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Dieser Text erschien erst­mals im Sep­tember 2012 in 11FREUNDE #131. Woran man mal wieder sieht, wie lange sich in dieser Debatte nichts bewegt hat. Viel­leicht ändert sich das nun.

Borussia erobert Rom“, sagt Volker Reh­danz. Wie bitte? Volker, der vor zwanzig Jahren das erste Borussia-Dort­mund-Fan­zine her­aus­ge­geben hat, hat sich gerade erst ein wenig über Ultras auf­ge­regt, dann über die Leute, die sich über Ultras auf­regen, oder zumin­dest über das, was heute jeder mit den Ultras ver­bindet, also Pyro­technik. Ich weiß gar nicht, was die alle haben“, hat Volker gegrum­melt, früher war’s doch viel schlimmer.“ Und auf die Frage, was genau er damit meint, sagt er bloß: Borussia erobert Rom.“

Im März 1995 hatte Volker beim UEFA-Cup-Spiel zwi­schen Lazio Rom und Borussia Dort­mund ein Foto von der Gäs­te­tri­büne gemacht, die ganz in den Schein ben­ga­li­scher Fackeln getaucht war. Er ließ das Bild als Poster dru­cken, schrieb Borussia erobert Rom“ dar­über und ver­teilte es unter den Fans. Zu der Zeit war doch alles voller Ben­galos“, sagt er. Lange vor den Ultras.“ Und dann regt er sich noch ein biss­chen mehr auf, über Leute, die sich zu Dingen äußern, von denen sie keine Ahnung haben.

BVB
Privat

Doch selbst die, die Ahnung haben, benutzen oft Aus­drücke, die in die Irre führen. Das konnte man 1991 noch ver­zeihen, als bestimmte Formen der Pyro­technik recht neu waren. Da stand ZDF-Reporter Dieter Kürten auf dem Rasen des Fritz-Walter-Sta­dions in Kai­sers­lau­tern, konnte die Tri­bünen nicht mehr sehen und stam­melte: Nebel­bomben sind in das Sta­dion geflogen.“ Er meinte ent­weder Rauch­gra­naten oder Nebel­töpfe, hatte aber eh unrecht, denn ers­tens war gar nichts von außer­halb ins Sta­dion geschossen worden, zwei­tens waren die dichten Rauch­schwaden darauf zurück­zu­führen, dass in der West­kurve 100 ben­ga­li­sche Feuer abbrannten.

Doch noch zwanzig Jahre nach Kür­tens Wort­fin­dungs­stö­rungen, mitten in einer hit­zigen Dau­er­de­batte über Pyro­technik, pro­to­kol­lierte die Frank­furter All­ge­meine Zei­tung“ eine Pokal­nacht in Frank­furt, schrieb von einer Bedro­hung durch Pyro­technik“ und berich­tete, ein Poli­zei­pferd habe Ver­bren­nungen“ davon­ge­tragen, als es mit Leucht­spur­mu­ni­tion beschossen“ worden sei. Das ist nun ein Begriff, den selbst hoch­ran­gige Fan­be­auf­tragte regel­mäßig in den Mund nehmen – leider etwas leicht­fertig. Denn bei Leucht­spur­mu­ni­tion han­delt es sich um nor­male, scharfe Muni­tion, die einen kleinen ent­flamm­baren Auf­satz hat, damit die Flug­bahn des Geschosses sichtbar wird. Nun könnte es natür­lich sein, dass an jenem Tag in Frank­furt tat­säch­lich jemand mit einem Maschi­nen­ge­wehr oder einem Kampf­panzer auf das Pferd ange­legt hat. Aller­dings hätte sich das treue Tier dann nicht bloß Ver­bren­nungen zuge­zogen.

Begriffs­klä­rung

Was also meinen wir über­haupt, wenn wir von Pyro­technik spre­chen – und seit wann finden wir sie in deut­schen Sta­dien? In Abwand­lung eines alten Schü­ler­spruchs könnte man sagen: Pyro ist, wenn’s knallt und brennt oder raucht und stinkt. Denn lange vor den ben­ga­li­schen Fackeln, um die es heute meis­tens geht, gab es ganz andere Arten von Feu­er­werk auf den Rängen, mit ganz anderen Absichten. So waren in den acht­ziger Jahren Sil­vester- und Leucht­ra­keten und die als Vogel­schreck“ bekannten Knall­pa­tronen ebenso ver­breitet wie Rauch­gra­naten und Wun­der­kerzen. Dabei wurden aber nur Letz­tere der Atmo­sphäre wegen ein­ge­setzt, die anderen Uten­si­lien dienten gefähr­li­cheren Zwe­cken. Denn alles, was eini­ger­maßen weit fliegen kann, wurde von Hoo­li­gans benutzt, um ent­fernte Blöcke anzu­greifen. Das konnten ein­fache Steine sein, aber eben auch pyro­tech­ni­sche Geschosse.

Ein inter­es­santer Son­der­fall waren die Rauch­gra­naten, die sich nicht weit werfen ließen. Schon auf Fotos aus den Acht­zi­gern kann man sehen, dass die meisten Fans in der Nähe eines sol­chen Nebel­topfes sich Schals ums Gesicht gebunden haben. Das geschah aber nicht der Ver­mum­mung wegen, son­dern aus Selbst­schutz: Der bei­ßende Qualm der Rauch­gra­naten griff die Atem­wege an, und ihr Gestank war nicht aus­zu­halten. Des­wegen wurden sie im Nor­mal­fall rasch auf die damals noch weit ver­brei­teten Tar­tan­bahnen geschleu­dert. Lange Zeit dienten die Rauch­gra­naten also weder als Angriffs­waffen noch als Stim­mungs­ma­cher, son­dern waren eigent­lich nur für Ran­dale zu gebrau­chen.