Die Fußballwelt verändert sich, doch auf eines ist Verlass: Carlos Tévez trifft und trifft. Auch wenn er sich dafür neu erfinden musste.
Der 8. Mai 2002: Scooter führen die deutschen Singlecharts mit „Nessaja“ an. Borussia Dortmund verliert das UEFA-Cup-Finale gegen Feyenoord Rotterdam und einen überragenden Pierre van Hooijdonk. Und Carlos Tévez erzielt sein erstes Profitor für die Boca Juniors. Im Viertelfinal-Hinspiel der Copa Libertadores gegen Club Olimpia aus Paraguay trifft der 18-Jährige in der 26. Minute zur 1:0‑Führung.
Mehr als 18 Jahre sind seitdem vergangen, Carlos Tévez ist nun also doppelt so alt – und trifft immer noch. Mit einem Doppelpack führte er Boca am letzten Spieltag der Copa-Libertadores-Gruppenphase zu einem 3:0 Sieg gegen Caracas FC und damit ins Achtelfinale des Wettbewerbs. Eine eindrucksvolle Demonstration von einem, der sich im hohen Fußballeralter noch einmal gesteigert hat. Weil er verstanden hat, worauf es ankommt.
Im Alter von 20 Jahren wechselte Carlos Tevéz erst zu Corinthians nach Brasilien und zwei Jahre später nach Europa. Er gewann die Champions League mit Manchester United, ging zum Lokalrivalen City, wurde Torschützenkönig, überwarf sich mit Trainer Mancini, wechselte zu Juventus Turin, holte zwei Meistertitel, stand erneut im Champions-League-Finale, erzielte 39 Tore in 66 Serie-A-Spielen. Doch während all der Zeit machte er nie einen Hehl daraus, wo er eigentlich am liebsten Fußball spielen würde: „Wenn es nach mir ginge“, sagte er etwa im Jahr 2013 „würde ich schon morgen nach Argentien zurückkehren. Ich liebe Boca bis in den Tod.“
2015 war es dann soweit: „Carlitos“, wie sie ihn in Argentinien liebevoll rufen, kehrte zurück. Zurück ins Viertel La Boca, wo für ihn alles angefangen hatte. Seine offizielle Vorstellung geriet zur Messe für einen Heiligen. 49.000 Fans kamen in die Bombonera und feierten die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Sogar Diego Maradona und seine Familie hatten ein Welcome-Back-Banner gepinselt, das sie aus ihrer Loge hängen ließen.
Und Carlitos sprach zu seinen Jüngern und spendete ihnen Worte, die wie Balsam klingen mussten für ihre pathossüchtigen Seelen. Als der Stadionsprecher ihn fragte, warum er Angebote anderer großer europäischer Klubs aisgeschlagen habe, sagte er: „Mit Geld kann man das Glück nicht kaufen.“
Nun ja, das Glück vielleicht nicht, aber Carlos Tévez offenbar schon. Nur anderthalb Jahre später ließ sich der Stürmer vom chinesischen Klub Shanghai Shenhua mit einem Fantasie-Gehalt von angeblich 40 Millionen Euro zum bestbezahltesten Fußballprofi der Welt machen. Doch in Fernost kam Tévez nicht zurecht. Nur vier Tore schoss er in 20 Spielen und suchte ein knappes Jahr später die Flucht – natürlich zurück nach Argentinien, zurück zu Boca.
„Ich habe dort sieben Monate Urlaub gemacht“
Aber warum war er überhaupt gegangen, wenn ihm der Verein doch so am Herzen liegt? „Ich musste mich etwas ausruhen, brauchte ein bisschen innere Ruhe“, sagt er in der Netflix-Doku Boca Juniors – Hautnah. Und in der Tat ließ es sich Tévez in China wohl ein wenig zu gut gehen. „Ich habe dort sieben Monate Urlaub gemacht“, gab er beim TV-Sender TyC Sports unumwunden zu. Während seine Mannschaftskollegen in der Super League kickten, besuchte er mit seiner Familie Disney Land.
Der laxe Lebenswandel hinterließ Spuren. Bei seiner zweiten Rückkehr nach Buenos Aires spottete die Öffentlichkeit über Carlitos’ Übergewicht. Sollte dieser in die Jahre gekommene, verwöhnte Superstar wirklich noch einmal eine Hilfe für Boca und seine großen Ambitionen sein können? Oder begab sich hier vielleicht jemand in große Gefahr, sein eigenes Denkmal einzureißen?