Hansi Dorfner galt als eines der größten deutschen Talente. Doch neun Operationen verhinderten den Durchbruch. Nur mit Schmerzmitteln hielt er überhaupt bis Ende 20 durch. Wir sprachen mit ihm über den Missbrauch und die Folgen.
Erinnern Sie sich an einen Moment in Ihrer Karriere, in dem Sie bewusst über die Schmerzgrenze hinaus gegangen sind?
Es war ein Spiel in Karlsruhe am 30. Juli 1988. Ich hatte mir vorher bei einem Hallenturnier einen Bänderriss zugezogen und spielte das erste Mal wieder schmerzfrei. Nach zehn Minuten gerate ich in einen Zweikampf mit Milorad Pilipovi, komme einen Schritt zu spät, und es macht „Knack“. Ich habe sofort gemerkt, dass es ein dreifacher Bänderriss im Sprunggelenk ist. Ich dachte, mir fliegt der Fuß weg. Ich bin dann zur Seitenlinie und habe gesagt: „Trainer ich muss raus“, aber Bayern-Coach Jupp Heynckes hat nur geantwortet: „Hansi, beiß Dich durch.“ Ich habe dann noch bis zur 42. Minute weitergespielt. Hatte eine richtige Wut auf mich und meinen Körper, war regelrecht aufgepumpt mit Adrenalin. Kurz vor der Halbzeit wollte ich dann einen Pass spielen, schaute an mir runter und sah, dass es bis zur Wade hoch geschwollen war. In der Halbzeit hat sich Jupp dann entschuldigt, dass er mich nicht früher raus genommen hat. Man konnte mich erst nach einer Woche operieren, weil die Schwellung so stark war.
Fällt Ihnen auch eine konkrete Situation ein, in der Sie wegen des Leistungsdrucks über Ihre Schmerzgrenze hinaus gingen?
In der Winterpause 1990/91 ging ich zurück nach Nürnberg. Der „Club“ hatte zu dem Zeitpunkt zehn Punkte und stand auf dem letzten Platz der Bundesligatabelle. In meinem ersten Spiel foult mich Hans-Werner Moser so schwer, dass es mir das Becken verschiebt. Die Ärzte sagten, ich müsse mindestens acht Wochen pausieren. Aber ich war gekommen, um mit der Mannschaft den Abstieg zu verhindern, da konnte ich mir nicht erlauben auszufallen. Also machte ich eine Woche Pause und wir nahmen fortan zu jedem Spiel einen Chiropraktiker mit, der mich vor und nach dem Spiel, mitunter sogar in der Pause immer wieder einrenkte. Ich wollte halt nicht absteigen.
Und, sind Sie abgestiegen?
Nein, wir haben es am Ende geschafft, in der Bundesliga zu bleiben.
Welche Konsequenzen hatte diese Entscheidung für Sie?
In der Folge hatte ich mehrere Leistenbrüche und mein Rücken leidet bis heute darunter.
Haben mit Sie sonstigen Spätfolgen Ihrer Profikarriere zu kämpfen?
Ich betreibe zwar eine Fußballschule, stehe aber selbst nicht mehr auf dem Platz. Ich organisiere alles drum herum, mache Trainingspläne, aber ich kann nicht mehr laufen. Ich bin froh, wenn ich schmerzfrei spazieren gehen kann, mehr geht nicht. Zum täglichen Gebrauch reicht das vollkommen, aber zum Sporttreiben nicht mehr. Das Knie ist zu stark lädiert, das wird auch nie wieder gehen.
Hansi Dorfner, war es das wert?
Ja, ich würde es wieder genau so machen, denn mein Leben als Fußballprofi war das schönste, das ich mir vorstellen konnte.
Gibt es nichts, was Sie im Rückblick ändern würden?
Nun ja, zum einen würde ich meine Verletzungen immer zu 100 Prozent auskurieren. Die Folgeverletzungen durch Fehlbelastungen habe ich unterschätzt. Zum anderen würde ich mehr an meiner Fitness arbeiten. Ich hätte die Spiele stärker vor- und nachbereiten müssen. Aber als junger Spieler saßen wir lieber zehn Minuten nach dem Training im Café. Meine Einstellung zum Beruf würde ich grundlegend überdenken.
Inwiefern gehören Schmerzen zum Leben als Fußballprofi dazu?
Eine Portion Schmerz gehört dazu. Ein Spieler muss schon ein Stück weit schmerzunempfindlich sein. Zu wieviel Prozent Schmerz heute dazu gehört, kann ich nicht sagen. Bei mir waren es zumindest ein paar Prozente zu viel. Am Schlimmsten aber waren nicht die körperlichen Schmerzen, sondern die seelischen.