In einem Podcast erzählt Rio Ferdinand, wie er als 17-Jähriger alkoholisiert eingewechselt wurde. Eine beispielhafte Episode aus einer Zeit, in der Alkohol im Profifußball eine erschreckende Selbstverständlichkeit war.
Als Rio Ferdinand in der 87. Minute zum ersten Mal in seiner Karriere das Spielfeld im Highbury-Stadion betrat, ahnte keiner, dass der gerade einmal 17 Jahre junge Verteidiger alkoholisiert war. Wir schreiben den 17. August 1996, Auftakt zur Saison 1996/97. Für das Spiel Arsenal gegen West Ham United, für die der spätere Weltklasse-Verteidiger seine ersten Schritte im Profi-Fußball absolvierte, war Ferdinand zunächst gar nicht vorgesehen. „Ich stand nicht im Kader, also ging ich an die Bar und hatte drei Brandy mit Cola. Auf einmal kam der Zeugwart und meinte, ich müsse mich umziehen – während ich noch einen Brandy mit Coke in der Hand hielt“, erzählt Rio Ferdinand in der neusten Folge von The Mo Gilligan Podcast kurz vor dem Jahreswechsel.
Diesem Moment war eine Szene in der Kabine vorausgegangen, bei der Ex-Atlético Flügelflitzer Paulo Futre sich geweigert hatte aufzulaufen, weil sein Trikot nicht mit der versprochenen Rücknummer 10 versehen worden war. Futre ließ ein Taxi holen und verschwand aus dem Highbury, noch bevor das Spiel überhaupt angepfiffen wurde. Den vakanten Platz im Aufgebot nahm kurzerhand der noch unerfahrene Rio Ferdinand ein. „Ich saß auf der Bank und dachte mir, bitte wechselt mich nicht ein. Ich kann doch nicht spielen, nachdem ich drei Brandys mit Coke getrunken hatte. Und dann wurde ich eingewechselt. Ich glaube, es waren 15 Minuten.“ Tatsächlich waren es etwas mehr als drei Minuten, die Ferdinand an diesem Tag auf dem Platz stand.
Dass Paulo Futres Allüre diesen Zufall hervorrief, weist auf weit mehr hinaus, als auf eine Anekdote im Fußballer-Leben von Rio Ferdinand. Das Alkoholproblem im englischen Profifußball der 90er Jahre ist eine traurige Geschichte, von der wir aller Wahrscheinlichkeit nach längst nicht alle Kapitel kennen. Bekannt ist die Geschichte von Tony Adams, der sich noch während seiner Karriere zu seiner Alkoholsucht bekannte, wovon er in seiner 1998 veröffentlichten Autobiografie „Addicted“ erzählt. Kurz vor Arsène Wengers Amtsantritt wurde der ehemalige Kapitän der englischen Nationalmannschaft trocken und feierte in der Folge sechs weitere erfolgreiche Jahre bei Arsenal. Adams Geschichte ist eine der erfolgreichen Suchtbekämpfung.
Inzwischen gibt es zahlreiche weitere Spieler, deren Alkoholsucht der Öffentlichkeit bekannt wurde – gewollt oder ungewollt. Paul Merson, zeitweise Kollege von Tony Adams bei Arsenal, kämpfte neben seiner Spiel- und Drogensucht nicht zuletzt auch mit dem Alkohol. Paul Gascoigne, seinerzeit einer der begnadetsten Fußballer Englands, versuchte auch nach seinem Karriereende, mithilfe zahlreicher erfolglosen Entzugstherapien endgültig von der Volksdroge Nummer eins wegzukommen. Paul McGrath, Jimmy Greaves und selbstverständlich George Best sind weitere prominente Beispiel aus vorangegangenen Jahrzehnten, die dem teuflischen Durst verfallen waren.
„Ich konnte acht, neun, zehn Pints trinken. Dann wechselte ich zu Vodka“
Bereits in einem Interview mit dem Guardian im Jahr 2019 erzählt Rio Ferdinand von seinen Alkoholproblemen zu Beginn seiner Profikarriere: „Ich konnte acht, neun, zehn Pints trinken. Dann wechselte ich zu Vodka.“ Manche Erinnerungen an seine Zeit bei West Ham seien gänzlich verschwommen: „Leute sprechen über Leistungen und Ergebnisse aus bestimmten Spielen und ich sitze nur da und nicke mit dem Kopf. Ich habe keine Ahnung, wovon sie reden. Ich kann mich nicht erinnern.“ Womit wir wieder bei den 15 respektive drei Minuten Spielzeit gegen Arsenal wären. Ferdinand spricht von einer regelrechten Trink-Kultur, die zu jener Zeit vorgeherrscht habe: „Fußball und Drinks und Nachtklubs, so war das damals. So habe ich damals gelebt.“ Mit seinem Wechsel zu Manchester United habe er dann jedoch ganz mit dem Trinken aufgehört. Wie er das geschafft hat, erzählt Ferdinand nicht.
Auffällig in beiden Gesprächen, in denen der ehemalige Weltklasse-Verteidiger einen anekdotenhaften Einblick in diese Zeit gewährt, ist die Beiläufigkeit, mit der er über das Thema spricht. Im Gegensatz zu geplanten oder gar inszenierten Geständnissen, erwecken die Gespräche nicht den Anschein, als hätte Ferdinand diese Momente explizit dafür nutzen wollen, um vom Alkoholproblem im Profifußball zu erzählen. Im Guardian-Interview lenkt Avrom Lasarow, Mitstreiter bei Ferdinands ganzheitlichem Gesundheitsprojekt „DNAfit“, das Gespräch schnell auf eben jenes Projekt. Auf das Thema Alkohol sind die Gesprächsteilnehmer ohnehin eher zufällig denn gezielt gekommen, was gleichermaßen für das Gespräch im Podcast gilt. Darin zeigt sich der Host in erster Linie amüsiert von Ferdinands Anekdote aus dem Jahr 1996. Der Subtext rauscht an Mo Gilligan vorbei.
Und so zeigt sich mit ein wenig Abstand, dass Rio Ferdinands Close-Up auf seinen Kurzauftritt im Highbury beispielhaft für eine Zeit steht, in der Alkohol im Profi-Fußball eine erschreckende Selbstverständlichkeit war.