Daniel Thioune ist der einzige schwarze Trainer im deutschen Profifußball. Nun übernimmt er beim HSV. Wie geht er mit dem Rassismus hierzulande um, wie mit schlechten Berufschancen? Und was hat er sich von Jürgen Klopp abgeschaut?
Dieses Interview erschien erstmals im vergangenen September in 11FREUNDE #215. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Daniel Thioune, Sie sind in Osnabrück aufgewachsen. Wann haben Sie an der Bremer Brücke zum ersten Mal ein Spiel des VfL Osnabrück gesehen?
Da dürfte ich sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein. Es war auf jeden Fall an einem Freitagabend unter Flutlicht, denn samstags und sonntags musste mein Vater immer arbeiten. Er war dann unterwegs, um auf Märkten mit Antiquitäten zu handeln.
Ihr Vater stammt aus dem Senegal, wie war es in den achtziger Jahren, als nicht-weißer Junge in ein Fußballstadion zu gehen?
Ich bin immer mit Freunden gegangen und kann mich nicht an besondere Probleme erinnern. Allerdings gab es damals diese „Asylanten, Asylanten“-Sprechchöre, um den Gegner zu beleidigen. Da habe ich nicht mitgerufen, denn bei uns zu Hause waren immer viele Afrikaner zu Besuch, darunter auch Asylanten. Die haben bei uns gegessen, und ich habe sie bis heute als sehr nette Leute in Erinnerung.
Wie war es ansonsten als Kind eines afrikanischen Vaters in Deutschland?
Ich bin im beschaulichen Osnabrück relativ behütet aufgewachsen. Aber wenn man an einer Gruppe Halbstarker vorbeigekommen ist und etwas stärker pigmentiert war, musste man sich halt anhören, dass man nicht die schönsten Schuhe hat. Auch körperlich musste man mal einstecken, aber da war nicht immer klar, ob meine Hautfarbe der Grund dafür war oder meine große Klappe. Und an der Kneipe, wo die Jungs mit den ganz kurzen Haaren und den Springerstiefeln getrunken haben, musste ich natürlich etwas schneller vorbei. Gut, dass ich schnell war.
Wie waren Ihre Erfahrungen als Fußballspieler?
Ich habe lange in Mannschaften gespielt, wo die Trikots keine Rückennummern hatten. Dann hieß es bei den Gegnern: „Nimm du den Neger!“ Natürlich war das ein Schimpfwort, aber das fand ich nicht so schlimm. Wenn ich rote Haare gehabt hätte, hätte es wahrscheinlich geheißen: „Nimm den Roten!“ Unangenehmer wurde es später in der Bezirksklasse. Wenn wir von Osnabrück aufs Land gefahren sind, waren die Beleidigungen oft bösartig.
Haben Sie wegzuhören versucht oder haben Sie gegengehalten?
Wenn mich eine Provokation verletzt hat, habe ich den Mund aufgemacht und ein paar Dinge gesagt, die nicht zitierfähig sind. Ich musste als Mensch reifen, um besser damit umgehen zu können.
Nämlich wie?
Ich habe es als Motivation genommen, es den Leuten zu zeigen.
Aber hat so was nicht Grenzen?
Klar, ich habe auch mitbekommen, was mit meinen guten Freunden Otto Addo und Gerald Asamoah 1998 bei der Relegation mit Hannover 96 in Cottbus passiert ist. Als sie dort mit Steinen beworfen wurden und das Publikum „Neger raus“ gerufen hat. Ein Jahr später durfte ich ähnliche Erfahrungen machen, als ich mit dem VfL Osnabrück in der Relegation zur zweiten Liga in Chemnitz gespielt habe.
Was ist da passiert?
Das Bild, das sich mir am tiefsten eingebrannt hat, ist das von einem Ordner, der den Swoosh von Nike auf seinem Shirt hat. Aber darüber stand nicht „Nike“, sondern „Nazi“. So was kannte ich nicht. Wenn dann auch noch 12 000 Zuschauer singen „Haut den Neger um“, fühlt man sich bei dem abgeholt, was Gerald und Otto ein Jahr zuvor erlebt hatten.
Hat Sie das eingeschüchtert?
