Vielleicht wird die Öffentlichkeit ja irgendwann erfahren, was er ihnen so erzählt hat. War er einfach freundlich, oder doch eher beschwörend-aufrüttelnd? Hat er die Fäuste geballt und die Augen rollen lassen, so wie sein Kollege aus Frankfurt, Eintrachts Neuzugang Christoph Daum? Oder stand er da, wie in jedem Übungsseminar für redenschwingende Manager und Personalchefs empfohlen: Mit offenen Armen, ruhigem Blick, festem Stand? Auf die Beantwortung all dieser Fragen müssen wir wohl noch etwas warten. Karl-Heinz Rummenigge weiß natürlich Bescheid, aber natürlich blieb der Vorstandschef vom FC Bayern kryptisch, als er meinte: „Er hat eine bemerkenswerte Antrittsrede gehalten vor der Mannschaft.“ Er, das ist Andries Jonker, 48, ehemals Co-Trainer unter Louis van Gaal und seit gestern Chefcoach der teuersten Mannschaft Deutschlands. Wer ist der Mann, der den FC Bayern München durch die letzten Spiele einer Saison führen soll, die bereits jetzt als Totalschaden in die Klubhistorie eingehen wird?
Viel weiß man nicht über ihn. Keine deutsche Zeitung ist in den vergangenen zwei Jahren auf die Idee gekommen, van Gaals Assistenten einmal genauer vorzustellen, ihn gar zu interviewen. Weil sein omnipräsenter Chef alle Aufmerksamkeit auf sich zog wie ein mediengeiler B‑Promi, blieb Jonker (und seinen zahlreichen Kollegen in van Gaals opulentem Trainerteam) lediglich eine stumme Statistenrolle. Kommuniziert hat der Niederländer mit der Mannschaft und Gleichgesinnten im großen Betreuerstab an der Säbener Straße. Seine Vorträge über moderne Angriffstaktiken sollen die Nachwuchstrainer aus München stark beeindruckt haben. Der nun geschasste Louis van Gaal scheint ohnehin gewusst zu haben, was er an Andries Jonker hat: Bereits 2002 nahm er Jonker als Co-Trainer mit nach Spanien, um beim FC Barcelona in die Fußstapfen seines Landsmannes Johan Cruyff zu treten. Weil die nach einem Jahr noch immer deutlich zu groß waren, verließ van Gaal samt Jonker den katalanischen Ausnahmeverein bereits 2003. Als van Gaal dann 2009 das Angebot aus München wahrnahm, erinnerte er sich wieder an Jonker – der folgte ihm prompt an die Säbener Straße.
Klub der Verlierer: Bayern München nach dem van-Gaal-Rauswurf
Dort scheint der 1962 in Amsterdam geborene Andries Jonker zunächst gute Arbeit geleistet zu haben; dass van Gaal nach ersten Startschwierigkeiten vor allem für seinen rasanten Offensivfußball gefeiert wurde, war auch der Verdienst von seinem Taktikexperten Jonker. Dessen theoretische Tüfteleien an der Magnettafel setzte van Gaal radikal um, und weil der FC Bayern damit Deutscher Meister und Pokalsieger wurde, und letztlich sogar bis ins Champions-League-Finale einzog, feierte man van Gaals Radikalismus als neue Offenbarung der Trainerlehre. Viel Lob, dass van Gaal im Herbst 2010 dankbar an seinen wichtigsten Assistenten Andries Jonker weiterleitete. „Mein Co-Trainer Andries Jonker“, vermeldete van Gaal damals via „Sport Bild“, „könnte meine Philosophie als Cheftrainer bei den Bayern fortführen.“ Ausgeschlossen, dass der selbstbewusste Chefcoach schon damals ernsthaft an seine Nachfolge bei den Bayern dachte, viel eher werden van Gaals Worte als Kompliment gedacht sein. Umso hübscher natürlich, dass dieser Satz aus aktuellem Anlass nun wieder aus der Mottenkiste geholt wird.
Die Entlassung des Louis van Gaal
Andries Jonkers Aufgabe als Interimstrainer bei den Bayern ist klar: Er soll die Mannschaft bis zum Ende einer bitteren Saison führen, idealerweise Platz 3 und damit immerhin noch die Qualifikationsspiele für die Champions League erreichen. Wie der ehemalige Assistent in nur fünf Spielen zu einem erfolgreichen Interimstrainer wachsen soll, wissen sie beim FC Bayern wohl auch nicht. Vorstandschef Rummenigge bestätigte dennoch den Schulterschluss mit der Notlösung Jonker und erklärte, der neue Mann habe den Spielern versichert „die guten Dinge aus der Zeit von Gaal übernehmen – aber trotzdem Dinge zu verändern, die veränderungswürdig sind.“ Was genau diese „veränderungswürdigen Dinge“ sind, blieb selbstverständlich offen. Sicher ist: Von seinen bisherigen Aufgaben als Cheftrainer (Jonker arbeitete zwischen 1999 und 2009 mit wenig Erfolg als Chefcoach beim FC Volendam, MVV Maastricht und Willem II Tilburg) ist die Kurzzeitstelle bei den Bayern Jonkers schwierigster Job. Führt er die Negativ-Serie seines Vorgängers fort und verpasst am Ende das Minimalziel Platz drei, ist sein Ruf als Cheftrainer ramponiert. Schafft er jedoch die – von seinen Bossen erhoffte – sportliche Wende und haucht der zuletzt so instabilen Bayern-Auswahl wieder das Münchener Erfolgsgen ein, winkt neben nationaler und internationale Reputation auch ein fester Job in der Bayern-Familie; da Hermann Gerland zur neuen Saison als Co-Trainer von Jupp Heynckes wirken soll, ist die Stelle des Trainers der Bayern-Amateure vakant. Weil die zweite Mannschaft aller Voraussicht nach jedoch in die Regionalliga absteigen wird, müsste Andries Jonker dann den tiefen Sprung von drei Ligen wagen, um seinen neuen Job zu beginnen. Fraglich, ob er das wirklich will.
„Ich bin ein Frauenmann!“ – Die besten Sprüche von Louis van Gaal
Die Spieler vom FC Bayern dürften jetzt – glaubt man Präsident Uli Hoeneß – erst einmal froh sein, den ungeliebten van Gaal losgeworden zu sein. „Dass die Spieler hinter ihm standen“, sagte Hoeneß auf einer Pressekonferenz, „ist ein Märchen.“ Die autoritäre Art habe längst nicht mehr bei den Bayern-Profis gefruchtet. Von Andries Jonker, dem Mann, über den man so wenig weiß, erhoffen sie sich in München nun mehr Menschlichkeit, ein bisschen mehr Spaß an der Arbeit — und natürlich Erfolg. Der bereits verpflichtete neue Mann zur neuen Saison, Bayer Leverkusens Jupp Heynckes, soll schließlich eine funktionierende Mannschaft übergeben bekommen. Zumindest den Spaß dürfte Jonker in den kommenden Tagen allerdings nicht bei all seinen Spielern erhöhen können – Bayerns neuer starker Mann an der Seitenlinie hat bereits angekündigt, Torwart Thomas Kraft durch Jörg Butt ersetzen zu wollen. Ein Schachzug, der immerhin seinen Präsidenten befriedigen wird. Denn mit der Degradierung Butts, so Hoeneß gestern, habe „die ganze Scheiße“ doch erst angefangen.
Andries Jonker hat in seiner Antrittsrede sicherlich andere Worte gewählt.