Unser Autor erlebte vor einem Jahr den WM-Finaltag in Rio. Ohne Ticket, ohne funktionierenden Fernseher – aber mit dem Pokal.
Am Abend des 13. Juli 2014 war alles wieder gut. In Rio de Janeiro, am Strand von Leme, 20:30 Uhr Ortszeit. Eine dieser roten, eisgekühlten Bierdosen in der Hand. Sand zwischen den Zehen, die Füße im Wasser. Die Zahl der neuen Whatsapp-Nachrichten auf 127 angewachsen. Egal, Handy zur Seite legen, den Moment genießen. Wie ein Yogi es tun würde.
Ein anderer Jogi hatte rund drei Stunden vorher in mir schiere Verzweiflung ausgelöst. 88. Minute, nein, jetzt nimmt er auch noch Klose raus. Für wen? Für WEN? Mario Götze.
Wiederum drei Stunden davor stand ich am Ort des Geschehens – doch ich kam nicht rein. Das Maracanã-Stadion, diese Beton-Schüssel, Sehnsuchtsort der Brasilianer. Und auch mein Sehnsuchtsort in den vergangenen acht Wochen.
2000 Euro für ein Finalticket
In dieser Zeit war ich als freier Reporter durch Brasilien gereist, hatte gebloggt, gefilmt, getrunken, gegessen, Land und Leute kennengelernt. In Sao Paulo hatte ich in einem Townhouse eines Ex-Arbeitskollegen gelebt, fünf Minuten entfernt vom Hotel der Fifa. Hatte in Belo Horizonte neben WM-kritischen Studenten auf dem Boden gepennt, war in Porto Alegre als dritter Sohn einer warmherzigen brasilianischen Familie aufgenommen worden. Und in Rio? Dort habe ich den Finaltag erlebt.
Ich schlich also in der Mittagshitze um das Stadion herum, einmal, zweimal. Versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich kein Ticket für das Finale hatte, für das Ereignis, auf das die Welt schaute. Immer wenn ich einen dieser hellblauen Papierfetzen in den Händen eines Argentiniers oder Deutschen sah, musste ich kurz schlucken. Physisch war ich nur wenige Meter entfernt, finanziell in diesem Moment mindestens 2000 Euro. Soviel hatte eine deutsche Anwältin, die ich am Abend zuvor kennengelernt hatte, gezahlt. „Für 90 Minuten“, dachte ich in dem Moment. Und mein Unterbewusstsein hatte Probleme, die Gefühle Mitleid und Neid auszutarieren.
Obwohl ich mir ein Ticket nicht hätte leisten können, fragte ich in diesen Stunden vor dem Stadion etliche Leute, ob sie noch eines übrig hätten. Sprach mit der Security an diversen Stadioneingängen, um wenigstens einen Blick auf das Maracanã zu erhaschen. Beides erfolglos.
Auf der Suche nach dem „German Kiosk“
Als der Anpfiff aber immer näher rückte, brach ich die Aktion ab. Ich wollte nicht riskieren, auch nur eine Sekunde dieses Spiels zu verpassen. Vorbei an tanzenden Brasilianern in rot-schwarzen „Flalemanha“-Trikots (Flamengo + Alemanha) und Fernet Branca aus Kanistern trinkenden Argentiniern bahnte ich mir meinen Weg Richtung Strand.
Ich hatte von einem so genannten „German Kiosk“ gehört, an dem sich alle Deutschen versammeln konnten, die es nicht ins Stadion geschafft hatten. Ein Auffangbecken für Leute wie mich. Ich fand: eine deutsche Enklave am Nachbarstrand der Copacabana, am letzten Strand bevor die Felsen des Berges „Morro do Leme“ beginnen.
Diesen Strand, so hörte ich, bezeichnete man auch als das „Ende von Rio“. In diese hinterste aller Ecken also hatten sich rund 80 deutsche Fans verzogen. Der Kiosk bestand aus einem Unterstand, zig Klappstühlen und zwei Fernsehern, neben mir stand Patrick, der nicht nur denselben Vornamen hatte wie Owomoyela, sondern auch so aussah. Wir hatten uns vor dem Spiel noch nie und haben uns auch danach nie wieder gesehen. Aber 120 Minuten eines WM-Finales können zwei Menschen enger zusammenschweißen als 13 Jahre Schulzeit.