Heute vor 125 Jahren kam Árpád Weisz zur Welt. 1944 wurde er im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Er galt als einer der besten Trainer seiner Zeit. Der Fußball hat ihm viel zu verdanken.
Trainer, die im Trainingsanzug hin und her rennen und Anweisungen rufen, bei manchen Übungen sogar selbst aktiv werden – ein Bild, das für uns absolut normal ist. Vor gut 100 Jahren sah das noch ganz anders aus. Der feine Zwirn war angesagt. Wer das änderte? Einer der großen Helden des italienischen Fußballs. Der erste Meistertrainer der eingleisigen Serie A, einer der jüngsten, denen das überhaupt gelang. Der Entdecker von Giuseppe Meazza: Árpád Weisz.
Seine Geschichte ist eine beeindruckend erfolgreiche – aber auch eine viel zu kurze mit schrecklichem Ende. Er ist einer von sechs Millionen Juden, die im Zweiten Weltkrieg ermordet wurden.
Bevor er als Trainer durchstartete, war Weisz, 1896 in Solt, Ungarn, geboren, als Flügelspieler in Ungarn und der Tschechoslowakei aktiv, sammelte auch Einsätze bei der ungarischen Nationalmannschaft. 1924 wechselte er wie viele seiner Landsmänner nach Italien – neben seiner Heimat eine weitere große europäische Fußballnation der Zeit. Eine schwere Knieverletzung machte seiner aktiven Karriere jedoch schon nach seinem ersten Jahr bei Inter Mailand ein Ende. Doch Weisz blieb dem Fußball verbunden: er wurde Trainer.
Er genoss einen exzellenten Ruf, galt als Visionär seiner Zeit und wurde auch deshalb „Il Mago“, der Zauberer, genannt. Nach seinen ersten beiden Spielzeiten als Trainer von Inter Mailand reiste Weisz 1928 nach Südamerika, um den Fußball in Argentinien und Uruguay zu beobachten, wo der Fußball taktisch und technisch schon deutlich weiter war als in Europa.. Mit Erfolg: Kaum kehrte er nach Italien zurück, wurde er auch dank seines neu erworbenen Wissens erneut Trainer der Mailänder – und gewann 1930 in der neu gegründeten Serie A erstmals den Scudetto. Da war er gerade einmal 34 Jahre alt. Bis heute gibt es nur einen Meistertrainer, der noch jünger war: Armando Castellazzi war 33, als er vier Jahre später die Mailänder zum nächsten Titel führte. Doch Weisz war nicht nur Erfolgstrainer, sondern auch Förderer der Jugend. In seiner ersten Meistersaison setzte er statt des gestandenen Leopoldo Conti auf den erst 17-jährigen Giuseppe Meazza. Der Ungar wurde zum Mentor, sogar zur Vaterfigur des wohl besten Fußballer Italiens.
Zur gleichen Zeit warf jedoch auch die Geschichte ihre dunklen Schatten voraus. Seit 1925 war Benito Mussolini als Duce in Italien an der Macht. Der bekennende Fußballfan veranlasste unter anderem die Fusion des FC Internazionale Milano mit US Milanese Milano und infolgedessen die Umbenennung zu AS Ambrosiana. Der Namensteil „Internazionale“ strahlte zu viel Weltoffenheit für Mussolinis faschistisches Italien aus. Auch Weisz selbst musste seinen Namen ändern. Mit der Schreibweise Veisz sollte seine jüdische Herkunft deutlicher gemacht werden.
Zunächst konnte Weisz allerdings weiterarbeiten, konnte seine progressiven Ideen weiter umsetzen. Die fasste er im Jahre seines ersten Meistertitels auch in einem Buch zusammen: „Il Giucco del Calcio“, das Spiel Fußball. Der Ungar modernisierte den italienischen Fußball: Er brachte das von Herbert Chapman entwickelte W‑M-System nach Italien. Er ließ Gärtner den Rasen pflegen und die Ernährung seiner Schützlinge überprüfen. Er gilt als erster Trainer, der im Trainingsanzug am Spielfeldrand stand, der im Training selbst mitmachte. Weisz liebte das Spiel.
Und er war erfolgreich. Nach einem Jahr bei AS Bari, dem dritten Engagement bei Inter Mailand und einem Jahr bei Novara Calcio landete Weisz beim FC Bologna. Und formte eine dominante Mannschaft: Zwei Meisterschaften in Folge und den Mitropapokal mit einem 4:1‑Sieg gegen Chelsea holte Bologna zwischen 1935 und 1938 unter Weisz.
Im Oktober 1938 war jedoch Schluss: Die Stimmung in Italien, in ganz Europa, wurde feindseliger. Im Juli des Jahres hatte Mussolini die italienischen Rassengesetze erlassen. Jüdischen Personen wurden grundlegende Rechte entzogen. Weisz musst seinen Posten räumen.
Er floh. Ursprünglich wollte er mit seiner Frau Ilona und den Kindern Roberto und Klara in Paris Zuflucht suchen. Der Aufenthalt dauerte jedoch nur drei Monate, bevor die Familie weiter in die Niederlande zog. Vater Árpád konnte arbeiten, trainierte den FC Dordrecht.
Es war seine letzte Station. Als die deutschen Truppen 1940 in die Niederlande einmarschierten, erreichten sie Dordrecht als einen der ersten Orte. Die erneute Flucht führte zurück in die Heimat Ungarn, doch auch die Regierung dort gab dem Druck der Nationalsozialisten nach. 437 402 ungarische Juden wurden deportiert. Árpád Weisz, seine Frau Ilona sowie beide Kinder wurden im August 1942 von der SS gefangen genommen. Sie kamen in das Transitlager Westerbork, in dem auch Anne Frank gefangen gehalten wurde, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurde. Ein Schicksal, das auch Weisz und seine Familie ereilte. Ilona Weisz und die Kinder wurden direkt bei ihrer Ankunft in den Gaskammern von Birkenau ermordet. Árpád Weisz ließ man einige Monate am Leben, um zu arbeiten. Doch auch ihn ermordeten die Nationalsozialisten am 31. Januar 1944.
In Dordrecht erinnert seit 2018 ein Stolperstein an Árpád Weisz. Vor dem Stadio Renato Dall’Ara des FC Bologna ist eine Plakette zu seinen Ehren zu finden. Jedes Jahr am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag erinnern Fans dort an ihn. Die Curva San Luca wurde 2018 in Curva Árpád Weisz umbenannt. Zudem gedenken Inter und Bologna regelmäßig gemeinsam ihrer Klublegende. Der Fußballvisionär der Vorkriegszeit soll nicht vergessen werden.