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Seite 3: „Hamburg war united“

Politik machten sogar die Spieler. Erin­nerst du dich noch an Volker Ippigs Auf­tritt im Sport­studio?
Ja, wie ges­tern. Bernd Heller hieß der Mode­rator. Volker saß da mit seiner aus­ge­bleichten Jeans und seinen Nica­ragua-Auf­bau­helfer-Botten. Heller, der Mann mit dem Klapp­scheitel, sto­cherte die ganze Zeit rum, fragte ständig, wie man das unter einen Hut bringen kann: Nica­ragua, Linker, Hafen­straße, Pro­fi­fuß­ball. 

Es prallten zwei Uni­versen auf­ein­ander. 
Das passt doch nicht“, stot­terte Heller. Volker ant­wor­tete tro­cken: Für mich schon.“ Und danach sagte er auf jede Frage nur noch: Ja“, Nee“, Nö“, Stimmt“, Genau“. Heller wurde zuse­hends ner­vöser, und wir saßen vor dem Fern­seher, jubelten und sind durch das Wohn­zimmer gesprungen. Legendär! Ein wirk­lich legen­däres Inter­view!

Einige Fans des HSV oder FC St. Pauli gehen in Ham­burg zu Altona 93. Der Klub ist ihre Alter­na­tive zum Event des Pro­fi­fuß­balls. Ist Altona für dich eine Option?
Ich gehe nicht zu Altona. Was soll ich da? Und was soll das: Altona 93 als Gegen­pro­jekt auf­bauen? Was ist das für ein Scheiß, Alter? Jedesmal wenn sie auf­steigen können, ziehen sie wieder zurück. Das ist doch alles Quatsch. Sowieso: Dieses ganze Gelaber von wegen St. Pauli ist nicht mehr St. Pauli“. Meine Fresse! Da kannste auch sagen Slime ist nicht mehr Slime “ und Punk ist nicht mehr Punk“. 

Für dich ist die Kom­mer­zia­li­sie­rung eine Ent­wick­lung, die nicht an Ver­einen oder Bewe­gungen vorbei gehen kann? 
Ich muss letzt­lich auch sagen: Ich bin Fuß­ballfan und kein Pauli-Fan, ich hasse Pauli-Fans, denn Pauli-Fans ist es scheiß­egal, in wel­cher Liga ihr Klub spielt. Ich bin aber Fan des FC St. Pauli, und ich will meinen Verein erfolg­reich spielen sehen. Ich will einmal diese Gur­ken­truppe von Celtic Glasgow im Euro­pa­pokal raus­hauen und dabei beide Spiele gewinnen. 

Gur­ken­truppe? Du bist doch auch Celtic-Fan… 
Digger, ich bin mit Celtic in 16 Län­dern und in 26 Städten gewesen. Litauen, Hel­sinki, ich war überall, ich war in Sevilla beim Uefa-Pokal-Finale, natür­lich ohne Ticket, aber mit 80.000 Leuten in der Stadt, die alle keine Karte hatten. Ich bin seit 20 Jahren Celtic-Fan. Celtic hat für mich bei­nahe den­selben Stel­len­wert wie St. Pauli. 

Wie fing das an mit Celtic?
Ich fand den Verein schon lange fas­zi­nie­rend, er hatte diese Rebel-Atti­tüde. Und 1990 sind wir dann mit Sven (Brux, damals bei Mill­erntor Roar“, d. Red.) und neun wei­teren Leuten zu einem Aus­wärts­spiel nach Bel­gien gefahren…

…und dann standet ihr vor der Fan­kurve…
…und dort sagten wir: Hey wir sind aus Ham­burg, St. Pauli. Wollen mal mit euch sup­porten.“ Wir hatten auch unseren Celtic/St.Pauli-Banner dabei. Leichter Grö­ßen­wahn natür­lich, wir konnte ja nicht davon aus­gehen, dass die Celtic-Fans den FC St. Pauli kennen. Celtic ist ja ein Big Club, der erste bri­ti­sche Euro­pa­po­kal­ge­winner. Eine Sache, die jeden Man­United- und Liver­pool-Fan so was von auf die Nüsse geht. Und was haben wir gewonnen? Den Oddset-Cup.

Nicht den Schweinske-Cup? 
Und den Schweinske-Cup. Wie auch immer: Dass wir ne Freund­schaft mit einem Big Club haben, der in der Welt Mil­lionen von Fans hat, ist schon abge­fahren.

War diese Freund­schaft am Anfang nicht eine sehr ein­sei­tige Sache? 
Klar, auch wenn wir von Beginn an gerne gesehen wurden. Es hieß immer: Da kommen die Wahn­sin­nigen aus Ham­burg vom Anti-Fascist-Club.“ Wenn du in den ersten Jahren im Celtic-Park unter den 63.000 Zuschauern eine Toten­kopf-Flagge gesehen hast, dann hast du den Halter ange­betet. Doch es hat sich gewan­delt: Wir waren 2010 beim Old Firm“, und – ich will nicht lügen – da waren hun­derte St.Pauli-Schals oder Fahnen im Sta­dion. 

Ist es eigent­lich ein Pro­blem für dich, dass du nicht mehr so nah am Klub und am Fuß­ball bist wie früher? 

