Barzagli, Bonucci, Chiellini – zusammen 95 Jahre alt und abgezockt für Vier. Im Achtelfinale sollen sie Spanien stürzen, für Zuversicht sorgt dabei vor allem eines: ihre Aura.
Als ich vor ein paar Tagen das Vorrundenspiel der Belgier gegen Italien sah und zum Ende des Spiels immer wieder in die flaumigen Gesichter von De Bruyne und Hazard blickte, da musste ich an meine Kumpels und mich damals auf dem Schulhof denken.
Direkt gegenüber von meiner Grundschule stand die Hauptschule. Man musste nur über die Straße gehen, schon fand man sich wieder inmitten rauchender 13-Jähriger mit blondgefärbten Haaren, Picaldi-Hosen und Diesel-Pullovern. Viele Kinder gingen nach der sechsten Klasse auch genau diesen Weg, runter von der Grund- und rauf auf die Hauptschule. Immerhin blieb der Schulweg gleich und die Hälfte der Schüler kannte man vom Sehen.
Einige dieser Kinder, mit dem Schritt auf die andere Straßenseite in ihren und unseren Köpfen schlagartig erwachsen geworden, kehrten ab und an auf den alten Schulhof zurück. Und während wir Grundschüler nachmittags auf dem staubigen Gelände bolzten oder die Mädchen fingen, kamen sie nur rüber – den fiesen, neuen Kumpels galt es schließlich zu imponieren – um uns mal ordentlich zu verdreschen.
Ich fand das alles immer ziemlich unfair. Ich verstand nicht, warum diese alten Säcke sich nicht Gegner aussuchten, die zumindest gleich alt waren oder ihnen irgendwas getan hatten oder die einfach nicht ich und meine Kumpels waren.
Eine Mischung aus Angst und Resignation
Und als ich zum Ende des Spiel also in das Gesicht von De Bruyne schaute, da entdeckte ich den Gesichtsausdruck meines Neunjährigen Ichs. Eine Mischung aus Angst und Resignation ob der unfairen Verhältnisse im Allgemeinen und der besonders unfairen italienischen Gegenspieler im Besonderen.
Denn war es nicht unfair, dass da noch immer ein Andrea Barzagli Angriffswelle um Angriffswelle mit offenem Mund schluckte? War es nicht unsagbar fies, dass Giorgio Chiellini noch immer Spaß daran fand, den jungen Angreifern mit seinem kantigen Schädel Kopfball um Kopfball ein weiteres Stück Schneid abzukaufen? War es denn wirklich notwendig, dass dieser Hund von Bonucci auch noch den Führungstreffer mit einem butterweichen Flugball einleitete?
So schwirrten die Fragen zumindest in meinem Kopf umher und ich sah mich versucht, diese unbedacht und voller Inbrunst zu bejahen. Doch dann dachte ich noch mal nach über diese drei Italiener, diesen fleischgewordenen Catenaccio und empfand plötzlich Sympathie für die alten Männer.
Sicher, es sind ekelhafte Typen. So funktioniert das Klischee des italienischen Fußballers nun mal am besten und außerdem waren es doch die Italiener gewesen, die mir 2006 den Titel quasi persönlich geklaut hatten. Doch ich schaute auf den Bildschirm, und da war keine Wut mehr übrig. Nein, der Schmerz über das Halbfinale 2006 war verjährt. Außerdem waren die Italiener zu dieser EM ja nicht als übermächtige Hauptschulschläger angereist, sondern als greise Halbtote.