Nicht nur der Hochglanzfußball der Bundesliga leidet unter den Auswirkungen der Coronakrise. Auch Deutschlands Amateurvereine sehen sich in ihren Existenzen bedroht. Abgesagte Spiele und leere Vereinsgaststätten setzen ihnen zunehmend zu.
In Haßloch geht es in der Regel recht ruhig zu. Doch aktuell ist es noch ruhiger als ohnehin schon in der beschaulichen Vorderpfalz. Das südliche Ende des größten Dorfs Deutschlands mit seinen 20.000 Einwohnern ist die Heimat des VfB Haßloch. Zwei Fußballplätze betten sich an die ersten Bäume des Haßlocher Waldes. Die Wegen um das Vereinsgelände sind als Trimm-Dich-Pfad ausgebaut, Jogger drehen ihre Runden. Wenn im Frühling die Temperaturen steigen und die Sonne wieder über der Pfalz lacht, erwacht auch der Fußballverein wieder zum Leben. Man sitzt zusammen auf der Terrasse der Vereinsgaststätte, trinkt die ein oder andere Weinschorle und genießt die Zeit. Das übliche Geschrei auf dem Spielfeld sorgt für die klassische Fußballatmosphäre. Gelegentlich, wenn die Schwarz-Gelben treffen, huscht ein Torjubel über die Anlage. Rentner, die irgendwie zum Inventar des Vereins gehören, geben wohl gemeinte Ratschläge an die Spieler oder weisen den Schiedsrichter darauf hin, wie er zu pfeifen hat. Ein Raunen geht durch das Stadion am Eichelgarten, fliegt wieder ein Torschuss über den eigentlich ausreichend hohen Fangzaun in die Tiefen des Waldes oder in den angrenzenden Rehbach. Übliche Szenen für Ende März.
Das gilt leider nicht für diesen März. Wie überall in Deutschland ruht auch der Spielbetrieb in der Bezirksliga Vorderpfalz. Bezirksliga Vorderpfalz, das bedeutet achte Liga, viele Derbys, viele Fehlpässe, Fußballromantik pur. Am Sonntag sollte das Saisonhighlight gegen den 1. FC 08 Haßloch steigen. Doch die große Frage, wer denn die Nummer eins im Großdorf ist, bleibt auf unbestimmte Zeit unbeantwortet. Das Vereinsgelände ist abgeriegelt, die Spiele fallen aus, der Trainingsbetrieb ruht. Nur der Platzwart dreht für ein paar Stunden in der Woche seine Runden auf dem Rasenplatz. Ist seine Arbeit getan und der Motor des Rasenmähers verstummt, kehrt sie wieder ein, diese gespenstische Stille. Für den ersten Vorsitzenden Matthias Gillich eine unwirkliche Szenerie: „Es ist schon befremdlich, das Gelände so ausgestorben zu sehen. Wir haben rund 780 Mitglieder. Normalerweise ist hier immer etwas los, wenn Jung und Alt zusammenkommen.“
Das Leben steht still auf Deutschlands Fußballplätzen. Obwohl der Fußball in dieser Krisenzeit zur Nebensache wird, machen sich die Vereinsfunktionäre Gedanken, wie sie ihren Klub durch die Krise bringen. Für viele wirken die Folgen des eingeschränkten Lebens schwer. Abgesagte Spieltage bedeuten zunächst ein Verlustgeschäft für die rund 25.000 Vereine, die sich mit ihren insgesamt sieben Millionen Mitgliedern im Deutschen Fußballbund organisieren. Sportökonomen warnen nun vor einem Vereinssterben. Christoph Breuer lehrt an der Deutschen Sporthochschule Köln und beschäftigt sich seit Jahren mit Amateursportvereinen. „Wir müssen davon ausgehen, dass über 10 Prozent der Fußballvereine existenzielle Probleme haben werden“. Dabei könne ein Vereinstyp von den Problemen größtenteils verschont bleiben. „Wir nennen ihn den Idealverein. Der ist relativ immun gegen die finanziellen Auswirkungen, da er ausschließlich ehrenamtlich organisiert und nicht kommerzialisiert ist.“ Das ehrenamtliche Engagement wirke wie ein Schutzpuffer gegen die Krise. Leider gebe es diesen Vereinstypus nicht mehr so häufig, meint Breuer. „Heutzutage sehen wir Vereine, die bis in die sechste oder siebte Liga Spieler bezahlen. Für die wird es schwieriger, die finanziellen Auswirkungen aufzufangen.“