Absolut! Dann spielt man keinen Fußball mehr, sondern fragt sich, was eigentlich passiert, wenn man gewinnt. Nach fünf Minuten habe ich eine Flanke vors Tor geschlagen, die fast reingegangen wäre. Anschließend war ich froh, dass das nicht passiert ist. Dass wir unter den Umständen nicht aufgestiegen sind, dürfte niemanden wundern.
Erst mit 22 Jahren wurde er Profi und spielte dann beim VfL Osnabrück, in Lübeck und Ahlen. Seit 2013 ist er Trainer in Osnabrück, erst im Nachwuchs und seit zwei Jahren bei den Profis. Letzte Saison gelang ihm die Rückkehr in die zweite Bundesliga.
War das ein einsamer Tiefpunkt oder gab es ähnliche Erfahrungen in anderen Stadien im Osten?
So was wie in Chemnitz hatte ich vorher noch nie erlebt. Ich kann mich auch an spätere Spiele in Magdeburg oder Dresden erinnern, wo ich froh über den Zaun ums Spielfeld war. Andererseits habe ich letzte Saison in Cottbus sehr positive Erfahrungen gemacht, obwohl das Publikum dort ein schlechtes Image hat. Wir haben gewonnen, Energie stand mitten im Abstiegskampf, und trotzdem kam kein einziges fremdenfeindliches Wort von der Tribüne. Im Gegenteil: Die Wortwechsel mit den Zuschauern waren ganz freundlich. Wir dürfen also nicht alles und jeden über einen Kamm scheren.
Dennoch: Fahren Sie auch heute noch mit einem mulmigen Gefühl in den Osten?
Nein, aber andererseits stelle ich mir die Frage: Was hat sich da geändert? Unser Spiel in Chemnitz ist zwanzig Jahre her, und in diesem Jahr gedenkt der Verein im Stadion einem Fan mit rechtsradikalem Background, offensichtlich solidarisiert sich ein Spieler mit rechten Hools, und Manager Thomas Sobotzik, der ihn entlässt, wird von Teilen sogenannter Fans als „Judensau“ beschimpft. Das ist doch unglaublich!
Haben Sie das Gefühl, dass sich die Probleme mit Rassismus im Fußball nicht verbessert haben?
Doch, es hat sich eine Menge geändert. Wenn wir nur auf die deutsche Nationalmannschaft schauen, haben wir inzwischen eine Menge Jungs mit Migrationshintergrund. Vor zwanzig Jahren wäre es mir schwergefallen, zu einer Weltmeisterschaft das Deutschland-Trikot anzuziehen, weil man als Bürger dieses Landes nicht akzeptiert wurde. Das ist schon lange nicht mehr so.
Was haben Sie gedacht, als Sie von den Äußerungen des Schalker Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies erfuhren, der den Bau von mehr Kraftwerken in Afrika nahegelegt hat, damit im Dunkeln nicht so viele Kinder gezeugt werden?
Darin offenbart sich ein antiquiertes Bild, das man an manchen Stammtischen hört, wenn das Kaltgetränk zu intensiv geflossen ist.
Ihr Freund Gerald Asamoah hat gesagt, er sei „sprachlos, geschockt und verletzt“ gewesen. Sie auch?
Ja. Aber ich glaube, dass es für ihn noch einmal schlimmer war, weil es jemand gesagt hat, der eigentlich zu seinem Kreis zählt. Das geht einem viel näher, als wenn das irgendwer sagt. Außerdem hat Gerald eine wesentlich intensivere Beziehung zu Afrika, als ich das habe. Ich bin in diesem Jahr zum ersten Mal dort gewesen, nachdem mein Vater gestorben ist.
Hätte Tönnies zurücktreten müssen?
Diese Entscheidung kann man niemandem abnehmen, das musste er allein für sich entscheiden. Möglicherweise wird er das Thema aber nicht so schnell
loswerden.
Haben Sie in der Frage des Antirassismus ein klares Sendungsbewusstsein?
Ich habe mich kürzlich relativ deutlich zum Fall Bakery Jatta geäußert …
… dessen Identität und dessen Flüchtlingsgeschichte angezweifelt wurden und der beim Spiel des Hamburger SV in Karlsruhe massiv ausgepfiffen worden ist.
