Nur vier Tage nach ihrem Duell in der Liga treffen sich Schalke und Hertha am Dienstagabend schon wieder. Das ist natürlich reiner Zufall. Obwohl … Komisch ist es schon, dass die beiden Vereine immer gleich zweimal spielen müssen, wenn der DFB-Pokal beteiligt ist.
Jürgen Klopp hat noch einmal bestätigt, dass er heute Abend der Anfield Road fernbleibt, wenn der FC Liverpool gegen Shrewsbury Town spielt. Das ist eine Art stiller Protest gegen die Regeln des FA Cup, die bei einem Unentschieden ein Wiederholungsspiel vorsehen. Die Tücken des Regelwerks kennen auch Schalker und Herthaner sehr gut. Obwohl das Los diese beiden Teams erst dreimal zusammenführte, haben sie schon sechsmal im Pokal gegeneinander gespielt! Und zwar immer unter denkwürdigen Umständen und in ganz besonderen Pokaljahren.
In den Jahren vor der Einführung der 2. Bundesliga bestand die erste Hauptrunde aus nur 16 Partien, weswegen der ganze Pokal recht zügig durchgezogen werden konnte. In der Regel begann er im Dezember oder Januar und endete mit dem Finale im April oder Mai. Im WM-Jahr 1970 war das allerdings nicht möglich, denn das Turnier in Mexiko begann schon sehr früh, weshalb die Nationalspieler bereits am 19. Mai nach Südamerika aufbrachen. Deswegen wurde beschlossen, die entscheidenden Runden ab dem Achtelfinale erst nach der Sommerpause auszutragen, vom späten Juli bis Ende August.
Das hatte den eigenartigen Effekt, dass einige Spieler wieder in den Pokal einsteigen konnten, nachdem sie eigentlich schon ausgeschieden waren. Spieler wie ein junger Niederbayer namens Klaus Fischer. In der ersten Runde war er noch Spieler von 1860 München gewesen (verpasste allerdings wegen einer Zerrung die Pokalpleite seiner Löwen in Offenbach), doch im Sommer hatte er sich Schalke angeschlossen. Da Fischer wegen einer leichten Blessur in den Vorbereitungsspielen noch geschont wurde, trug die spätere S04-Legende das königsblaue Trikot zum allerersten Mal im Pokal-Achtelfinale am 28. Juli – gegen Hertha BSC.
„Von Fischer wird es abhängen, wie unser Sturmspiel läuft“, sagte Trainer Rudi Gutendorf vor dem Spiel den Journalisten. Nun, das mit großer Spannung erwartete Debüt des Torjägers lief nicht ganz so, wie die 20.000 Zuschauer es erhofft hatten. Der Neuzugang traf ebensowenig wie irgendjemand sonst. Nach 120 Minuten stand es immer noch 0:0. Nach den damaligen Regeln wurde ein Wiederholungsspiel nötig, und schon vier Tage später traf man sich in Berlin erneut. Wieder war Fischer bei Herthas Kapitän Tasso Wild gründlich abgemeldet. Ja, diesmal wurde er sogar nach einer Stunde vom Platz geholt, obwohl noch alles drin war, denn Hertha führte nur 1:0. Doch in der Schlussphase trafen die Berliner noch dreimal und machten aus einer eigentlich engen Partie eine klare Angelegenheit.
Schon ein knappes Jahr später bekamen die Schalker die Gelegenheit zur Revanche. Oder besser: Sie bekamen gleich zweimal die Gelegenheit. Denn in der Saison 1971/72 übernahm der DFB den Pokalmodus, der damals schon seit knapp zwanzig Jahren in Spanien üblich war, nämlich mit Hin- und Rückspielen. Diesmal lief die Sache besser für Klaus Fischer. In der ersten Partie, daheim in Gelsenkirchen, traf er in der 80. Minute zum 3:0. Damit schien die Sache gelaufen zu sein, doch fünf Minuten vor dem Ende bekamen die Gäste die Art von Elfmeter zugesprochen, die mit dem Wort „umstritten“ nur unzureichend beschrieben ist. Lorenz Horr verkürzte auf 3:1, und dieser Treffer schien elf Tage später wichtig zu werden. Schalke reiste zwar als Herbstmeister zum Rückspiel nach Berlin, kam dort aber böse unter die Räder. Der überragende Erich Beer traf beim 3:0‑Sieg der Hertha doppelt. Waren die Knappen schon wieder an den Berlinern gescheitert?
Nein. Bereits 20 Minuten vor dem Anpfiff dieser Partie soll Schalkes Präsident Günter Siebert in die Kabine gestürmt sein, um der Mannschaft mitzuteilen: „Wir haben schon gewonnen! Die lassen den Varga mitspielen.“ Der Ungar Zoltan Varga war vom DFB wegen des Verdachts der Verwicklung in den Bundesligaskandal gesperrt worden. Die Beweiskette war aber so brüchig, dass Hertha beim Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen die Sperre erwirkt hatte. Siebert war jedoch Fußballfunktionär genug, um zu ahnen, dass der Verband keine Probleme damit haben würde, sich über einen Gerichtsbescheid hinwegzusetzen. Und so kam es auch. Am 21. Januar wandelte der DFB die 0:3‑Niederlage in einen 2:0‑Sieg für Schalke um. Knapp fünf Monate später gewannen die Königsblauen im Finale gegen Kaiserslautern den Pokal.
Auch bei ihrem dritten Aufeinandertreffen im Pokal, 1983/84, beließen es Herthaner und Schalker nicht bei einem Spiel. Die beiden damaligen Zweitligisten waren im Viertelfinale gegeneinander gelost worden. Schalke ging zwar als Tabellenführer in das Duell, aber die Hertha hatte Heimrecht. Und das schien den Ausschlag zu geben, denn nach einer knappen Stunde lagen die Berliner 3:1 in Führung. Doch dann konnte Herthas Torwart Gregor Quasten einen Weitschuss nicht festhalten, und Manfred Drexler staubte zum 3:2 ab. In der Schlussphase warf Schalke alles nach vorne und wurde belohnt: Jochen Abel köpfte kurz vor dem Ende das 3:3. In der Verlängerung hielt Torwart Walter Junghans das Unentschieden fest und sicherte seinem Team ein Wiederholungsspiel vor heimischer Kulisse.
In diesem zweiten Spiel war ein 17-jähriger namens Olaf Thon der beste Mann auf dem Platz. Ein Foul an dem Jungstar führte zu dem Freistoß, den Bernd Dierßen kurz vor der Pause zum entscheidenden 2:0 verwandelte. Herthas Trainer Martin Luppen war anschließend nicht gut auf den Schiedsrichter zu sprechen. „Das war ein Stürmerfoul“, schimpfte er, „aber der Thon steht jetzt schon unter Denkmalschutz.“ In gewisser Weise waren das prophetische Worte, denn auch diese Pokalsaison war keine normale. Durch den Erfolg gegen Hertha erreichte Schalke das historische Halbfinale mit dem Jahrhundertspiel gegen die Bayern. Nach dem 6:6 in Gelsenkirchen war Thon in der Tat kurz davor, ein Denkmal zu bekommen.