Das Spitzenspiel zwischen Gladbach und Dortmund lässt sich auch als verhindertes Duell zweier langjähriger Leistungsträger erzählen.
Kann sich jemand an den letzten Sommer erinnern, als die Welt noch nicht unter der Knute des Corona-Virus ächzte und Marco Reus noch das Epizentrum von Borussia Dortmund war? Wann immer es um die Ambitionen des BVB in dieser Saison ging, eines durfte – da gab es keine zwei Meinungen – um Himmels Willen nicht passieren: dass nämlich die Dortmunder Leit- und Identifikationsfigur mal wieder über einen längeren Zeitraum verletzt ausfällt.
Anfang März sieht die Sache ein bisschen anders aus. Marco Reus fehlt seit mehreren Wochen, doch es hat nicht den Eindruck, als würde dies bei Borussia Dortmund irgendwem größere Mengen an Angstschweiß auf die Stirn treiben. Wenn derzeit vom Dortmunder Personal die Rede ist, dann wahlweise von den perfekt eingeschlagenen Novizen Haaland und Can, der neuen Stabilität der Abwehrreihe oder der erfreulichen Entwicklung von Julian Brandt. Von Marco Reus beziehungsweise seinem Fehlen ist dagegen eher selten die Rede, selbst jetzt nicht, als ruchbar wurde, dass er wohl noch einige Zeit länger ausfallen wird.
Dass liegt zum einen daran, dass Reus gewiss nicht die beste Saison seines Lebens spielt. Bestimmt daran, dass sich aufgrund seiner Abwesenheit Offensivleute wie Haaland und Brandt erst recht in Szene setzen konnten. Aber drittens spielt eventuell auch eine Rolle, dass Marco Reus aufgrund seines Alters, vor allem aber wegen der physischen Labilität zwar noch immer kein Hemmschuh für den Dortmunder Hochgeschwindigkeitsfußball ist, aber eben auch nicht mehr dessen hervorragendster Protagonist.
Ein Schicksal, das er übrigens mit seinem Gladbacher Kollegen Lars Stindl teilt, und dennoch ist die Situation der beiden nicht vergleichbar. Im Gegensatz zur hoch bewerteten Reus-Aktie (siehe oben) stand die von Stindl vor einigen Monaten nicht gerade günstig. Viele Beobachter hatten ihre Zweifel, ob er nach seinem langwierigen Ausfall wegen eines Beinbruchs noch mal eine wichtige Rolle im auf laufintensives Gegenpressing angelegten Mönchengladbacher Konzept würde spielen können.
Nun denn: Pustekuchen! Inmitten der Kraftpakete Thuram und Pléa wirkt Lars Stindl zwar ein klein wenig schmächtig, doch anders als sein noch etwas betagterer Kollege Raffaél hat er den Platz im Team nach seinem Comeback weitgehend behaupten können. Was zum einen damit zu tun hat, dass Stindl der vielleicht spielintelligenteste sämtlicher Gladbacher Offensivleute ist, zum anderen sicher auch damit, dass seine Konkurrenten nicht Haaland und Brandt heißen, sondern „nur“ Hofmann und Herrmann.
Gleichwohl mag Marco Reus einen Blick auf den wieder glücklich integrierten Lars Stindl werfen, sollte er dieser Tage sorgenvoll in die Zukunft schauen. Tatsächlich lässt sich, oberflächlich betrachtet, nur noch schwer ein Platz für Reus finden, wenn alle Angreifer des BVB zur Verfügung stehen. Andererseits kann ein Spieler wie er, sollte es hart auf hart kommen, nach wie vor ein wichtiger Faktor sein (um nicht das Angeber-Wort Unterschiedsspieler zu benutzen).
Eines indes wird Reus aller Voraussicht nach nicht mehr sein: der unverzichtbare Fixpunkt, um den sich das ganze Dortmunder Universum dreht. Aber das kann ja auch eine Erleichterung sein für einen in die Jahre gekommenen Herrn, der sich allmählich die Kräfte einteilen muss. Ein Status, der ihn mit Stindl eint, der es allerdings allein wegen seiner Vita (Hannover 96!) gewohnt ist, öfter mal die zweite Geige zu spielen.
Was mit all dem freilich noch nicht geklärt ist: ob die beiden rüstigen Dreißiger auch stark genug sind, um im Sommer mit der Nationalmannschaft bei der EM dabei zu sein. Aber das ist dann tatsächlich noch mal eine ganz andere Geschichte.