Vor 30 Jahren wechselte Steffen Baumgart vom DDR-Ligisten Dynamo Schwerin in die ostfriesische Provinz zur SpVg Aurich. Was wie ein sportlicher Rückschritt anmutete, war das Sprungbrett zu einer veritablen Profi-Karriere. Erinnerungen eines „Ossis” in Ossiland.
Und Sie wären als KfZ-Mechaniker tätig?
Das sicher nicht, denn als Mechaniker war ich nicht gut genug. Nach Beendigung meiner Ausbildung bin ich bald in den Verkauf gewechselt, weil ich in der Werkstatt eher fehl am Platz war. (Lacht.)
Der Geschäftsführer des „Autohaus am Deich“ war Sponsor der SpVg, aber im Betrieb Ihr Vorgesetzter. Wie lief das?
Ich war damals schon ein Typ, der sich den Mund nicht verbieten ließ. Wenn ich der Ansicht war, dass mir der Meister in der Werkstatt Blödsinn erzählt, habe ich das auch geäußert. Das knallte natürlich, aber der Chef hat mich in diesen Situationen ab und zu auch geschützt. Kurz nach dem Ende meiner Ausbildung wurde er als Geschäftsführer ersetzt – und schon kurz darauf war ich dann auch nicht mehr im Autohaus tätig.
Wie war Ihr Tagesablauf zu Auricher Zeiten?
Morgens um sieben fuhr ich in meinem Dienst-Golf – später wurden die Autos immer kleiner – nach Norddeich zur Arbeit. Nachmittags ging es zurück nach Aurich, wo wir ab 18 Uhr drei bis vier Mal die Woche trainierten.
Michael Schulz erzählte, dass Sie im Training nicht gerade durch technische Finesse aufgefallen wären. Wenn Ihnen mal wieder der Ball wegsprang, soll er gesagt haben: „Steffen, nimm mal die Schienbeinschoner raus“.
War ja berechtigt. Ich bin auch öfter mal mit dem Ball ins Aus gelaufen. Na und? Ich war ein junger Spieler, habe noch dazugelernt und Michael Schulz war einer der besten Techniker, die wir in der DDR hatten. Der durfte das! Der war so gut, dass alle auf den gehört haben.
Stimmt es, dass Sie damals eine Art „Ossi“-Stammtisch in Aurich unterhielten?
Im „Biersalon“ am Markt haben wir uns alle zwei Wochen nach dem Training zusammengehockt, haben Karten gespielt, erzählt, gemacht und getan. Das war aber auch in der Hinsicht ein „Ossi“-Stammtisch, dass da auch die ostfriesischen Fußballer dabei waren. Wir hatten eine gute Gemeinschaft. Der Erinnerungsteller an diese Runde hängt bis heute bei mir in der Berliner Wohnung.
Wo haben Sie in Aurich gewohnt?
Anfangs hauste ich mit zwei Teamkollegen direkt am Ellernfeld im Obergeschoss des Klubhauses. Das waren lustige Zeiten, sag‘ ich ihnen. Mit meinem damaligen WG-Partner „Kämpfi” (Matthias Kämpfert, d.Red) bin ich seitdem gut befreundet. Erst letzten Sommer habe ich ihn nach Jahren mal wieder in Aurich besucht und wir haben beim Ellernfeld vorbeigeschaut. Damals bin ich nach etwa zwei Monaten mit meiner damaligen Freundin in eine Wohnung in der Von-Bodelschwingh-Straße gezogen, in der damals mehrere aus der Mannschaft wohnten.
„Was ich aus Aurich mitgenommen habe? Die Herzlichkeit der Ostfriesen. Und: Dass es im Leben immer weiter geht”
Die SpVg Aurich wurde in Ihrer ersten Saison von Rüdiger Lange trainiert, der damals von Motor Ludwigsfelde nach Aurich kam.
Der Trainer half den Sponsoren des Vereins bei der Suche und den Kontakten zu uns Ostspielern. Wie gesagt, er war auch direkt an meinen Wechsel beteiligt.
Im Verlaufe der Saison wurde er von Karl Trautmann ersetzt, der zuvor in der DDR-Oberliga beim FC Vorwärts Frankfurt, beim Halleschen FC und der BSG Eisenhüttenstadt gearbeitet hatte. Er gilt als Förderer des späteren Nationalspielers Dariusz Wosz.
Ehrlich gesagt hatte ich keine Vorstellung, was Karl Trautmann in der DDR alles erreicht hatte. Der DDR-Fußball war längst nicht so öffentlich wie die Bundesliga. Aber wir wussten natürlich, dass er ein erfahrener Trainer war. Und zumindest in der Saison 1991/92 haben wir unter ihm oben mitgespielt – auch wenn wir das gesteckte Ziel, den Aufstieg in die dritte Liga, nicht schafften.
1994 wechselten Sie aus Aurich zu Hansa Rostock in die zweite Liga. Ein enormer Schritt.
Ich wechselte eigentlich nicht direkt in die Bundesliga, sondern kam als Amateurspieler zu Hansa. Trainer Frank Pagelsdorf hatte mich seit der Saison 1991/92 auf dem Zettel, weil wir mit Aurich gegen die Zweite von Hannover 96 in der Verbandsliga spielten, wo er damals noch Spielertrainer war. 1993 wollte er mich dann als Chefcoach zum 1. FC Union nach Berlin holen, was ich jedoch ablehnte, weil ich meine Lehre noch zu Ende machen wollte. Ein Jahr später wiederholte er sein Angebot und ich unterschrieb zunächst in Berlin, doch Union wurde, obwohl dem Verein um den Aufstieg in die zweite Liga spielte, am Saisonende die Lizenz verweigert. Pagelsdorf wechselte daraufhin nach Rostock und ich folgte ihm dahin.
Und am ersten Spieltag erzielten Sie bei Hertha BSC prompt den Siegtreffer.
Wie gesagt, ich war eigentlich Amateurspieler, trainierte aber von Anfang an bei den Profis mit. Und wie das Leben so spielt: Kurz vor Saison verletzte sich erst unser Stürmer Olaf Bodden und kurz darauf auch Slawomir Chalaskiewicz – und plötzlich war ich zum Saisonauftakt in der Startelf. Gegen Hertha machte ich mein Tor, spielte durch – und ab da war ich drin.
Sie waren im Anschluss vierzehn Jahre Profi, spielten 225 Mal in der Bundesliga und 142 Mal in der zweiten Liga. Was für eine verrückte Wendung.
Sie haben Recht, ich wäre damals in Aurich nie auf die Idee gekommen, dass mein Leben so verlaufen könnte. Einige, die damals mit mir zu den Hansa-Amateuren kamen, haben nie den Sprung zu den Profis geschafft. Aber das es alles so kam, fußt letztlich auf der Entscheidung, 1991 aus Schwerin zur Spielvereinigung zu wechseln.
Steffen Baumgart, was haben Sie für Ihr Leben aus drei Jahren in Aurich mitgenommen?
Die Herzlichkeit der Ostfriesen. Und: Dass es im Leben immer weiter geht.
Mit rustikalem Charme und einer atemberaubenden Offensivtaktik befreit Steffen Baumgart den 1. FC Köln aus seiner ewigen Lethargie. Und auch für den Trainer endet in der Domstadt eine langjährige Durststrecke.