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3. Liga

247

Dieser Text erschien erst­mals in 11FREUNDE #247. Das Heft gibt’s hier im Shop.

Baris Atik war überall. Er hatte 85 Minuten Fuß­ball gespielt. Gebetet, gedrib­belt, gepasst, und natür­lich hatte er, Ehren­sache, mal wieder zwei Tore vor­be­reitet. Nach dem Abpfiff rannte er zur Haupt­tri­büne, wo seine Frau ihm sagte, dass sie stolz auf ihn sei. In der Kabine fei­erten sie weiter, und dann rief einer: Auf zum Block U!“, also liefen sie gemeinsam in die Fan­kurve. Sie hüpften auf dem Podest des Capos. Sie machten Sel­fies, tau­sende Tera­bytes, ach was, tau­sende Zett­abytes an Daten. Sie zupften an ihm, beklatschten ihn, eine Anhän­gerin hielt ihm sogar ein Ultra­schall­bild zum Unter­schreiben hin. Er, der schmäch­tige Junge aus der Pfalz, 1,69 Meter, ging fast unter in diesem stür­mi­schen blau-weißen Meer. Baaaaaaris! Aber dann, nach fast vier Stunden Voll­dampf, konnte er nicht mehr. Ein­ge­quetscht zwi­schen den Fans schaute er sich hil­fe­su­chend um, bis zwei Ordner die Situa­tion erkannten und den Spieler zurück in die Kata­komben zogen. Hin­setzen, durch­atmen, bevor es wei­ter­ging bis tief in die Nacht. Baris­mania in Mag­de­burg.

Das war am 24. April 2022. Der 1. FC Mag­de­burg gewann an jenem Tag 3:0 gegen Zwi­ckau und schaffte drei Spiel­tage vor Sai­son­ende den Auf­stieg in die zweite Liga. Es war der Höhe­punkt einer außer­ge­wöhn­li­chen Reise. Für den Verein, der vor andert­halb Jahren kurz vor dem Gang in die Regio­nal­liga stand. Aber auch für Baris Atik, der vor andert­halb Jahren noch arbeitslos war. Man kann ohne Über­trei­bung sagen, dass Atik den tau­melnden Riesen und eins­tigen Euro­pa­po­kal­sieger wieder zum Leben erweckt hat. Aber auch anders­herum hat der Riese den kleinen Dribbler zu einem ful­mi­nanten Neu­be­ginn ver­holfen. Wie kam es zu diesem dop­pelten Come­back? Und warum zeigt Atik erst jetzt, mit 27 Jahren, wie gut er Fuß­ball spielen kann?

Hier lieben ihn die Fans“

Ein Tag vor dem Spiel, elf Uhr am Trai­nings­platz hinter der Arena, die bei den meisten Fans Heinz-Krügel-Sta­dion heißt, nach dem Erfolgs­trainer der Sieb­ziger. Es ist ein milder Apriltag, die Sonne scheint, rund zwanzig Anhänger wollen sich das Trai­ning der ersten Mann­schaft anschauen. Baris Atik hat den Platz noch nicht betreten, trotzdem ist er längst da. Die Jugend­li­chen tragen Shirts mit seinem Namen, eine junge Frau hat sogar die gleiche Frisur, Seiten kurz, das Haupt­haar zu einem kleinen Dutt gebunden. Manchmal ist er zu eigen­sinnig“, sagt sie. Aber er ist halt der Beste, viel zu gut für die Dritte Liga. Hast du sein Frei­stoßtor gegen Dort­mund gesehen?“ Auch die Älteren nicken aner­ken­nend. Einer der besten fünf Spieler, die hier je gespielt haben. Natür­lich hinter Streich, Pom­me­renke und Stein­bach“, sagt einer, der seit 60 Jahren zum FCM geht und so ziem­lich alles erlebt hat. Euro­pa­po­kal­sieg 1974 gegen Milan. Abstiege nach der Wende. Spiele gegen Neu­stadt an der Dosse, Ober­liga Nordost. Das Pokal­wunder gegen die Bayern. Nun soll also zum zweiten Mal der Auf­stieg in die zweite Liga gelingen. Der FCM steht vor dem mor­gigen Spiel gegen Zwi­ckau auf dem ersten Platz. Diese Saison hat viel mit Atik zu tun“, sagt das FCM-Fossil, das ein biss­chen Sorge hat, der neue Star könnte nächste Saison wieder weg sein. Er sollte dran denken, dass er hier der Chef sein kann, hier lieben ihn die Fans. War ja nicht überall so.“

Dann eine Schreck­se­kunde. Kurz vor dem Trai­ning­sende knickt Atik um und hum­pelt zur Kabine. Gerade jetzt, einen Tag vor einem der wich­tigsten Spiele seiner Kar­riere. Eine Stunde später aber schon die Ent­war­nung. Atik, dun­kel­blaue Jeans, hell­blaue Trai­nings­jacke, wartet am Dom­platz. Der Fuß ist okay, ich kann spielen“, sagt er, und dann lächelt er, denn nun möchte er ein biss­chen aus seiner tur­bu­lenten Kar­riere erzählen.

3 Liga Magdeburg 220426 11 FREUNDE Baris Atik 18 WEB

Baris Atik erklärt einem Ordner, wie man einen töd­li­chen Pass spielt.

Felix Adler

Früh in der Ver­ant­wor­tung

Vor acht Jahren galt Atik als eines der größten Offen­siv­ta­lente in Deutsch­land. Er war ein Fein­geist auf dem Platz, einer für die genialen Momente. Aber er war auch einer, der früh Ver­ant­wor­tung über­nehmen musste. Sein Vater ver­ließ die Familie und zog in die tür­ki­sche Heimat, als Baris Atik ein Jahr alt war. Die Mutter blieb alleine mit vier Kin­dern zurück in einer Sied­lung im pfäl­zi­schen Fran­ken­thal; mit zwei Brü­dern teilte sich der junge Baris ein Zimmer.