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Seite 2: Das raubeinige BBC-Pendant zu Reals Wundersturm

Doch ich merkte schnell, dass der ver­jährte Schmerz und die under­do­gige Rolle der Ita­liener nicht die ein­zigen Gründe für die plötz­liche Zunei­gung waren und lan­dete bei der nächsten Erin­ne­rung: Ama­teur­fuß­ball, Abschluss­spiel im Trai­ning, alt gegen jung. Jung war immer fitter, hung­riger, tech­nisch besser und über­haupt in allen mess­baren Fer­tig­keiten über­legen. Und alt war, nun ja, in erster Linie älter. Aber, und jetzt kommt die ent­schei­dende Vokabel: Alt war ein­fach abge­wichster. Genauso abge­wichst wie die alten Recken mit faulen Tricks und unnö­tiger Härte die Trai­nings­spiele gewannen, zer­mürbten die Ita­liener das hoch­ver­an­lagte bel­gi­sche Team. Und so wider­lich es sein mag, gegen diese Hau­degen anzu­treten, so berau­schend muss es sein, mit ihnen auf dem Platz zu stehen.

Bei Guar­diola heißt es Avan­garde, bei den Ita­lie­nern Old­school

Bonucci, Bar­zagli und Chiel­lini – das rau­bei­nige BBC-Pen­dant zu Reals Wun­der­sturm – sie sind mit Ver­laub nicht mehr die Schnellsten. Sie sind keine Klei­der­schränke wie Boateng und setzen nicht mehr zu wilden Sturm­läufen an wie einst Lucio. Zusam­men­ge­rechnet sind sie 95 Jahre alt und spielen seit 22,5 Jahren für Juventus Turin. Als Guar­diola bei den Bayern nur drei Ver­tei­diger auf­stellte, machte das Wort Avant­garde die Runde. Wenn die ange­ros­tete BBC-Ver­sion für Ita­lien die Drei­er­kette bildet, fällt das Wort Old­school. Und doch ver­tei­digt das Trio seit Jahren auf kon­stant hohem Niveau. Das liegt zu einem großen Teil an der enormen fuß­bal­le­ri­schen und tak­ti­schen Qua­lität. Dazu kommen defen­siv­starke Team­kol­legen. Immerhin hält ihnen ein gewisser Gigi Buffon – schlappe 38 – den Rücken frei. Doch neben den sport­li­chen Erklä­rungen sind es gefüh­lige Klei­nig­keiten, die bei Zuschauern und Geg­nern den Ein­druck erwe­cken, die Drei seien unüber­windbar.

Man kann diese Abge­wichst­heit nicht sta­tis­tisch errechnen. Eher sind es Rand­ge­schichten, die vor allem aus Chiel­lini eine Art abge­wichsten Pro­to­typen machen. Da wäre die Sache mit der Nase. Vier mal gebro­chen, krumm und schief und groß und mitten im Gesicht. Da wäre die Sache mit Suarez. Den fuß­bal­le­risch über­le­genen Stürmer nervte er 2014 bei der WM so sehr, dass der ihn vor einem Mil­lio­nen­pu­blikum in die Schulter biss. Und da wäre die Sache mit dem Stu­dium. Den Bachelor in Wirt­schaft hat er längst, Master und Doktor sollen folgen. Jetzt ist dieser kno­chen­harte Typ also auch noch schlau – unbe­re­chen­barer geht‚s kaum. Flan­kiert vom unver­wüst­li­chen Bar­zagli, seit gefühlt einem Jahr­zehnt abge­schrieben, und Leo­nardo Bonucci, abge­zockt und sagen­haft ele­gant zugleich, bildet Chiel­lini die gefürch­tetste Defen­sive der Euro­pa­meis­ter­schaft.

Voller Ehr­furcht beob­ach­tete ich die Drei gegen Bel­gien, sah die Ita­liener siegen und freute mich ob der Cle­ver­ness der alten Recken. Ich sah sie ein wei­teres Mal siegen gegen Schweden, als sich, viel­leicht auch wegen der geringen Gegen­wehr, schon ein gutes Stück Behä­big­keit in die Aktionen mischte. Schon qua­li­fi­ziert, sprengte Trainer Conte gegen Irland sein Prunk­stück und gönnte Chiel­linis müden Kno­chen eine Pause. Für mich Grund genug das Spiel zu ver­passen, für die Irländer Grund genug, das Spiel zu gewinnen.

Können sie Morata stoppen?
 
Und nun warten im Ach­tel­fi­nale die Spa­nier. Im Sturm ange­führt vom jungen Alvaro Morata, der der Welt beweisen will, dass er ein Stürmer von Format ist. Und womög­lich werden die Spa­nier, vor vier Jahren im EM-Finale fegten sie die Ita­liener mit 4:0 von der Platte, wieder eine Nummer zu groß sein.

Doch wenn es einen Grund gibt, auf die Ita­liener zu setzen, dann viel­leicht diesen: Alvaro Morata spielte die letzten Jahre bei Juventus Turin. Und bei alt gegen jung – reine Spe­ku­la­tion – dürften seine Wege die von Chiel­lini, Bar­zagli und Bonucci im Trai­ning öfters gekreuzt haben. Und viel­leicht wird er gemerkt haben, dass er tech­nisch stärker ist, schneller und auch kräf­tiger. Doch dann ist Giorgio Chiel­lini ihm womög­lich auf den Fuß getreten, hat den Ball abge­fangen und nach vorne geprü­gelt. Danach schmerzte Moratas großer Zeh. Und alt gewann das Spiel.