Pierluigi Collina, einer der besten Schiedsrichter unserer Zeit, wird heute 60 Jahre alt. Vor der WM 2010 führten wir mit ihm dieses Interview. Über Laufwege, VHS-Rekorder und das Finale ’02.
Es gibt immer wieder die Diskussion, dass bei Weltmeisterschaften zu viele Schiedsrichter pfeifen, die aus ihrer heimischen Liga nicht genug Erfahrung mitbringen.
Die Weltmeisterschaft ist die Weltmeisterschaft. Das gilt für Schiedsrichter genauso wie für die Teams.
Es ist also kein Problem, wenn jemand nur gelegentlich mit Weltstars zu tun hat und plötzlich über deren Weiterkommen entscheidet?
Ich erinnere mich an einen sehr guten Schiedsrichter aus Marokko, der bei der Weltmeisterschaft 1998 gepfiffen hat. Er hat das Finale geleitet und war ein sehr guter Unparteiischer. Ich bin mir sicher, dass die Schiedsrichter, die für eine WM ausgesucht werden, auf jeden Fall genügend Erfahrung mitbringen. Daher mache ich mir für Südafrika überhaupt keine Sorgen. Die Kollegen, die über mehr Erfahrung verfügen, leiten dann die Top-Spiele.
Wenn man sich die letzten großen Turniere anschaut, war es doch so, dass viele Schiedsrichter nach falschen Entscheidungen nicht nur kritisiert wurden, sondern auch öffentlich angeklagt. Ganz Polen war 2008 gegen ihren englischen Kollegen Howard Webb, Urs Meier hat 2004 ähnliche Erfahrungen mit den englischen Fans machen müssen. Gibt es von Ihrer Seite einen Rat, wie man mit derartigen Situationen umgehen kann?
Das Beste wäre natürlich, die Leute, die für diese unverhältnismäßige Kritik verantwortlich sind, zu ermahnen. Man sollte sie anhalten, sich zu mäßigen. Das wäre besser, als die Schiedsrichter anzuweisen, wie sie mit solchen Situationen umzugehen haben. Für mich ist es inakzeptabel, dass durch eine Entscheidung in einem Fußballspiel solche öffentlichen Anklagen entstehen. Jeder Schiedsrichter versucht, auf dem Platz sein Bestes zu geben. Aber er kann natürlich, wie jeder andere auch, einen Fehler machen. Das ist doch ganz normal. Genauso gibt es Spieler, die in einem WM-Finale einen Elfmeter verschießen.
Sogar sehr berühmte Spieler aus Ihrem Land.
Aber sagen wir dann, dass das kein guter Spieler ist? Nur aus der Tatsache heraus, dass er den einen Elfmeter verschossen hat? So etwas passiert leider. Und genauso ist es bei den Schiedsrichtern.
Kennen Sie Schiedsrichter, die an Fehlentscheidungen zugrunde gegangen sind?
Ich finde es lustig, dass es immer, wenn ich mit Journalisten über Schiedsrichter spreche, so viel um Fehlentscheidungen geht. Klar gibt es die, aber viel mehr korrekte Entscheidungen. Denkt positiv!
Welcher positive Moment ist Ihnen denn vom WM-Finale 2002 in besonderer Erinnerung geblieben?
Wir mussten damals zweieinhalb Stunden vor dem Anpfiff im Stadion sein, weil danach der ganze Verkehr gestoppt wurde, als sich der japanische Kaiser auf den Weg machte. So früh im Stadion zu sein, war sehr ungewöhnlich, also haben wir die erste dreiviertel Stunde in einem langen Korridor im Inneren des Stadions gestanden, wo unsere Kabinen lagen, und miteinander gequatscht. Es war sehr lustig zu sehen, wie freundlich die Spieler miteinander umgingen. Viele Spieler kannten sich untereinander, es war fast so, als wenn man auf einen Muffin im Café wartet und nicht auf das Finale einer Weltmeisterschaft.