Ich habe gesagt, dass es dem Jungen sicherlich nicht guttut, dass er ständig an seine Odyssee der Flucht erinnert wird, und dem Fußball auch nicht. Ich würde solche Pfiffe in Osnabrück nicht tolerieren. Daraufhin habe ich von unseren Fans das Feedback bekommen, dass es das bei uns nicht geben würde. Es war einerseits natürlich gut, die eigenen Jungs hinter sich stehen zu haben, wenn man sich so weit aus dem Fenster hängt. Mir war aber auch nicht klar, was ich mit meiner Aussage lostreten würde. Ich werde offenbar als Sprachrohr wahrgenommen, und meine Aussagen gewinnen an Bedeutung, habe ich festgestellt.
Erst dadurch?
Wenn ich im Supermarkt an der Kasse sitzen würde, könnte ich das jedem Kunden erzählen, aber niemanden würde es interessieren. Und auch nicht als Tabellensiebzehnter der Dritten Liga, wie vor zwei Jahren.
Sie haben sich ein sehr langes Zitat von Will Smith aus dem Film „Das Streben nach Glück“ auf den linken Unterarm tätowieren lassen: „Don’t ever let somebody tell you, you can’t do something. Not even me. You got a dream, you gotta protect
it. When people can’t do something themselves, they’re gonna tell you that you can’t do it. You want something? Go get it. Period.“ Was bedeutet das für Sie?
Ich habe den Film oft gesehen, und über diesen Spruch habe ich 2016 meine Abschlussarbeit zum Fußballlehrer geschrieben. Letztlich geht es darum, dass ich mir von niemandem sagen lasse, dass ich etwas nicht kann. Ich war in keinem Nachwuchsleistungszentrum und bin über die Kreisliga in den Profifußball gekommen. Meine erste Bewerbung zum Lehrgang für Fußballlehrer ist abgelehnt worden, und jetzt darf ich einen Zweitligisten trainieren.
Sie sind auch der einzige schwarze Cheftrainer im deutschen Profifußball. In den größeren europäischen Ligen gibt es
nur drei schwarze Trainer: Nuno Espirito Santo bei den Wolverhampton Wanderers, Patrick Vieira bei OGC Nizza und Vincent Kompany bei seinem Heimatverein RSC Anderlecht. Und hat-
ten wir in der Bundesliga überhaupt schon mal einen?
Zählen wir Valérien Ismaels Zeit in Wolfsburg nicht dazu? Aber wissen Sie: Ich kann in Problemen unterwegs sein oder in Lösungen.
Piara Powar, der Direktor von „Football Against Racism in Europe“, sagt: „Es besteht weiterhin das Vorurteil, dass schwarze Athleten zwar gute Performer sind, aber keine Leader.“
Das mag sein, aber darauf habe ich keinen Einfluss. Wenn ich mich aber mit Dingen beschäftige, auf die ich keinen Einfluss habe, bin ich nicht gut da, wo ich gerade bin. Und bislang habe ich funktioniert – unabhängig von meiner Hautfarbe. Aber klar, es gilt nach wie vor: Man muss als Schwarzer deutlich härter arbeiten, um zu leben wie ein Weißer.
Der englische Autor Simon Kuper schreibt: „Wenn Klubs einen Trainer verpflichten, dann denken sie auch an die damit verbundene PR. Sie suchen jemanden, der ‚wie ein Trainer‘
aussieht“. Und das ist ein Weißer, denn sie wollen sich in Krisen nicht vorwerfen lassen, ein Risiko eingegangen zu sein.
Das ist alles richtig. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass man diese Karte selbst spielt, indem man sagt: Ihr macht das nur, weil ich schwarz bin. Ganz ehrlich, beides ist mir zu einfach, zu trivial.
War es ein Vorteil, dass Sie sich an einem Ort etablieren konnten, wo man Sie kannte? Sie haben als ehemaliger Spieler des Klubs die B‑Jugend des VfL Osnabrück in die Bundesliga geführt, dann die A‑Jugend und dann den Nachwuchs geleitet.
Wir sind im Leistungszentrum des VfL Osnabrück sehr bunt. Wir haben einen kleinwüchsigen Jugendtrainer, hatten eine Frau als Jugendtrainerin und haben einen Farbigen eingestellt. Aber wir haben sie nicht eingestellt, um bunt zu sein, sondern weil wir auf Qualität setzen. Letztlich ist es in Deutschland auch eine Frage der Zeit. In meiner Kindheit war ich der einzige Schwarze in der Schule, jetzt ist in jeder Klasse ein farbiges Kind. Also wird es auch mehr farbige Trainer geben. Und wenn ich so weiter mache, wird mich niemand und nichts aufhalten, auch meine Hautfarbe nicht. Aber sie wird es mir auch nicht einfacher machen, das ist mir schon klar.