Die Einnahmequellen der Amateurvereine sind recht unterschiedlich. Um die Folgen der Krise einzuordnen, unterscheidet Breuer in unmittelbare und mittelbare Auswirkungen. Unmittelbar fehlen den Klubs die Einnahmen, die sie an den Spieltagen generieren. Eintrittsgelder und der Umsatz an der Würstchenbude und am Bierstand beispielsweise. VfB-Vorstand Gillich hadert mit der Situation: „Das schlimmste ist die Ungewissheit. Keiner weiß, wann es weitergeht. 180 Zuschauer kommen durchschnittlich zu den Spielen unserer ersten Mannschaft. Da die Spiele bis auf Weiteres ausfallen, müssen wir natürlich finanzielle Einbußen hinnehmen. Woche für Woche fehlen wichtige Einnahmen in der Vereinskasse.“
Probleme, die auch einige Ligen höher eine immense Rolle spielen. René Jacobi, Pressesprecher des Regionalligisten BSG Chemie Leipzig, rechnet allerdings in anderen Dimensionen. Der sächsische Traditionsverein bestreitet seine Heimspiele im Schnitt vor 2.500 bis 3.000 Zuschauern. „Bis Saisonende erwarten wir einen Einnahmeverlust von 80.000 Euro. Das ist ziemlich happig. Obwohl wir in der Regionalliga spielen, sind wir ein reiner Amateurverein und wir finanzieren uns größtenteils durch die Heimspiele,“ berichtet Jacobi. Die Konsequenz: Der Verein musste Kurzarbeit für die wenigen festangestellten Spieler, Mitarbeiter der Geschäftsstelle und die Greenkeeper beantragen. „Bei BSG wird nicht das große Geld gemacht und wir haben keine Gewinnabsichten. Wir wollen einfach nur Fußballspielen.“ Und das am liebsten vor den treuen Anhängern. „Wenn wir uns zwischen 20.000 Euro und den Fans entscheiden müssten, würden wir uns für unsere Anhänger entscheiden,“ sagt Jacobi. Auch im Hinblick auf mögliche Spiele vor leeren Rängen im Alfred-Kunze-Sportpark hat der Chemie Leipzig eine klare Meinung: „Wir möchten die Spiele vor unseren Fans austragen. Das ist unser sehnlichster Wunsch.“
Wie wichtig ein gutes Verhältnis zwischen Fans, Mitgliedern und dem Verein ist, zeigt sich nicht nur in den Top-Ligen, wo Tausende auf den Rängen ihren Verein lautstark unterstützen. Auch in den unteren Spielklassen haben Mitglieder und Anhänger eine tragende Rolle zum Fortbestehen der Klubs. Für Sportökonom Christoph Breuer hat die Krise auch auf dieses Verhältnis Auswirkungen. „Langfristig könnte es sein, dass die Vereine Mitglieder verlieren, je länger der Betrieb stillsteht.“ Ein Effekt, der Stand heute aber noch nicht genau prognostizierbar sei. Direkt bemerkbar macht sich hingegen der Verlust des Fußballvereins als Anlaufstelle und Treffpunkt – beispielsweise in Vereinsgaststätten. „Die Gaststätte symbolisiert nicht nur finanzielle, sondern auch soziale Probleme, die mit der Spielpause einhergehen. Die Gemeinschaftsbildung in den Vereinen findet schlichtweg nicht mehr statt“, sagt Breuer.
Rund ein Drittel der Amateurvereine sichert sich mit einer vereinseigenen Gastronomie die Existenz. Auch der VfB Haßloch kann auf diese Einnahmequelle bauen. Die Gaststätte des Bezirksligisten ist verpachtet, der Verein generiert so wichtige Einnahmen und die Vereinsmitglieder genießen den bewirteten Treffpunkt zum sozialen Austausch. „Natürlich trifft die Krise auch unseren Pächter hart. Ohne Publikumsverkehr steht auch er vor existenziellen Problemen. Wir sind ihm finanziell entgegengekommen, damit wir diese schwierige Zeit gemeinsam meistern. Wenn es uns schlecht geht, geht es ihm schlecht und umgekehrt. Wir sitzen alle in einem Boot und müssen zusammenhalten“, sagt der VfB-Vorstand.