Sportausrüster „Adidas“ veranstaltet Straßenfußballturniere im ganzen Land, der DFB fordert mehr „Bolzplatzmentalität“ im deutschen Fußball und das beliebte Videospiel „FIFA“ hat wieder einen Street-Modus. Welche Bedeutung hat der Straßenfußball hierzulande? Ein Besuch bei den Typen von der Straße.
Während Tolga hinter einem Tor die Rapsongs mitsingt, die ununterbrochen aus den Boxen dröhnen, macht einer der Jungs auf dem Platz auf sich aufmerksam. Ein hart gespielter Ball fliegt über den Kunstrasen, halbhoch und über Bande, normalerweise ein undankbares Zuspiel für jeden Mitspieler. Nicht für den schmächtigen Linksfuß, der locker den Spann hinhält und den Ball jetzt unbewegt vor sich liegen hat. Im nächsten Moment zieht er explosiv das Tempo an, vorbei am ersten Gegenspieler, am zweiten, der dritte ist hartnäckiger, der wendige Dribbler probiert es mit Körpertäuschungen, den Ball dicht am Fuß. Es folgen Richtungswechsel innerhalb weniger Sekunden. „Der ist ja ultraquirlig“, sagt einer im Publikum. Plötzlich hat der Spieler nur noch den Torhüter vor sich. An dem er scheitert.
Dennoch: Serhat fällt auf. Der 18-Jährige ist in der Türkei geboren und im Wedding aufgewachsen, der Heimat der Boatengs und vieler anderer „hochbegabter Straßenzocker“, wie er selbst weiß. Schon nach der Grundschule schmiss Serhat seinen Ranzen eben in sein Zimmer, um dann den Rest des Tages mit seinen Freunden auf einem Steinplatz zu verbringen, bis seine Mutter ihn irgendwann zum Essen holte. Ein Teamplayer sei er nicht immer gewesen, erklärt er, erst im Verein geworden. Zurzeit spielt er in der U19-Regionalliga für Tennis Borussia Berlin – und hat ein klares Ziel: „Ich möchte auf jeden Fall noch Profi werden. Ich habe das immer noch im Kopf.“
Im Verein ist kein Platz für Einzeltraining
Helfen soll ihm dabei die Tango Squad. Im Frühjahr diesen Jahres wurde Serhat aufgenommen, zweimal pro Woche trainiert er in der „Base“ – wohlgemerkt zusätzlich zu viermal wöchentlich Fußball im Verein. Meist bekommt er Athletiktraining, körperlich fällt es dem leichtfüßigen Techniker hin und wieder schwer, mitzuhalten. Auch er sieht großes Potenzial im Straßenfußball: „Ich finde, Fußball ist ein Taktiksport geworden. Keiner ist mehr kreativ, keiner macht mehr das, was er eigentlich will, sondern das, was der Trainer ihm sagt. Das ist ja auch irgendwo richtig. Aber man braucht schon ein bisschen seine Freiheit auf dem Spielfeld. Wie auf der Straße“, sagt Serhat. In der „Tango Squad“ bekomme er das, wofür es im Verein keinen Platz gebe. „Im Verein trainieren wir alle zusammen, nicht individuell. Aber nur im Einzeltraining sieht man seine Defizite und kann richtig an ihnen arbeiten.“
So sieht es auch Aaron Müller, Serhats Trainer bei Tennis Borussia. Manche Dinge könne das Mannschaftstraining einfach nicht leisten, gerade in einem Verein wie TeBe, der kein Nachwuchsleistungszentrum hat. Für Serhat sei insbesondere individuelles Athletiktraining zusätzlich sicherlich sinnvoll, bereits jetzt bereite er dem Verein aber viel Freude: „Fußballerisch gesehen ist er der absolute Straßenkicker, technisch versiert und handlungsschnell auf engen Räumen. Aber charakterlich wirkt er auf mich gar nicht so. Er ist ein sehr demütiger und wissbegieriger Spieler, gibt sich nicht mit seinem Talent zufrieden, sondern arbeitet in jedem Training sehr fleißig an sich. Das macht oft den Unterschied aus. Ich traue Serhat viel zu.“
Kein Rezept fürs Profiwerden
Müller betont aber auch, wie wichtig es sei, dass die Jungs sich neben dem Fußball ein zweites Standbein aufbauen. „Niemand kann dir versprechen, dass du Profi wirst.“
Das sei auch nicht der Sinn der „Tango Squad“, erklärt Tolga. Man begleite die Jungs, fußballerisch wie menschlich: „Sie entscheiden, was sie wollen, sie setzen sich selbst ihre Ziele.“ Serhat arbeitet zurzeit im Restaurant seines Vaters, hat sein Fachabitur abgebrochen: „Ich suche mir jetzt eine Ausbildung, die zu meinen Trainingszeiten passt. Ich kann mein Abi ja immer noch nachholen. Ich wollte erst mal ein bisschen in die Arbeitswelt eintauchen“, sagt er.