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Viele tun nicht, was sie tun müssten. Aus Angst. Ich hatte auch Angst. Aber mein Glaube an die Werte der Demo­kratie war stärker. Des­halb habe ich getan, was ich tun musste.
Wir hatten eine wun­der­bare Atmo­sphäre im Land. Es herrschte ein Geist der Freund­schaft. Liebe. Frieden. Bis zum Putsch am 11. Sep­tember 1973. Dann war alles vorbei.
Ich hörte im Radio, dass Kampf­flug­zeuge den Prä­si­den­ten­pa­last bom­bar­dierten. Wo?, dachte ich. Hier? In Sant­iago? Warum sollten sie das tun? Die Regie­rung von Sal­vador Allende war frei gewählt, er war im Volk überaus beliebt, auch das Militär war loyal. Warum also sollte es nun put­schen? Wie ist das mög­lich? Wir hatten doch alle an die Demo­kratie geglaubt! Ich war erschüt­tert, den Tränen nah.

Wenn ich heute im Natio­nal­sta­dion bin, ver­mischt sich in meinem Bewusst­sein noch immer die Zeit vor dem Putsch mit der Zeit danach. Die Erin­ne­rungen an all das Schöne, das wir vor 1973 hier erlebten – und an all das Schreck­liche, das danach kam. Es wurde zu einem Kon­zen­tra­ti­ons­lager umfunk­tio­niert! In den Kabinen wurden Oppo­si­tio­nelle gefol­tert und ermordet! Und als die Narben der Gefan­genen noch längst nicht ver­heilt waren, spielten wir wieder Fuß­ball in diesem Sta­dion.

Ein Spiel wird zur Farce

Es war eine Partie, die sich in vie­lerlei Hin­sicht in die absolut depri­mie­rende Stim­mung jener Tage fügte: das Rück­spiel der Qua­li­fi­ka­tion für die WM 1974 gegen die Sowjet­union. In Moskau hatten wir ein Unent­schieden geholt, 0:0. Doch in der Nacht vor dem Spiel, am 20. November 1973, erfuhren wir, dass die Russen nicht antreten würden. Mehr noch: Sie waren erst gar nicht nach Chile gereist, aus Pro­test gegen den Aus­tra­gungsort und die Gräuel, die dort statt­ge­funden hatten.

Ich selbst habe nie Zweifel daran gelassen, dass ich gegen jede Art der Dik­tatur war und immer noch bin, egal ob von rechts oder links. Doch ehr­lich gesagt: Zum dama­ligen Zeit­punkt hielten meine Mann­schafts­kol­legen und ich nichts von der Ver­mi­schung von Fuß­ball und Politik. Wir glaubten auch eher an eine Aus­rede der Russen und dachten, sie hätten Angst, nach unserem guten Hin­spiel­ergebnis die Teil­nahme an der WM zu ver­spielen. So war schnell klar, dass weder wir noch die FIFA ein­wil­ligen würden, den Aus­tra­gungsort zu wech­seln. Es blieb also bei der ursprüng­li­chen Anset­zung am 21. November.

Welch eine bizarre Situa­tion am nächsten Tag! Mir wurde klar, dass sich Politik und Fuß­ball doch nicht so leicht von­ein­ander trennen ließen. Das ganze Sta­dion war voll mit Sol­daten, einige von ihnen eskor­tierten uns sogar auf den Platz. Und dann standen wir auf dem Rasen: allein, ohne Gegner. Elf Chi­lenen in diesem rie­sigen Sta­dion. Wir kamen uns aber nicht nur auf dem Platz ziem­lich alleine vor, auch die Ränge waren so gut wie leer. Das Natio­nal­sta­dion fasste damals an die 100 000 Zuschauer, an diesem Tag waren es höchs­tens 15 000 – plus elf Männer auf dem Rasen.

Das war das Absur­deste, was ich je erlebt habe! Ich wäre am liebsten sofort wieder gegangen, doch der öster­rei­chi­sche Schieds­richter Erich Line­mayr wies uns darauf hin, dass die Partie ange­pfiffen werden müsste, um die Qua­li­fi­ka­tion sicher­zu­stellen. Wir gegen nie­manden! Unsere drei Stürmer schoben sich den Ball ein paar Mal hin und her, zum Schluss schoss Fran­cisco Valdés ihn zum 1:0 ein. Der Schieds­richter musste die Partie nach dem Tor direkt abpfeifen, es war ja nie­mand da, der den Wie­der­an­stoß hätte aus­führen können. Wir fuhren also zur WM. Doch nicht als freies Land, son­dern als Unrechts­staat.

Sein Gesichts­aus­druck! So dre­ckig, so mies.“

Einige Tage später wurden wir zu einem Emp­fang zitiert: Dik­tator Augusto Pino­chet wollte uns per­sön­lich gra­tu­lieren. Ich erin­nere mich genau: Ich hörte Schritte, und plötz­lich öff­neten sich die Türen und dieser Typ kam herein. Sein Gesichts­aus­druck! So dre­ckig, so mies. Er sah aus wie der Teufel. Diesem Mörder konnte ich die Hand nicht geben. Im Leben nicht. Als er mir seine schließ­lich ent­ge­gen­streckte, blickte ich ihm nur in die Augen und sagte: Sie wissen doch vom Leid der Gefan­genen!“ Und er? Er steckte sich die Finger in die Ohren und sagte: Reden Sie nicht davon! Ich will davon nichts hören!“ Es fühlte sich an, als würden tau­send Stunden ver­gehen. Wahr­schein­lich waren es nur zehn Sekunden. Dann ging er weiter.
Ich hatte diese Pflicht als Mensch. Ich spürte in meinem Rücken das ganze chi­le­ni­sche Volk, das unter Pino­chet und seinem Terror litt. Ich bin kein gewalt­tä­tiger Mensch, ich kann mich nicht auf das Niveau von Mör­dern her­ab­lassen. Aber ich musste wenigs­tens sagen, was ich denke.

Ein halbes Jahr später, ich spielte mitt­ler­weile in Spa­nien und wollte meine freien Tage daheim ver­bringen, holte meine Familie mich vom Flug­hafen ab. Doch es war anders als sonst. Ist etwas pas­siert?“, fragte ich. Da begann meine Schwester zu schluchzen. Und mein Vater, der liebste Mensch der Welt, machte ein trau­riges Gesicht. Wir erzählen es dir zu Hause, Car­lito, nicht hier“, sagte er. Es fällt mir schwer, dar­über zu spre­chen, was ich dann erfahren musste, noch immer. Ich wurde fest­ge­nommen“, sagte meine Mutter in ihrem Zimmer zu mir. Fest­ge­nommen und gefol­tert.“ – Mama, hör auf!“, sagte ich. Mit so etwas scherzt man nicht!“ Dann drehte sie sich zum Licht und zeigte mir die Brand­wunden an ihrer Brust. Sie nahm mich in ihre Arme, und ich weinte wie ein Kind.

Sie wollten mich bestrafen. Und sie trafen mich am Schlimmsten, indem sie meiner Mutter Schmerzen zufügten. Weil ich Pino­chet den Hand­schlag ver­wei­gert hatte. Weil ich Nein zur Dik­tatur gesagt hatte. Aber sie bra­chen mich nicht. Denn ich hatte getan, was ich tun musste.