Atli Edvaldsson, eine Ikone der isländischen Fußballkultur, ist verstorben. Wir sprachen einst mit ihm über Fußball unter der Mitternachtssonne, Udo Lattek und den Eismeer-Zico.
Auch in Deutschland sagt Ihr Name vielen noch etwas – vor allem wegen eines Spiels: Am 6. Juni 1983, Sie spielten mittlerweile für Fortuna Düsseldorf, schossen Sie fünf Tore gegen Eintracht Frankfurt.
Das war ein toller Tag. Ich hatte schon zwei Tore geschossen und dachte, jetzt könnte ich ja der Abwehr ein bisschen helfen. Hin und her, vor und zurück – das war ja ohnehin meine Art zu spielen. Aber Willibert Kremer, der Trainer, schrie mich an: „Atli! Ab nach vorne!“ Ich war also mehr oder weniger gezwungen, noch mehr Tore zu machen (lacht). Und Sie haben Recht: Ich werde vor allem mit diesem Spiel in Verbindung gebracht. Gerade neulich war ich in Düsseldorf im Stadion, und da sprach mich ein kleiner Junge an: „Bist du der, der fünf Tore geschossen hat?“
Hat Ihr Landsmann und Kollege Asgeir Sigurvinsson Ihnen damals gratuliert?
Natürlich. Wir haben uns gleich am nächsten Tag bei einem EM-Qualifikationsspiel gesehen.
Sigurvinsson war ein neuer isländischer Spielertyp, klein, wendig, technisch hochbegabt. Hat er dem isländischen Fußball den Weg in die Moderne geebnet?
Das kann man so sagen. Sigurvinsson war in Island weltberühmt (lacht), man nannte ihn den „Eismeer-Zico“. Viele junge Leute haben damals wegen ihm angefangen, Fußball zu spielen, wahrscheinlich auch Eidur Gudjohnsen vom FC Barcelona, unser derzeit bester Mann.
Noch ist Gudjohnsen der einzige Isländer von Weltruf. Halten Sie es für möglich, dass Island zu den großen Fußballnationen aufschließt?
Wir haben fast 70 Profis in den europäischen Top-Ligen. Das hat auch die Nationalmannschaft vorangebracht. Aber ob wir zu Deutschland, Frankreich und Italien aufschließen können? Dazu will ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen: Als ich noch Nationaltrainer war (1999 bis 2003, Anm. d. Red.) spielten wir einmal gegen Brasilien. Wir traten ohne sieben Stammspieler an, weil sie noch mit ihren Vereinsmannschaften unterwegs waren. Da sagte der brasilianische Trainer zu uns: „Seid nicht frustriert, ich muss auch auf fünf Spieler verzichten.“ Und mein Co-Trainer antwortete: „Ja, kann sein. Aber wenn man in Island einen linken Verteidiger braucht, dann hat man einen guten, einen, mit dem man den guten ersetzen kann, und beim dritten haben wir schon ein Problem. Ihr habt 200.000 linke Verteidiger, und erst der Zweihunderttausendunderste ist ein etwas schwächerer.“ Er hatte vollkommen Recht! Um Ihre Frage zu beantworten: Wir sollten uns an Finnland oder Nord-Irland messen. Irgendwann rutscht eine von diesen Nationen in ein großes Turnier. Vielleicht haben wir das Glück.
Eidur Gudjohnson und Atli Edvaldsson – ein Sturm, mit dem europäische Abwehrspieler ihre liebe Mühe hätten. Bedauern Sie, dass Sie nicht mehr aktiv sind?
Ja und nein. Wenn ich sehe, was heute verdient wird, dann schon. Vor einigen Jahren sagte der Chef der NBA, er wolle Basketball zum beliebtesten Sport der Welt machen – ein Warnschuss für die Leute von der FIFA. Seitdem haben sie noch mehr dafür getan, den Fußball zu kommerzialisieren. Aber ich befürchte, dass bei all dem Kommerz eines zu kurz kommt: das Herz. Und vor allem wir Isländer brauchen das Herz, um gut zu spielen.
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