Wieder geht ein Fußballjahrzehnt zu Ende. Anlass genug, um auf die kleinen Dinge des Fußballs zu schauen, die immer da waren – und auf einmal weg. Nur: Warum? Heute unter anderem: Eckball-Filous und zerschnippelte Stars.
Was machen eigentlich das Chaos vorm Tor und die Ecke, die verwandelt wird?
„Doch, unter einem ›Gewühl im Fünfmeterraum‹ kann ich mir etwas vorstellen“, sagt der 24-jährige Bildredakteur Robert, der ein Foto davon suchen soll. „Da versuchen mehrere Leute an den Ball zu kommen.“ Der ältere Kollege lächelt milde, ruft YouTube auf und tippt ein: Crazy Gang Handbags at Carrow Road. „Ach, du Scheiße!“, entfährt es Robert. „Ist das Rugby oder was?“ Nein, sieht bloß so aus. Leider sind die Momente verschwunden, in denen Horden von Fußballern sich stolpernd, fallend und schubsend die Schienbeine polieren, ohne dass jemand dabei den Ball trifft. Das Magazin„FourFourTwo“ schiebt das auf Schiedsrichter, die jede Rangelei auf Verdacht abpfeifen und es einer Situation gar nicht gestatten, richtig schön zu eskalieren. Doch sie können nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass auch etwas anderes ausgestorben ist, das sich im Fünfmeterraum abspielte: direkt verwandelte Ecken.
In der Bundesliga gab es seit der Jahrtausendwende nicht mal ein halbes Dutzend, zuletzt durch Christian Clemens im Dezember 2011 für Köln gegen Freiburg. Früher hingegen war mehr Lametta. Dazu muss man gar nicht Bernd Nickel bemühen, der zwischen November 1975 und Mai 1982 den Ball von allen vier Ecken des Frankfurter Waldstadions ins Netz drehte. Allein in den Neunzigern gab es mindestens sechs direkt verwandelte Ecken, sogar zwei in einem Jahr: Im Mai 1999 traf Mario Basler auf diese Weise für die Bayern gegen Bochum, fünf Monate später brachte der Bremer Andreas Herzog sein Team in Dortmund durch solch einen Kunstschuss in Führung. Wer jetzt meint, direkt verwandelte Ecken wären ausgestorben, weil es genialische Filous wie diese beiden nicht mehr gibt, der sei daran erinnert, dass diese Form der Torerzielung auch jemandem wie Guido Hoffmann vom 1. FC Kaiserslautern gelang. Am 1. Juni 1991 trat er gegen Werder zur Ecke an und traf zum 1:1. Nur 67 Minuten später und 320 Kilometer entfernt tat es ihm ein Brasilianer gleich. In Gladbach gelang dem Karlsruher Geovani Silva das Anschlusstor ebenfalls durch einen Eckstoß. Das waren noch Zeiten.
Was macht eigentlich der Kicker-Starschnitt?
Der schöne Brauch begann 1965 mit Uwe Seeler und Peter Radenkovic. Für die folgenden 39 Jahre gehörte es vor allem für jüngere Fans zum Pflichtprogramm, jene Ausgaben des „Kicker“ zu sammeln, in denen die Blätter waren, aus denen man seinen Lieblingsstar in Lebensgröße zusammensetzen konnte. Das heißt, eigentlich waren es nur 30 Jahre, denn als der Starschnitt von Manfred Kaltz im Februar 1980 fertig war, ließ das Magazin den Gimmick zum ersten Mal einschlafen. Erst Ende 1989 führte der „Kicker“ den Starschnitt „auf vielfachen Wunsch der Leser“ wieder ein. Die Renaissance begann mit Thomas Häßler und hielt die Neunziger hindurch an – pro Jahr wurden zwei Starschnitte komplettiert, von Jürgen Klinsmann und Lothar Matthäus bis Sebastian Deisler und Giovane Elber.
Doch im neuen Jahrtausend erlahmte offenbar der Elan. In den ersten fünf Jahren gab es nur sechs Großposter im Heft. Als das Porträt von Lukas Podolski im Oktober 2004 mit Blatt 18 beendet war, schlief die Gewohnheit des Schneidens und Klebens endgültig ein. Abgesehen von einem kurzen und halbherzigen Comeback Ende 2011 (Mats Hummels und Thomas Müller konnten per Post bestellt werden) ist der Starschnitt seitdem ebenso Erinnerung wie der telefonische Ergebnisdienst des „Kicker“. Ach, halt! Den gibt es noch!