Der HSV setzt am Samstag offiziell und kontrolliert Pyro ein. Allerdings nicht, wie überall steht, als erster deutscher Klub. Vor 28 Jahren machte das ein Verein schon mal eine ganze Rückrunde lang, wie ein Blick in die Geschichte der Pyrotechnik in deutschen Stadien zeigt.
Dieser Text erschien erstmals im September 2012 in 11FREUNDE #131. Woran man mal wieder sieht, wie lange sich in dieser Debatte nichts bewegt hat. Vielleicht ändert sich das nun.
„Borussia erobert Rom“, sagt Volker Rehdanz. Wie bitte? Volker, der vor zwanzig Jahren das erste Borussia-Dortmund-Fanzine herausgegeben hat, hat sich gerade erst ein wenig über Ultras aufgeregt, dann über die Leute, die sich über Ultras aufregen, oder zumindest über das, was heute jeder mit den Ultras verbindet, also Pyrotechnik. „Ich weiß gar nicht, was die alle haben“, hat Volker gegrummelt, „früher war’s doch viel schlimmer.“ Und auf die Frage, was genau er damit meint, sagt er bloß: „Borussia erobert Rom.“
Im März 1995 hatte Volker beim UEFA-Cup-Spiel zwischen Lazio Rom und Borussia Dortmund ein Foto von der Gästetribüne gemacht, die ganz in den Schein bengalischer Fackeln getaucht war. Er ließ das Bild als Poster drucken, schrieb „Borussia erobert Rom“ darüber und verteilte es unter den Fans. „Zu der Zeit war doch alles voller Bengalos“, sagt er. „Lange vor den Ultras.“ Und dann regt er sich noch ein bisschen mehr auf, über Leute, die sich zu Dingen äußern, von denen sie keine Ahnung haben.
Doch selbst die, die Ahnung haben, benutzen oft Ausdrücke, die in die Irre führen. Das konnte man 1991 noch verzeihen, als bestimmte Formen der Pyrotechnik recht neu waren. Da stand ZDF-Reporter Dieter Kürten auf dem Rasen des Fritz-Walter-Stadions in Kaiserslautern, konnte die Tribünen nicht mehr sehen und stammelte: „Nebelbomben sind in das Stadion geflogen.“ Er meinte entweder Rauchgranaten oder Nebeltöpfe, hatte aber eh unrecht, denn erstens war gar nichts von außerhalb ins Stadion geschossen worden, zweitens waren die dichten Rauchschwaden darauf zurückzuführen, dass in der Westkurve 100 bengalische Feuer abbrannten.
Doch noch zwanzig Jahre nach Kürtens Wortfindungsstörungen, mitten in einer hitzigen Dauerdebatte über Pyrotechnik, protokollierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ eine Pokalnacht in Frankfurt, schrieb von einer „Bedrohung durch Pyrotechnik“ und berichtete, ein Polizeipferd habe „Verbrennungen“ davongetragen, „als es mit Leuchtspurmunition beschossen“ worden sei. Das ist nun ein Begriff, den selbst hochrangige Fanbeauftragte regelmäßig in den Mund nehmen – leider etwas leichtfertig. Denn bei Leuchtspurmunition handelt es sich um normale, scharfe Munition, die einen kleinen entflammbaren Aufsatz hat, damit die Flugbahn des Geschosses sichtbar wird. Nun könnte es natürlich sein, dass an jenem Tag in Frankfurt tatsächlich jemand mit einem Maschinengewehr oder einem Kampfpanzer auf das Pferd angelegt hat. Allerdings hätte sich das treue Tier dann nicht bloß Verbrennungen zugezogen.
Was also meinen wir überhaupt, wenn wir von Pyrotechnik sprechen – und seit wann finden wir sie in deutschen Stadien? In Abwandlung eines alten Schülerspruchs könnte man sagen: Pyro ist, wenn’s knallt und brennt oder raucht und stinkt. Denn lange vor den bengalischen Fackeln, um die es heute meistens geht, gab es ganz andere Arten von Feuerwerk auf den Rängen, mit ganz anderen Absichten. So waren in den achtziger Jahren Silvester- und Leuchtraketen und die als „Vogelschreck“ bekannten Knallpatronen ebenso verbreitet wie Rauchgranaten und Wunderkerzen. Dabei wurden aber nur Letztere der Atmosphäre wegen eingesetzt, die anderen Utensilien dienten gefährlicheren Zwecken. Denn alles, was einigermaßen weit fliegen kann, wurde von Hooligans benutzt, um entfernte Blöcke anzugreifen. Das konnten einfache Steine sein, aber eben auch pyrotechnische Geschosse.
Ein interessanter Sonderfall waren die Rauchgranaten, die sich nicht weit werfen ließen. Schon auf Fotos aus den Achtzigern kann man sehen, dass die meisten Fans in der Nähe eines solchen Nebeltopfes sich Schals ums Gesicht gebunden haben. Das geschah aber nicht der Vermummung wegen, sondern aus Selbstschutz: Der beißende Qualm der Rauchgranaten griff die Atemwege an, und ihr Gestank war nicht auszuhalten. Deswegen wurden sie im Normalfall rasch auf die damals noch weit verbreiteten Tartanbahnen geschleudert. Lange Zeit dienten die Rauchgranaten also weder als Angriffswaffen noch als Stimmungsmacher, sondern waren eigentlich nur für Randale zu gebrauchen.