Hertha BSC suspendiert Salomon Kalou – und schiebt dem Spieler die alleinige Schuld am gestrigen PR-Desaster in die Schuhe. Dabei dokumentiert dessen Video nur, dass im Verein grundsätzliche Dinge schief laufen.
„Sala, lösch das bitte!“. Der Satz von Herthas Physiotherapeut David de Mel wird bleiben. Nicht nur, weil er ein ohnehin schon skurriles Video veredelt, sondern auch, weil die Worte für so vieles stehen, was die Menschen am Profifußball ankotzt. Für die Parallelwelt, in der Profis leben und von der die Öffentlichkeit normalerweise nur ausgewählte Happen mundgerecht präsentiert bekommt. Für das Gemauschel und Verheimlichen, wenn Mist gebaut wird. Für die eigenen Regeln, die in der Branche gelten. Sala, lösch das bitte. Sala, was wir hier falsch machen, geht niemanden was an. Sala, du willst doch nicht das Nest beschmutzen!?
Der Livestream, in dem Salomon Kalou das Innenleben von Hertha BSC bemerkenswert unverkrampft zur Schau stellt, besetzte gestern großflächig das Internet. Und sorgte bei Zuschauern entweder für hämisches Gelächter oder für Schaum vorm Mund. Weil die Profis sich untereinander per Handschlag begrüßen, weil Athletiktrainer Henrik Kuchno Kalou die Hand schüttelt, weil Klinken gedrückt und Test-Prozeduren nicht ernst genommen werden. Weil die Spieler in der Kabine auf die Mindestabstände pfeifen. Weil Physiotherapeut de Mel beim Abstreichen keinen Kittel trägt. Weil sich erwachsenen Männer nicht mal an die grundsätzlichsten Schutzmaßnahmen, die nach Monaten voller Corona-Berichterstattung selbst Dreijährige auswendig herunterbeten können, halten. Ein Eigentor für die DFL, die seit Wochen mit allen Mitteln um die Fortsetzung der Bundesligasaison kämpft. Und eine PR-Katastrophe für den Verein, der in dieser Saison ja durchaus schon Erfahrung mit PR-Katastrophen gesammelt hat. Ein Video, so viel war schnell klar, das Fragen aufwirft und dem Verein eine umfassende Antwort abverlangen würde. Am Abend gab Hertha dann diese Antwort. Und schoss damit gleich das nächste Eigentor.
„Salomon Kalou hat mit seinem Video den Eindruck vermittelt“, heißt es direkt im ersten Satz, „dass die Spieler von Hertha BSC die vorgegebenen Abstands- und Hygieneregeln seitens der Gesundheitsbehörden nicht ernst nehmen.“ Außerdem, und das ist wichtig: „Hertha BSC möchte festhalten, dass dies die Verfehlung eines einzelnen Spielers war.“ Kalou ist Schuld. Alleine. Und er hat auch nur den Eindruck vermittelt, dass etwas schief läuft. Dabei läuft nichts schief. Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.
Kein Wort über de Mel, dessen Stimme den Eindruck vermittelt, Kalou habe ihn gerade auf frischer Tat ertappt, als er sagt: „Sala, bitte lösch das!“ Kein Wort zu Athletiktrainer Kuchno, den Kalou gleich als ersten und mit entlarvender Selbstverständlichkeit per Handschlag begrüßt. Und zu den Teamkollegen Kalous, die in der Kabine nah beieinandersitzen und dem Stürmer ebenfalls ohne zu zögern ihre Hände entgegenstrecken, heißt es nur: „Die Tatsache, dass andere Teammitglieder ihn nicht auf diese Verfehlung aufmerksam gemacht haben und stattdessen den Gruß per Handschlag erwidert haben, verdeutlicht, dass die regelmäßigen Hinweise auf die Abstands- und Hygieneregeln noch intensiver ausfallen müssen.“
Bloß: Was ist so schwer daran, seinen Arbeitnehmern zu vermitteln, dass sie sich nicht die Hand geben sollen? Selbst wenn sie gemeinsam trainieren und sich auf dem Platz zwangsläufig auch mal berühren, selbst wenn der Verzicht auf den Handschlag in diesem besonderen Fall noch etwas gewöhnungsbedürftiger ist als bei anderen Berufsgruppen? Wie soll jemand, der dieses Video gesehen hat, glauben, dass sich die Spieler an andere Vorgaben des DFL-Hygienekonzepts halten? Wie soll man nicht zu dem Schluss kommen, dass sich viele Profifußballer tatsächlich vom normalen Leben entkoppelt haben und gar nicht merken, wie weltfremd sie handeln? Und: Wenn die Chefs ein weltweit ausgestrahltes Video benötigen, um zu bemerken, dass die Spieler Ihnen und ihren Vorgaben auf der Nase herumtanzen, wie gesund kann dieser Verein dann eigentlich sein?
Kein Wunder, dass Hertha und der Profiblase im Nachgang Spott und Antipathie entgegenschlugen. Und dass viele Kommentatoren in ihrer Rage nicht mehr auf Details und Nuancen achteten. Im Video wird über fehlerhafte Gehaltsüberweisungen gesprochen, offensichtlich, auch das gibt Hertha später im Statement zu, wurde manchen Spielern aus Versehen zu wenig Geld bezahlt. Das Team hatte sich mit dem Verein zuvor auf einen Gehaltsverzicht geeinigt, nun war manchen Spielern über den abgemachten Betrag hinaus noch mehr Geld abgezogen worden. Da die Diskussion in einem Mix aus Französisch und Englisch stattfindet und im Hintergrund laute Musik läuft, sind die Sätze nicht gänzlich beim ersten Hören zu verstehen. Trotzdem stand das Urteil vieler Zuschauer sofort fest: Die Spieler sind nicht nur hirnlos, sondern auch geldgeil! Zwar sagt Kalou sogar direkt in die Kamera, dass er bezahlt werden würde, obwohl derzeit keine Spiele stattfinden, aber was soll’s? Es passt ja wunderbar ins Bild.
Dabei passt das, was gestern passiert ist, eigentlich gar nicht zu Salomon Kalou. Er hat sich in den vergangenen Wochen in diversen Interviews durchaus reflektiert mit dem Virus auseinandergesetzt, unter Berliner Journalisten und Hertha-Fans genießt er einen tadellosen Ruf. Aber dass ausgerechnet der Spieler, der sich auf dem Platz meist am cleversten zu verhalten wusste und seine im Alter schwindende Schnelligkeit mit Hilfe von List und Spielintelligenz auszugleichen wusste, über eine eigene Torheit stolpert, ist irgendwie auch bezeichnend für dieses auf so vielen Ebenen verkorkste Jahr. Und zeigt gut, was selbst sonst smarte Fußballer so treiben, wenn die Kameras nicht auf sie gerichtet sind und sich die Türen für Unbefugte schließen.
Man muss sicher kein Mitleid mit Kalou haben. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass er lediglich gezeigt hat, wie an einem deutschen Bundesligastandort mit dem Hygienekonzept der DFL umgegangen wird. Und dass er an dem peinlichen Auftritt nicht die alleinige Schuld trägt, sondern das Problem mindestens den ganzen Verein betrifft. Was die offizielle Stellungnahme um so unangenehmer macht. Oder wie Hertha-Kapitän Vedad Ibisevic es mit Bezug auf Herthas Führungsetage in der Kabine treffend formuliert: „Are they fucking with us?“