Was ist mit dem VfL Osnabrück denn möglich?
Es gibt keine Grenzen, und ich möchte gemeinsam mit dem Klub weiter wachsen. Letzte Saison haben wir die erfolgreichste Drittligasaison aller Zeiten geschafft; ich würde mich nicht dagegen wehren, wenn wir das in diesem Jahr in der zweiten Liga wiederholen.
Es heißt, Sie seien außergewöhnlich gut darin, alle in der Mannschaft mitzunehmen. Wo haben Sie das gelernt?
Ich war halt auch mal nur die Nummer 16 oder 17 oder habe auf der Tribüne gesessen. Und ich habe Trainer erlebt, die jene verloren haben, die sie später gebraucht hätten. Deshalb gehört zu meiner Idee vom Trainerjob etwa, dass ich beim Spielersatztraining für jene, die am Wochenende nicht eingesetzt worden sind, selber auf dem Platz stehe. Das ist für mich das wichtigste Training in der Woche.
Gab es einen Trainer, bei dem Sie sich das abgeschaut haben?
Ich erzähle Ihnen eine andere Geschichte. Wir hatten einen Trainer, der uns sehr schlecht behandelt hat, sehr respektlos und immer meinte, er sei was Besseres. Eines Tages kommen vor einem Auswärtsspiel in der zweiten Liga der Präsident und Vizepräsident in unser Hotel und sagen: „Wenn ihr morgen nicht liefert, müssen wir den Trainer entlassen.“ Was denken Sie, wie das ausgegangen ist? Wir haben 0:2 verloren. Es hat niemand absichtlich schlecht gespielt, aber es ist auch niemand für ihn durchs Feuer gegangen.
Wie erreichen Sie das Gegenteil?
Letzte Saison habe ich mal einen Spieler vor allen anderen total auseinandergeschraubt, weil eine Verhaltensweise auf dem Platz völlig unangemessen war. Ich habe ihn angeschrien, und das war etwas, was ich nie wollte. Am nächsten Tag in der Besprechung habe ich mich bei ihm entschuldigt und gesagt, dass ich finde, dass er kein schlechter Spieler, sondern unter seinen Möglichkeiten geblieben ist. Als Beleg dafür habe ich drei Minuten seiner besten Szenen gezeigt. Eine Woche später schießt er zwei Tore und ein Spieler kommt zu mir und sagt: Vielleicht lag es daran, dass du ihm das Video gezeigt und dich entschuldigt hast.
Könnte von Jürgen Klopp sein.
Ich finde die Sozialkompetenz eines Jürgen Klopp schon auch geil. Als er mich vor zwanzig Jahren als Spieler mal verpflichten wollte, hat er als Erstes gefragt, wie es auf Mallorca war. Er wusste, dass ich mit seinen Jungs Sandro Schwarz und Michael Thurk unterwegs gewesen war. „Weißt du, wo man richtig gut feiern kann? Hier bei uns in Rheinhessen.“ So ein Entrée ist überragend. Ich bin auch ein paar Mal beim Training in Dortmund gewesen und habe dazu meinen kleinen Jungen mitgenommen. Klopp ist zu ihm gekommen und hat gesagt: „Toll, dass du heute hier bist.“ So ein Verhalten ist für mich wichtiger als manche Fachkompetenz. Wenn die Kinder meiner Spieler heute kommen, wissen sie, dass bei mir in der Schublade Überraschungseier sind.
Man ahnt, warum Sie in Osnabrück als „Menschenfänger“ gefeiert werden.
Vielleicht hat es auch was damit zu tun, dass ich mich in meinem ganzen Leben, auch aufgrund meiner Hautfarbe, an die Gegebenheiten anpassen musste. Außerdem kann ich über mich selber lachen. Gestern hat mir einer der Jungs beim Training zentral in die Körpermitte geschossen, ich bin zusammengesackt und musste kurz nach Luft schnappen. Weil es nicht alle gesehen haben, zeige ich es morgen in der Videoanalyse. Vielleicht gewinnt man dadurch keine Spiele, aber ein paar Jungs – und irgendwann zahlen sie zurück.
„Wenn die Kinder meiner Spieler kommen, wissen sie, dass bei mir in der Schublade Überraschungseier sind“