Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Die Stadt ist nass­grau und still, das Meer zit­tert vom Nord­wind, kaum ein Mensch ist zu sehen, umso lauter krei­schen die Möwen am Himmel. Schön hier, ne?“, sagt Fiete Arp, als er aus dem Auto steigt. Dar­über lässt sich streiten, aber viel­leicht ist es genau das, was er gebraucht hat. Die unauf­ge­regte Tris­tesse der herbst­li­chen Ost­see­küste als Gegenpol zur schim­mernden Gla­mour­welt, die ihn zu zer­drü­cken drohte. Oder ist es dafür längst zu spät? Ist die ehe­mals größte Sturm­hoff­nung Deutsch­lands womög­lich nicht mehr zu retten?

Fiete Arp kramt in seinem Gedächtnis. Er führt dort eine Art Sam­mel­album, in dem er seine kom­plette Kar­riere archi­viert zu haben scheint. Er denkt an ein­zelne Spiel­szenen, erin­nert sich an Gegen­spieler, ob der Ver­tei­diger tief oder hoch stand, an Fehl­pässe, schwache Ball­mit­nahmen, selbst an Situa­tionen im Trai­ning. Das hätte er anders lösen können, da war er nicht schnell genug. Und weil er all das so fein­säu­ber­lich gespei­chert hat, weiß er auch, wann zum ersten Mal die Schwe­re­lo­sig­keit ver­lo­ren­ge­gangen ist, die ihn lange über die Plätze der Repu­blik getragen hat. Es war ein Frei­tag­abend in Frei­burg, Dezember 2017, sein vierter Star­t­el­fein­satz in Folge. Er hat einen Lauf. Dann kommt Caglar Söyüncü, heute Innen­ver­tei­diger bei Lei­cester. Der hat mich zum ersten Mal auf dem Platz düpiert und wie einen kleinen Jungen dastehen lassen – der ich ja auch war.“ Söyüncü ist zu dem Zeit­punkt auch erst 21, vier Jahre älter als Arp. Trotzdem hat er mich auf­ge­fressen.“ Und dem per­plexen Arp eine Erkenntnis gleich mit­ge­lie­fert: Okay, ich bin erst 17, ich spiele mit den erwach­senen Män­nern, und ich werde auch Rück­schläge ein­ste­cken müssen.“

Wie der Kopf die Beine ver­keilt

Bis hierhin sei er im Flow gewesen, sagt der heute 21-Jäh­rige. Er schießt zuvor in der U17-Bun­des­liga alles kurz und klein, wird in der Folge zum ersten Bun­des­li­ga­spieler des Jahr­gangs 2000. Bei der U17-Welt­meis­ter­schaft trifft er als Kapitän der deut­schen Mann­schaft fünf Mal. Und spä­tes­tens nach seinem ersten Bun­des­li­gator für den Ham­burger SV im Spiel gegen Hertha BSC ist der Hype nicht mehr auf­zu­halten. Uns Fiete“, tauft ihn die Bou­le­vard­presse in Anleh­nung an Uwe Seeler. Der Herbst 2017 wird für ihn zur Blü­te­zeit.

Als er bei uns ankam, war er kom­plett unbe­küm­mert, lustig drauf, hat sofort drauflos gekickt“, erin­nert sich sein dama­liger und heu­tiger Mit­spieler Lewis Holtby. Irgend­wann wurde es absurd: Für den Verein lief es schlecht, wir waren mitten im Abstiegs­kampf, und er wurde trotzdem von vielen als Heils­bringer gesehen.“ Ja, es war eine komi­sche Situa­tion“, sagt Arp selbst. Alles um mich herum im Verein war eigent­lich negativ. Ging es aber um meine Person, war alles positiv und voller Hoff­nung.“

Das aber ist nicht von Dauer. Der Verein bleibt 15 Spiele lang ohne Sieg, Arp trifft nach wilden wie erfolg­rei­chen Anfangs­wo­chen nicht mehr, seine Ein­satz­mi­nuten ver­rin­gern sich, und irgend­wann steht er nicht mal mehr im Kader. Sein Kopf habe die Beine ver­keilt, glaubt er heute. Der anfangs steile Auf­stieg endet in einer schnellen Bruch­lan­dung. Der HSV steigt zum ersten Mal in seiner Ver­eins­ge­schichte aus der Bun­des­liga ab. Zum finalen Sai­son­spiel gegen Borussia Mön­chen­glad­bach hat Chris­tian Titz, sein eins­tiger För­derer im Nach­wuchs­be­reich und spä­terer Chef­trainer bei den Profis, ihn schon gar nicht mehr mit­ge­nommen.

Jann Fiete Arp 24
Alex­andra Polina

Fiete Arp fliegt wenige Tage später nach Kanada. Dort habe ich mich alleine in ein Wald­häus­chen gesetzt, die Bäume ange­starrt und mich gefragt, was eigent­lich falsch gelaufen ist.“ Zum ersten Mal in seinem Leben nimmt er sich bewusst Zeit für sich, nie­mand ent­scheidet für ihn. Dabei ist die Ent­schei­dung längst gefallen. Nur, dass so gut wie nie­mand weiß, dass Fiete Arp zu diesem Zeit­punkt schon bei Bayern Mün­chen unter­schrieben hat.

Sechs Monate zuvor hat er einen Vor­ver­trag beim FC Bayern unter­zeichnet, der ihm eine fle­xible Wech­sel­ent­schei­dung erlaubt. Der HSV insze­niert in der Folge eine Ver­trags­ver­län­ge­rung bis 2020, ver­heim­licht aber, dass Fiete Arp bestimmen kann, wann es Rich­tung Süden geht. Nach schwa­cher Zweit­li­ga­saison und ver­passtem Wie­der­auf­stieg geht er nach Mün­chen. Scheiß aufs Herz. Es ist eine Flucht nach oben, direkt in den Fuß­ball­olymp und dotiert mit fünf Mil­lionen Euro Jah­res­ge­halt.

Wer ihn beim FC Bayern unbe­dingt haben wollte, kann Arp heute selbst nicht beant­worten, groß inter­es­siert hat ihn das sei­ner­zeit nicht. Seine Ansprech­partner waren Hasan Sali­ha­midzic und Uli Hoeneß, da fragst du nicht nach. Mit sol­chen Leuten sitzt eine Sou­ve­rä­nität am Tisch, die dir sagt: Es gibt über­haupt keine Pro­bleme.“ Dass Arp beim HSV zum Zeit­punkt der Gespräche nur Stürmer Nummer drei hinter André Hahn und Bobby Wood ist und sich beim FC Bayern Robert Lewan­dowski stellen muss? Ganz egal.