Für immer Punk! Aber nicht für immer HSV! Dirk Jora, Sänger der Band Slime, war in den Siebzigern Stammgast in der Westkurve, schrieb sogar eine Hommage an seinen Block. Dann kippte die Stimmung nach rechts – und Jora ging. Ein Rückblick.
Das Interview erschien im Feburar 2011, wenige Tage vor dem Hamburger Derby (Rückspiel), das St. Pauli mit 1:0 gewann.
Dirk, du redest nicht gerne über Fußball?
Stimmt nicht. Ich rede nicht gerne über die HSV-Sache. Ist alles so alt, so weit weg, tausendmal diskutiert, bin ich durch mit. Hab ja sogar meine Diplomarbeit drüber geschrieben.
Ernsthaft?
Klar, es ging darum, wie alles begann, warum man vom HSV zum FC St. Pauli wechselt.
Und wie zieht man das wissenschaftlich auf?
Soziologisch. (Pause.) Ja, wo soll ich anfangen? Vielleicht beim Flugblatt, das Anfang der Achtziger rumging, und in dem sie konkret dazu aufriefen, Anhänger für ihre rechte Scheiße zu rekrutieren. Bei der „Borussenfront“ in Dortmund, bei der „Adlerfront“ in Frankfurt, bei den „Löwen“ in Hamburg. Wobei wir eigentlich schon mittendrin sind. Bevor ich alles doppelt erzähle, schmeiß‘ doch mal das Ding an. (zeigt aufs Diktiergerät.)
Ist an.
Ach so, es ist an. Alles klar, Digger. Ich sag’s nur, damit die Dinge nicht durcheinander gebracht werden.
Dirk, du warst in den sechziger Jahren zum ersten Mal beim HSV. Weißt du noch, bei welchem Spiel?
Das war ein Bundesligaspiel am Rothenbaum, dort, wo heute die ganzen Yuppiebauten stehen. Charly Dörfel spielte noch. Uwe Seeler, klar, der auch. Doch welches Spiel? Keine Ahnung.
Wer hat dich mit zu den Spielen geschleppt?
Vadder, Schulfreunde auch. Als Kurzer willst du erfolgreichen Fußball sehen, da gehst du nicht zum cooleren Verein, zumal es solche Alternativen damals noch gar nicht gab. Ich freute mich auf Charly Dörfel und Uwe Seeler. Vor allem Charly – ‚ne lustige Figur. Ich glaube, er ist ein ganz netter Typ.
Wie fühlte sich Fußball für dich damals an?
Zum einen wirkte alles näher dran, schon wegen des Stadions, wo man direkt am Feld stand. Andererseits hatte man als Fan viel mehr Abstand zum Fußball. Man war nicht Teil des Ganzen. Später im Volksparkstadion wurde es noch schlimmer: Da war man nur noch zahlender Kunde – Fresse halten, Geld abliefern. Dazu gab es ein bisschen Folklore auf den Rängen, doch die verpuffte in dieser riesigen Drecksschüssel sowieso.
Warum kam keine Stimmung auf?
Alles verhallte. Du hast gesungen, dir die Kehle aus dem Leib geschrien, doch im Grunde tatest du das nur für dich. Du warst isoliert. Und ich glaube, das war auch der große Unterschied zu St. Pauli. So fühlten ja auch viele andere Fans. Ich könnte heute in der Gegengrade locker 40 bis 50 Leute outen, die mit mir damals beim HSV standen.
Die aber nicht dazu stehen?
Viele nicht. Ich finde es ziemlich schwach, wenn man nicht zu seiner Vergangenheit steht. Meine Güte, wir haben damals gemeinsam von unserem Verein geredet! Der HSV – das war unser Verein! Der FC St. Pauli hat damals gar nicht existiert.
Seid ihr auch auswärts gefahren?
Klar, ich war immer mit Andi unterwegs, heute noch ein guter Kumpel. Wir sind am Freitagabend mit dem HSV nach Düsseldorf gefahren und am Samstag zur Demo nach Brockdorf. Absurd eigentlich. Zumindest für damalige Verhältnisse. Die anderen HSV-Fans haben uns schräg angeguckt. Als Linker war man Einzeltäter.
War die Westkurve im Volksparkstadion in den siebziger Jahren schon politisch?
Einige Leute aus der Hamburger Punkszene hingen mit den „Löwen“ ab, die sich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht positioniert hatten. Die trugen Rastaketten und Nieten an der Kutte. Aber letztendlich drückten sie damit keine bewusste politische Haltung aus. Das waren einfach Rebellen, so ‚ne richtige Rockergang.
Und die Punks sind mitgegangen?
Zum Teil. Wir haben so nie Eintritt gezahlt.
Wie kam das?
Der „Löwen“-Präsident ist vorne weg gegangen, hinter ihm 150 harte Jungs. Vor dem Eingang sind die Ordner dann einfach zur Seite getreten. Zwei Jahre lief das so. Zwei Jahre haben wir keinen Eintritt gezahlt – die „Löwen“ waren ‚ne Macht.