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Gäbe es gerade keine Pan­demie, die Ver­su­chung wäre groß, durch die unzäh­ligen kleinen Bars in der Alt­stadt von Vitoria-Gas­teiz zu ziehen, um 100 Leute zu fragen: In welche Stadt ging die beste Aus­wärts­fahrt aller Zeiten? Schließ­lich feiern sie in der nord­spa­ni­schen Stadt in diesem Jahr ein dop­peltes Jubi­läum: Depor­tivo Alavés wird 100 Jahre alt, und ein abso­luter Schlüs­sel­mo­ment der Ver­eins­ge­schichte ist exakt 20 Jahre her.

Die Top-Ant­wort auf die Frage nach der Aus­wärts­fahrt wäre übri­gens Dort­mund, kein Zweifel. Wenn das West­fa­len­sta­dion ins Spiel kommt, gerät der Alavés-Fan ins Schwärmen und ver­gisst für den Moment alles andere. Auch das, was danach kam: die Abstiege, die Insol­venz, den exzen­tri­schen Olig­ar­chen, der den Klub fast rui­nierte. Am 16. Mai 2001 sehen 12.000 mit­ge­reiste Ala­ve­sistas, wie der Außen­seiter den großen FC Liver­pool im UEFA-Cup-Finale ins Wanken bringt. Neun Tore, zwei Platz­ver­weise, eine Ver­län­ge­rung und ein Golden Goal ins eigene Netz – die viel­leicht epischsten 117 Minuten der UEFA-Cup-Geschichte.

Oh mein Gott, ist das ein­fach“

Dachte Michael Owen jedenfalls noch zur Halbzeit des Endspiels gegen Alavés

Nicht nur bei den Fans, auch bei den dama­ligen Spie­lern von Alavés hat die Reise in den Ruhr­pott tiefen Ein­druck hin­ter­lassen. Für uns war es damals das Debüt im euro­päi­schen Wett­be­werb, und dann im Finale gegen Liver­pool… Trotz allem waren wir über­zeugt, dass wir gewinnen konnten“, erin­nert sich jüngst Jordi Cruyff anläss­lich des Ver­eins­ju­bi­läums. Die Über­zeu­gung, den Pokal wirk­lich heim ins Bas­ken­land bringen zu können, weicht jedoch schnell der Ernüch­te­rung. Markus Babbel trifft schon in der 3. Minute für die favo­ri­sierten Reds. In der 16. wird der junge Steven Ger­rard im Straf­raum frei­ge­spielt und netzt ziem­lich mühelos zum 2:0 ein. Nach dem Anschluss­treffer scheint ein vogel­wilder Tor­wart­aus­flug früh­zeitig den Deckel zugunsten von Liver­pool drauf­zu­ma­chen. Keeper Martín Her­rera ver­schätzt sich und stoppt Michael Owen im Sech­zehner unge­lenk von hinten. Den Elf­meter ver­wan­delt Gary McAl­lister zum 3:1‑Pausenstand. Die Eng­länder wähnen sich bereits als sichere Sieger. Ich ging vom Rasen und dachte: Oh mein Gott, ist das ein­fach“, sagte Michael Owen 2016 im 11 FREUNDE-Inter­view.

Er soll sich irren: Nur vier Minuten braucht Depor­tivo Alavés in der zweiten Halb­zeit, um aus­zu­glei­chen. Liver­pool geht erneut in Front, aber zwei Minuten vor Schluss gelingt Jordi Cruyff das 4:4. In der Ver­län­ge­rung ver­liert Alavés erst zwei Spieler durch Gelb-Rote Karten und dann das Spiel per Golden Goal mit 4:5 – durch ein Eigentor in der 118. Minute.
Die Partie ist so etwas wie der Inbe­griff eines wilden Ritts. Viel Zeit zum Durch­atmen bekommt Alavés danach nicht. Die Ent­wick­lungen beim größten Vizecham­pion aller Zeiten“, wie die Tages­zei­tung El País tags darauf jubi­liert, sind unauf­haltsam.