Ich bin ja bewusst nicht mehr so invol­viert. Aller­dings, und das habe ich schon häu­figer gesagt: Für mich heißt ein geputztes Klo nicht gleich Yuppie. Solange es das Jolly (Jolly Roger, Kneipe am Mill­erntor, d. Red.) gibt, USP, die alte Sin­ging Area“ in der Gegen­ge­rade, solange da Leute sind, die auch mal das Maul auf­ma­chen, finde ich es immer noch ange­nehmer als überall sonst. Guck dir andere Ver­eine wie Schalke 04 an. Da haben sie ohne Pro­bleme so ne Scheiße wie den Geld­chip durch­ge­setzt. Beim FC St. Pauli aber haben sich die Leute mit Erfolg gegen den Mill­ern­taler“ auf­ge­lehnt. Inso­fern ist man hier immer noch näher dran – ob man will oder nicht – als bei anderen Klubs.

Wo stehst du heute? 
Ich bin vor sechs Jahren mit vielen älteren Leuten aus der Gegen­ge­raden geschlossen auf die Haupt­tri­büne gegangen. Du hast halt deinen Platz. In der Gegen­ge­rade war es doch so: Du gehst einmal pissen und hast das halbe Spiel ver­passt. Das hat ein­fach genervt. Oder du stehst unten und guckst gegen den Zaun, alles kacke. 

Was hältst du von Ultra Sankt Pauli?
USP ist ein Knack­punkt. Wie viele Leute aus meinem Umfeld habe ich ein ambi­va­lentes Ver­hältnis zu denen. Klar, sie dik­tieren die Stim­mung im Sta­dion. Das kann man erstmal scheiße finden, man kann aber auch sagen: Das haben wir mit dem Mill­erntor Roar“ damals auch getan. Wir haben den Verein in die linke Rich­tung geschickt. Außerdem kann man USP zugute halten, dass sie dem Verein die Stange halten. In diesen dunklen Regio­nal­liga-Jahren wäre am Mill­erntor nichts los gewesen, wenn USP nicht für Stim­mung gesorgt hätte. Gar nichts! Da saßen 12.000 Leute, und die haben die Klappe gehalten. Aller­dings ist es auch so, dass sich USP mit ihren Dogmen sehr abgrenzt und ihr eigenes Ding fährt. Das kann schon mal nerven.

Gehen wir noch mal in den Fan­block rein: Der Verein ist gewachsen, die Fans sind jetzt auch Kult. Viele Leute regen sich dar­über auf. Aber wie ist denn die Stim­mung tat­säch­lich? Hat die sich auch geän­dert? 
Es gibt sel­tener die Momente, in denen das Sta­dion gemeinsam Alarm ver­an­staltet. Einige sagen, es liegt an USP, an diesem spe­zi­ellen spiel­un­ab­hän­gigen Sup­port, der mir auch manchmal auf die Eier geht. Seit dem Auszug von USP aus der Gegen­grade ist es aller­dings wieder besser geworden. Jetzt gibt es sogar hin und wieder Wech­sel­ge­sänge. 

Wird irgend­wann der Tag kommen, an dem du sagst: Ich gehe nicht mehr hin? 
Nein, nie­mals. Auch wenn ich dies­be­züg­lich ein wan­delnder Run­ning Gag bin. ich habe dreimal meine Dau­er­karte ver­kauft. Einmal für zwei Bier und einen Wodka. Ich hatte die Faxen so was von dicke. Aller­dings hab ich es genau zwei Spiele geschafft. Dann musste ich mir wieder ein Ticket nach­kaufen, weil ich es nicht aus­ge­halten habe. Hass und Liebe liegen eben eng bei­ein­ander.

Zumin­dest zwei Mal gab in den letzten Jahren das Duell St. Pauli gegen den HSV. Kam bei dir, der seit Jahren das Old Firm besucht, über­haupt rich­tige Der­by­stim­mung auf?
Das Old Firm“ ist das geilste Derby der Welt, klar. Auch aus­wärts. Im Ibrox Park war ich zum ersten Mal an meinem 47. Geburtstag . Es war der Hammer! Wir gewannen 1:0. Später sagte ich zu meiner Freundin: Danke Schatz, du hast mir echt eine tolle Torte geba­cken und mir einen schönen Schal gestrickt. Aber das Tollste was ich je zu meinem Geburtstag bekommen habe, war ein 1:0 im Ibrox Park.“ Und trotzdem freue ich mich auf Ham­burger Derbys, vor allem, weil wir jah­re­lang kein wirk­li­ches Derby in der Stadt hatten. Wir spielten mit dem FC St. Pauli einige Zeit gegen die zweite Mann­schaft des HSV. Gewannen manchmal sogar. Aber sollte ich mich dar­über freuen? Das ist doch erbärm­lich. 

1977, beim ersten Bun­des­liga-Sieg des FC St. Pauli gegen den HSV, stan­dest du in Block E. 
Irgendwie bitter. Wobei damals noch nichts zu hören war von Nazi­ge­sängen. Viele Leute um mich herum feu­erten sogar St. Pauli an, und nach dem Spiel sagten einige: Die Punkte bleiben wenigs­tens in Ham­burg“. So ist das 1977 gewesen – Ham­burg war united.

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Dirk Jora, 60, war Sänger der ein­fluss­rei­chen deut­schen Punk­band Slime, die zunächst von 1979 bis 1994 exis­tierte und sich 2009 wie­der­ver­ei­nigte. Im Sommer 2020 gab Jora seinen Aus­stieg bekannt.