt: Weil die wussten, dass du verärgert wars’ …
Koslowski: Ja, aber Kuzorra hat gesagt: „Nein, du gehs’ nich’ nach Dortmund.“ Er hat entschieden. Punkt. Westfalia Herne hatte mir auch mal ein Angebot unterbreitet, mich mit einem alten, gebrauchten VW-Käfer gelockt. Da hat mich der Kuzorra in den Hof von seinem Tabakladen geführt, eine Plane weggezogen und mir ein nagelneues Mofa geschenkt. Damit war die Sache klar.
„Ich habe Schalke immer gemocht“
Andere Spieler sind zwischen den Rivalen hin- und hergewechselt, beispielsweise Stan Libuda.
Schmidt: Der Stan war ’ne Story für sich. Er war immer ein bisschen ein Schisshase und hatte Angst, dass sie ihn nicht mögen. Seine ganze Sensibilität hat ihn gehemmt, aber er war ein prima Kerl.
Koslowski: Gut, die Spieler sind damals von Dortmund nach Schalke gegangen, das war an und für sich nicht unüblich. Auch der Ulli Bittcher …
Schmidt: Und noch im Mittelfeld einer, ein linker Läufer. Der Erste war doch der Herbert Sandmann.
Koslowski: Ach richtig, Herbert Sandmann. Und Heini Kwiatkowski …
Schmidt: Jau, der Heini auch. Von hier in Gelsenkirchen, aber rüber nach Dortmund.
Liefen die Wechsel damals also glimpflicher ab als heute?
Schmidt: Das hat sich irgendwann wieder gegeben. Aber mit so einer Vorgeschichte lebs’ du natürlich.
Koslowski: Es war nicht so wild. Die Vereine haben sich schließlich auch gegenseitig geholfen, wenn der andere in finanziellen Schwierigkeiten war. Schalke hat mal ein Spiel gemacht, bei dem alle Einnahmen an den BVB gingen.
Schmidt: Das gab es auch. Bei den Zuschauern war immer Theater, das war bei uns nicht unbedingt so.
Wie war das Verhältnis der Spieler untereinander?
Schmidt: Für uns war das auch etwas Besonderes, wir haben alles gegeben, aber es war immer möglich, nach dem Spiel ein Bier zusammen zu trinken, da gab es keinen Hass oder so was. Is’ das richtig, Willi?
Koslowski: Das is’ richtig, Aki. Ich habe auch immer den Dortmundern die Daumen gedrückt und mich gefreut, wenn se einen Titel geholt haben. Im Spiel gab es ers’ Feuer, dann Pilsken zusammen bei Ötte Tibulsky inner Kneipe, wie hieß die bei euch noch mal?
Schmidt: Weiß ich gar nicht. Da gab es direkt in der Roten Erde eine, die auch heute noch geöffnet hat. Da fällt mir ein: Auch Hans Nowak war oft dabei. Lebt der eigentlich noch?
Koslowski: Nee. Der is’ ja von uns aus ’65 nach Bayern gegangen, hat dann auch in Bayern gewohnt und ist dort vor einigen Jahren gestorben, im Sommer 2012.
Schmidt: Ach so. Also noch mal: Wir hatten nie Ärger miteinander.
Koslowski: Die Zuschauer auf den Rängen haben zwar Theater gemacht, aber das heißt nich’, dat se sich geschlagen haben. Aber so was wie heute mit dem Feuerlegen und Watweißichalles, dat war früher nich’ der Fall.
Schmidt: Ich habe die Fans nach meiner Karriere zwölf Jahre als Fanbeauftragter betreut, das war eine schöne Zeit. Aber ich kann diesen Zirkus heute nich’ mehr haben, mit Bengalos und allem. Ich kann das nich’ verstehen: Wenn se sich verarschen, is’ alles gut. Aber wenn se sich auf die Schnauze hauen, das kann ich nich’ ab.
Die Zuschauer saßen früher nah am Spielfeldrand, war das eine noch intensivere Derbystimmung?
Koslowski: Die Stadien hatten eine Laufbahn. Ihr doch auch, Aki, oder?
Schmidt: Ja, da standen Bänke drauf, da saßen se dann alle. Wenn du anne Seite hingeflogen bis, da lagse inne Zuschauer drin.
Koslowski: Oft war das schon kribbelig, aber nicht gefährlich. Wenn der Ball in die Ränge flog und der Gegner mit 1:0 führte, da haben die Fans den Ball nich’ rausgegeben. Und es gab ja nicht viele Bälle …
Schmidt: Ach, überhaupt nicht, vielleicht war ein Ball da, mal zwei.
Koslowski: Der Linienrichter hatte noch einen, wenn Not am Mann war.
Schmidt: Die Fans haben den Ball nich’ rausgerückt, egal ob BVB oder Schalke.
Koslowski: In Aachen wollte ich einma’ den Ball holen. Einer warf ihn nach hinten, dann hat der andere mir mit dem Krückmann die Beine weggezogen. Auch bei Eckbällen mussten wir alle zur Seite schieben, um überhaupt schießen zu können.
