In der allerersten Champions-League-Saison scheiterte der VfB Stuttgart in einem kuriosen Geisterspiel. Und Andy Buck wurde vom Helden zum Sündenbock. In seinem nun erscheinenden Buch „Turbo“ blickt er zurück auf das Duell mit Leeds United. Ein Auszug.
Dies ist ein Auszug aus dem Buch „Turbo: Mein Wettlauf mit dem Fußballgeschäft“. Darin erzählt Johannes Ehrmann anhand der Karriere von Andreas Buck von den Veränderungen im deutschen Fußball um die Jahrtausendwende. Das Buch erscheint am 22. August im Tropen Verlag und ist bei Klett Cotta und Amazon erhältlich.
Mit dem Schlusspfiff stehen die Fans von Leeds United auf und fangen an zu klatschen. Minutenlang hört der Applaus nicht auf im Stadion an der Elland Road. Die Engländer sind stolz auf ihr Team. Aber sie respektieren auch unseren Sieg gegen den englischen Meister nach zwei verrückten Spielen. 1:4 nach 3:0 im Hinspiel. Wir sind weiter. Hauchdünn. Der VfB Stuttgart in der Champions League 1992/93. Und mir ist das entscheidende Tor gelungen.
In der Kabine liegen wir uns in den Armen. Im Bus zum Flughafen wird gesungen. Ich hänge selig in meinem Sitz und schaue raus in die Nacht. Mein Auswärtstreffer hat wirklich den Unterschied gemacht. Ich kann es nicht fassen. Die Reporter haben sich auf meine Story gestürzt, sollen unseren Trainer Christoph Daum auf mich angesprochen haben: ‚Was wäre der VfB ohne Buck … ?‘ – ‚Er soll ja schon bei Bundestrainer Berti Vogts auf dem Zettel stehen … ‘
1:4 verliert der VfB Stuttgart in Leeds. Doch der 3:0‑Sieg aus dem Hinspiel reicht fürs Weiterkommen. Eigentlich
Spätnachts sitzen wir in dem Britannia-Airways-Flieger, der uns von Manchester zurück nach Stuttgart bringt. Es muss ein Uhr sein oder zwei. Die Partystimmung ist verflogen. Einige dösen vor sich hin. Eike Immel und Maurizio Gaudino kloppen Karten. Manager Dieter Hoeneß tigert in Anzugshose und mit zerknittertem Hemd auf und ab, die hohe Stirn in Falten. Dann berät er sich im vorderen Teil der Maschine mit dem Präsidenten. MV guckt mürrisch. Was heckt er aus? Der Trainer ist in seinem Sitz versunken, starrt apathisch vor sich hin. Christoph Daum scheint all seine Energie im Stadion gelassen zu haben. Ich sehe seinen Assistenten Lorenz-Günther Köstner im Gang stehen und winke ihn zu mir.
„Kein Wort zur Presse, wenn wir landen. Wir stellen uns erst mal dumm. Vielleicht hat es ja gar keiner mitgekriegt!“
‚Lorenz, was ist los? Hab ich was verpasst?‘
Köstner weicht meinem Blick aus.
‚Erzähl mir nicht, dass wir doch nicht weiter sind!‘, sage ich, halb im Scherz.
Köstner beugt sich zu mir herunter und senkt seine Stimme.
‚Andy‘, raunt er mir ins Ohr. ‚Wir haben ein Problem. Ein Problem mit den Ausländern.‘
Ich schaue den Co-Trainer fragend an. Was redet Köstner da? Ist er verrückt geworden?
‚Drei‘, sagt Köstner. ‚Es hätten nur drei ausländische Spieler sein dürfen, nicht vier.‘ Er packt mich am Oberarm und schaut mich eindringlich an. ‚Aber sag keinem was! Kein Wort zur Presse, wenn wir landen. Wir stellen uns erst mal dumm. Vielleicht hat es ja gar keiner mitgekriegt!‘
Köstner dreht sich um und geht den Mittelgang hinunter. Meine Festtagsstimmung weicht einem Gefühl der Angst. Was geht hier vor? Haben wir die Regeln gebrochen, ohne es zu merken? Im Kopf gehe ich unsere Aufstellung durch. Jolly Sverrisson, unser Isländer, und der Jugoslawe Dubajic … macht zwei … dann ist noch Adrian Knup reingekommen, er kommt aus der Schweiz. Aber wer ist der vierte? Als mein Blick auf Gaudino fällt, geht es mir auf. Simanic! Kurz vor Schluss hat Daum noch den zweiten Jugoslawen eingewechselt. Vier Ausländer also, tatsächlich. Und nun?
Jovica Simanic. Ihn hätte Christoph Daum nicht einwechseln dürfen.
Unser Plan, alles unter den Teppich zu kehren, fliegt uns gleich an der Gangway in Stuttgart-Echterdingen um die Ohren. Die Reporter stürmen auf uns zu. Alle wissen es schon. Die Fragen prasseln auf uns ein. Wie konnte es dazu kommen? Hätte das nicht bekannt sein müssen…? Daum und Hoeneß winken ab. Kein Kommentar. Morgen sehen wir weiter.
Der nächste Tag ist die reine Schizophrenie. Die Zeitungen, die am Vorabend in Druck gegangen sind, bejubeln noch unser Weiterkommen. Schwärmen von mir, dem ‚Schwaben-Turbo‘: Tor von Buck rettet den Meister – Daums Mann der wichtigen Tore – Bucks Tor lässt die Schwaben schweben … Aber es ist längst ein Sieg unter Vorbehalt. Leeds hat offiziell Protest eingelegt. Die UEFA muss entscheiden, wie es weitergeht.