Sehn­sucht nach dem starken Mann

In 100 Jahren Ver­eins­ge­schichte kann Alavés gerade einmal 16 Sai­sons in der Pri­mera Divi­sión vor­weisen. Titel: Fehl­an­zeige. Erfolg­rei­chen Sport bekommt man in Vitoria-Gas­teiz woan­ders geboten. Saski Bas­konia ist seit Jahr­zehnten eine echte Refe­renz im spa­ni­schen und euro­päi­schen Bas­ket­ball, mehr­fa­cher spa­ni­scher Meister. Spä­tes­tens nach Dort­mund wird in der Bas­ket­ball­stadt jedoch auch der Fuß­ball wieder attraktiv. 2001/2002 gelingt Alavés noch­mals die Qua­li­fi­ka­tion für den inter­na­tio­nalen Wett­be­werb, aber im Jahr darauf geht es runter in die Segunda Divi­sión. Über­ra­schend kommt das nicht wirk­lich. Der Klub legt Wert auf solide Finanzen, hält sich auf dem Trans­fer­markt zurück, ist dadurch quasi schul­den­frei. Sport­lich reicht es aber nicht.

2003/2004 miss­lingt der direkte Wie­der­auf­stieg, wäh­rend in Madrid und Bar­ce­lona Flo­ren­tino Pérez und Joan Laporta mit den Neu­ver­pflich­tungen David Beckham und Ronald­inho für Auf­sehen sorgen. Im Umfeld von Alavés fan­ta­sieren einige, der Klub wäre auch auf dem Weg in diese Kate­gorie, schließ­lich habe man gerade erst fast den UEFA-Cup geholt. Als im Sommer 2004 die Füh­rungs­riege hin­wirft und der Mehr­heits­an­teil des Klubs zum Ver­kauf frei­ge­geben wird, werden die Sehn­süchte einiger nach einem starken Mann“ erfüllt – und die Tal­fahrt beginnt.

Erste Amts­hand­lung: Nackt­fotos!

Mas­siven Fan­pro­testen zum Trotz sichert sich der Ukrainer Dimitri Piterman die Klub­an­teile. Der Geschäfts­mann kann ein paar Erfolge als Drei­springer in seiner Jugend­zeit vor­weisen, das war’s dann aber auch mit seinem sport­li­chen, geschweige denn fuß­bal­le­ri­schen Hin­ter­grund. Den­noch ist er der Über­zeu­gung, an ihm sei ein Trainer ver­lo­ren­ge­gangen. Bei seiner vor­he­rigen Sta­tion als Prä­si­dent von Racing San­tander lässt er sich als Foto­graf akkre­di­tieren, um in den Sta­di­on­in­nen­raum zu gelangen. Hinter der Trai­ner­bank pos­tiert dik­tiert er seinem Coach die tak­ti­sche Marsch­route. In San­tander jagt man den win­digen Olig­ar­chen schnell wieder vom Hof. Bei Alavés kann er sich aus­toben.

Als eine seiner ersten Amts­hand­lungen als Prä­si­dent von Alavés lässt Piterman sich vom Klatsch­blatt Interviú auf der Trai­ner­bank im Estadio Men­diz­or­roza ablichten – split­ter­fa­ser­nackt. Du bist ja ein hüb­scher Kerl, aber das nächste Mal ziehst du dich besser zuhause auf der Couch aus“, über­mit­telt ihm Fan-Ikone Asun Gorospe, Alles­fah­rerin seit den 1950er-Jahren, stell­ver­tre­tend für die erbosten Fans. Als diese Piterman im Sta­dion aus­pfeifen, beti­telt er sie als min­der­be­mit­telte Säufer“. Trainer sind für Piterman nichts als Mario­netten, die er nach Belieben ein­stellt und wieder feuert. Aus San­tander bringt er seinen Weg­werf­trainer“ (El País) Jesús Chuchi“ Cos mit und erkauft mit einem über­teu­erten Kader den Wie­der­auf­stieg. Es bleibt jedoch bei einem ein­jäh­rigen Inter­mezzo in der Pri­mera Divi­sión.