Schmidt: Dann haben se dir gesagt, wie du schießen solls’. „Hau ihn kurz rein, Junge“ und so was.
Eine solche Nähe wäre heute undenkbar. Und es gibt wenige Identifikationsfiguren wie Kevin Großkreutz.
Schmidt: Aber ich weiß auch nicht, ob er sich da immer richtig verhält. Er nimmt sich zu viel raus. Ich finde das prima, wie er mit unseren Fans umgeht, aber gerade vor dem Derby schießt er drüber hinaus. Er stachelt sie zu sehr an. Mein Ding ist das nich’.
Koslowski: Aber klar, die meisten Spieler wechseln ständig den Verein …
Schmidt: … du kriegs’ doch keine Traditionsmannschaft mehr zusammen. Die meisten bleiben doch nur im Pott, solange sie hier spielen, und dann geht’s ab woanders hin. Aber die wären auch blöd, wennse es nich’ machen würden.
Koslowski: Die ganze Kohle, das kann doch auch nicht gut gehen. Es kommt doch in der Bundesliga auch Neid auf. Da sitzt der Stammspieler mit seiner Frau am Küchentisch, beide lesen Zeitung und da sagt die Frau: „Kumma, wat der verdient! Und wat verdiens’ du? Geh auch mal hin und klopf mal an.“ So geht dat doch, woll’n wir doch ma’ ehrlich sein. Der Neid wird immer schlimmer. Wo soll dat hinführen?
Schmidt: Das frage ich mich auch, früher haben wir 400 Mark verdient, im Monat, danach gab es etwas mehr.
„Die Leute im Pott kommen auch in schlechten Zeiten“
Was glauben Sie: Hemmt die Rivalität beide Klubs oder beflügelt sie sie?
Schmidt: Wir können uns freuen, dass es zwei Vereine gibt, die so stark sind. Beim Thema eingefleischte Fans gibt es nur diese zwei Vereine. Wen gibt es denn noch? Leverkusen? Wolfsburg? Ach, komm hör auf. Und Bayern brauchen wir gar nich’ rechnen.
Koslowski: Ich krieg das ja hier auf der Geschäftsstelle täglich mit. Die Leute im Pott kommen auch in schlechten Zeiten. Die Fans standen hier und schimpften sich die Seele aus dem Leib. Als sie fertig waren, haben sie gefragt: „Gibt’s noch Karten für Samstag?“
Schmidt: So, jetzt stell’ noch deine letzte Frage, ich muss auch los.
Was war denn Ihr schönstes Derby?
Schmidt: Wir haben mal in Dortmund mit 7:0 gewonnen. Das Spiel fand im dichten Nebel statt, doch der Schiri hat einfach nich’ abgepfiffen. Ich konnte nur zehn Meter weit gucken. Dann fällt mir ein Spiel auf Schalke ein, da haben wir mal nach 20 Minuten mit 6:0 geführt, hast du damals eigentlich mitgespielt, Willi?
Koslowski: Wann war das?
Schmidt: ’64. Da war jeder Schuss ein Treffer. Danach haben wir es locker angehen lassen, Endstand war, glaube ich, 2:6.
Koslowski: Ich mein’ ja, ich war dabei. In diesem Jahr sind wir ja sportlich abgestiegen. Der Schmedeshagen vom DFB hat sich noch für uns eingesetzt, dass wir drin bleiben. So wurde die Bundesliga auf 18 Mannschaften aufgestockt. Ich erinnere mich noch an ein Heimspiel gegen Dortmund 1957. Damals habe ich noch in der Glas- und Spiegel-Manufaktur gearbeitet und bin am Tag vor dem Spiel in einen rostigen Nagel getreten. Der Fuß war dick und die Schmerzen groß. Doch es ging gegen Dortmund, da hat mir der Arzt eine Spritze reingejagt. Das Spiel ging dann 2:2 aus, doch ich habe zwei Tore gemacht. Aber danach habe ich ersma’ zwei Wochen krankgefeiert. In der gleichen Saison wurden wir am Ende Deutscher Meister. Ich weiß noch: Bei der Rückfahrt vom Endspiel in Hannover hat unser Sonderzug in Dortmund gehalten. Dort wurden wir vom Vorstand und den Spielern des BVB mit Blumensträußen empfangen, bevor es nach Gelsenkirchen ging.
Schmidt: Genau, ich weiß noch, wie ich danach auf dem Weg zur WM in Schweden dem Willi Schulz zur Meisterschaft gratuliert habe.
Koslowski: Wir hoffen ja hier, dass es mit der Deutschen Meisterschaft noch etwas wird. Es wird immer schwieriger von Jahr zu Jahr. Da muss es schon optimal laufen und der liebe Gott nachhelfen.
Schmidt: Natürlich. Und wenn es so weit kommen sollte, gratuliere ich dir als Erster, Willi.