Vor fast dreißig Jahren wurde der FC Wimbledon von der legendären Plough Lane vertrieben. Im November kehrte der Klub zurück – in ein neues Stadion am alten Ort. Zu verdanken hat der Klub das vor allem den Fans.
Dieser Text erschien erstmals in 11FREUNDE #230. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
London ist eine Sonic-the-Hedgehog-Stadt, oben ist unten, links ist rechts, alles ständig in Bewegung, Gebäude werden erbaut und wieder abgerissen, auf der permanenten Jagd nach klingender Münze. In Wimbledon aber, im vorstädtischen Südwesten von London, mögen es die Leute geruhsamer, ihre Maskottchen sind die Wombles, lustige Pelztiere aus einer Siebziger-Jahre-Kindersendung, die sich um die Umwelt kümmern und gerne recyceln.
Als Auswärtige 2002 ihren Fußballverein, den FC Wimbledon, zerstörten und in die Retortenstadt Milton Keynes verpflanzten, blieben Tausende enttäuschte Fans zurück. Aber anstatt sich dem Schicksal zu ergeben, taten sie sich zusammen und gründeten einen neuen Klub, mit dem sie ganz unten wieder anfingen. Es folgten sechs Aufstiege in vierzehn Jahren, von Februar 2003 bis November 2004 blieb das Team sagenhafte 78 Ligaspiele ungeschlagen. Der fangeführte AFC Wimbledon kämpfte sich zurück in den Profifußball, und Ende 2016 stand er erstmals vor seinem künstlichen Zwilling aus Milton Keynes.
Es ist eine Geschichte über Beharrlichkeit, aber auch eine einfache Lehre für den englischen Fußball: Solange es eine kleine Gruppe von Fans gibt, die bereit ist, alles für ihren Klub zu opfern, kann man ihn für zukünftige Generationen erhalten. Die Story ist oft erzählt worden, bald soll sie sogar in einem Hollywoodfilm zu sehen sein.
Es gibt aber noch einen weiteren Strang in der Saga, der ebenfalls von verlorener Heimat handelt, nämlich von der Plough Lane, dem alten Stadion, in dem der FC Wimbledon 80 Jahre lang gespielt hatte. Schon ab 1991 musste die Mannschaft ihre Heimspiele im Selhurst Park austragen, dem Stadion von Crystal Palace. Die Plough Lane war im Zuge des Taylor Reports, der die Ereignisse um die Hillsborough-Katastrophe untersuchte, für ungeeignet befunden worden. Bestrebungen, das Stadion in einen All-Seater zu verwandeln, scheiterten. Einmal wendete sich eine Gruppe Fans in T‑Shirts mit der Aufschrift „Back to Plough Lane“ in einem Match im Selhurst Park vom Spielfeld ab. Aber es sollte noch lange Zeit dauern.
Der AFC Wimbledon trug in den kommenden Jahren seine Heimspiele in fremden Stadien aus, lange Zeit war er Untermieter im Kingsmeadow des Kingstonian FC, elf Kilometer westlich der Plough Lane. Der große Traum blieb immer die Rückkehr in die alte Heimat. Nun wurde er wahr, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, als es sich die Fans, Spieler und Mitarbeiter ausgemalt hatten.
Am kalten Abend des 3. November 2020 weiht der AFC sein neues Stadion ein. Es steht knapp 200 Meter entfernt vom Ort der alten Heimspielstätte. Das Spiel, eine League-One-Partie gegen die Doncaster Rovers, findet wegen der Corona-Pandemie unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Klub hat eine Warnung an die Fans ausgegeben, bitte fernzubleiben, um die Eröffnung nicht zu gefährden, trotzdem haben sich ein paar Neugierige am Stadion eingefunden, um durch Zäune zu linsen und einen Blick auf ihr neues Zuhause zu erhaschen.
Ist einer der Gründer des AFC Wimbledon. Er hätte sich das erste Spiel von der Tribüne aus ansehen können, lehnte aber höflich ab.
Wenn es jemand verdient hätte, bei der Eröffnung dabei zu sein, dann ist es Marc Jones, einer der Gründungsmitglieder, die den AFC Wimbledon 2002 aus der Taufe hoben. Aber er ließ nicht nur den Klub wiederauferstehen, sondern entwarf auch das neue Wappen, die Spielkleidung und das Stadionheft. „Einer musste es ja machen“, sagt Jones vor der Kneipe Corner Pin, die an Spieltagen bestimmt rappelvoll sein wird, sobald die Fans zurück sind.
Ein mit Steinen beladener Laster rumpelt vorüber, als Marc Jones zum neuen Stadion aufblickt, am Rande eines Industriegebiets gelegen, was dem Neubau einen authentischen Arbeiterklasse-Anstrich verleiht, der vielen anderen modernen Arenen in Großbritannien schon lange abgeht.
Auch der neue Ground liegt an der Plough Lane. Er hat ein asymmetrisches Design und einen Pub im Stadion, der selbst an spielfreien Tagen geöffnet hat. 9300 Zuschauer passen hinein, die lautesten und treuesten Fans werden auf der Südtribüne sein, wo es auch einen Safe-Standing-Bereich gibt. Falls das Wimbledon-Märchen eines Tages bis in die Championship oder die Premier League weitergeht, soll das Stadion problemlos auf 20 000 Plätze vergrößert werden können.