In Deutschland hat Almuth Schult alles gewonnen. Jetzt zieht sie aus dem Wendland nach Los Angeles, wo der Angel City FC das beste Sport-Franchise der Welt werden will.
Dieser Text erschien zuerst im September 2022 in 11FREUNDE #251. Die Ausgabe ist bei uns im Shop erhältlich.
Ganz in Rosa betritt Almuth Schult an einem Sonntag im August zum ersten Mal kalifornischen Rasen. Rosa wie der Abendhimmel über den Tribünen des Stadions, den Highways und turmhohen Palmen dahinter, rosa wie die Sonnenbrillen der Frauen, die auf den Capo-Podesten den Fans des Angel City FC einheizen. Und rosa wie der Nebel, in dem die singende Masse vor dem Anpfiff verschwindet, Volemos!, brüllen sie, lasst uns fliegen! Almuth Schult mag kein Rosa, überhaupt nicht eigentlich, aber sie hat das alles genau so gewollt. Von der Ersatzbank aus beobachtet sie das Spektakel, 17 000 Menschen sind im Banc of California Stadium. Nach sieben Tagen Jetlag und Umzugschaos ist Schult zwar im Kader für das Spiel gegen die Chicago Red Stars, das ihr Team 1:0 gewinnen wird, aber erst mal nur in einer Nebenrolle. Immerhin, da hat sie sich schon erkundigt, soll es auch ein goldgelbes und ein graues Torwarttrikot geben.
Es ist Almuth Schults erste Woche in den USA. Nach dem verlorenen EM-Finale in Wembley war sie fünf Tage zu Hause im Wendland, wo sie aufgewachsen ist und seit ein paar Jahren wieder lebt, dann packte sie zwei Koffer und flog über den Atlantik, dem wahrscheinlich größten Abenteuer ihrer Karriere entgegen. Magdeburger FFC, SC 07 Bad Neuenahr, VfL Wolfsburg. Angel City FC, Los Angeles.
Trudelt da eine phantastische Karriere aus, an Pazifikstränden und in schattigen Cafés über dem Sunset Boulevard? Almuth Schult, 31, Champions-League- und Olympiasiegerin, Welttorhüterin, TV-Expertin, könnte sich das leisten. Doch ihr Wechsel nach L.A. ist kein Schweinsteiger-Move: Sie wechselt für anderthalb Jahre ins Land der Weltmeisterinnen, in dem Angel City nicht nur der rosafarbenste, sondern auch der spektakulärste Klub ist. Der Verein, vor zwei Jahren von Frauen für Frauen gegründet, hatte schon vor seinem ersten Ligaspiel im April 16 000 Dauerkarten verkauft, sechs Fanklubs, eine Million Dollar Umsatz mit Merch und ein paar Dutzend berühmte Besitzerinnen wie Natalie Portman, Serena Williams oder Christina Aguilera. Williams’ Mann Alexis Ohanian, Reddit-Gründer und Leadinvestor bei Angel City, verkündete: „Wir wollen nicht der beste Frauenfußballklub werden oder der beste Fußballklub. Wir wollen das beste Sport-Franchise der Welt werden.“
Wo ist Almuth Schult, eine doch ziemlich norddeutsche Norddeutsche, da gelandet? Ein schattiges Café über dem Sunset Boulevard, am Tag nach dem Chicago-Spiel. Das erste Mal East Hollywood, sie hat in ihrer ersten Woche noch nicht viel mehr gesehen als den Trainingsplatz, das Stadion und ihren Grocery Store in Woodland Hills. Dort, in den Suburbs, bewohnt sie ein karges Apartment, bis im September ihre Familie nachkommt. Schult ist ein paar Minuten zu spät, weil sie mit dem Mietwagen dreimal um den Block gegurkt ist und dann etwas unsicher vor einem Supermarkt geparkt hat. „Wir Deutschen wollen ja nichts falsch machen.“
Schult, Flip-Flops, kurze Jeans, bestellt einen Hojicha Latte und einen Cookie in CD-Größe. „Die ersten Tage waren turbulent“, sagt sie, „aber so gehört sich das ja auch.“ Turbulent heißt: warten auf die Social Security Number, überall neue Gesichter, Erschütterung über die Preise für gesunde Lebensmittel und die gesperrte Kreditkarte beim ersten Einkauf. Ihre Nachbarin, die Innenverteidigerin Megan Reid, kaufte sie an der Kasse frei.
Die US-Liga habe sie schon seit Jahren von Wolfsburg aus verfolgt, sagt Schult. Ihre alte DFB-Freundin Nadine Angerer spielte in Portland und ist dort heute Torwarttrainerin. „Ich fand cool, wie viel Natze und die anderen Torhüterinnen hier zu tun haben. Es wird wirklich aus allen Lagen geflankt und geschossen.“ Die National Women’s Soccer League hält sie für eine der spannendsten Profiligen überhaupt. In den letzten acht Saisons gab es in der NWSL fünf verschiedene Meister. Kaum ein Spiel geht mit mehr als einem Tor Differenz aus, Schults finale drei Spiele in Wolfsburg endeten 5:1, 10:1 und 7:1. „Als ich vor zwei Jahren mitbekommen habe, was hier in L.A. entsteht, und mit welchem Hintergrund, hat mich das fasziniert.“
Wer heute ein erfolgreiches Unternehmen gründen will, braucht eine Geschichte. Und die des Angel City FC klingt so malerisch, dass es ein Wunder wäre, wenn die Serie zum Klub nicht längst beauftragt ist. Sie geht so: Vor der Pandemie gab es immer mehr Frauen, die nicht mehr hinnehmen wollten, in der zweitgrößten Stadt im Land keinen professionellen Frauenfußball sehen zu können. In einer sportfanatischen Weltstadt mit zwei Männer-Fußballklubs, Galaxy und LAFC, mit den Lakers, den Dodgers, den Rams.
Im Juni 2019 stand eine Frau mit einem Banner im Fanblock des LAFC, „NWSL to L.A.“. Ähnliche Plakate tauchten den Sommer über in immer mehr Stadien und Insta-Storys auf. Zur gleichen Zeit plante die Oscar-Preisträgerin Natalie Portman mit zwei Unternehmerinnen aus der Finanz- und Unterhaltungsindustrie schon die Gründung des Klubs. Sie waren sich einig: Es sollte ein Klub von Frauen für Frauen werden, eine Inspiration für Millionen Mädchen, der die Stadt wirklich repräsentiert, die Latinos, die Queerness, das Showgeschäft. Eine gute Sache also, und ein gut vermarktbares Multi Billion Dollar Business. Aus all den Leuten, die im Klub irgendwas mit Content oder Marketing machen, könnte man noch ein zweites und drittes Team rekrutieren. „Wir wollen unterhalten. Wir sind in L.A. zu Hause, wir sind Geschichtenerzählerinnen“, sagte die Präsidentin Julie Uhrman.
Miranda Zorrilla ist eine von denen, die dafür sorgen, dass der Klub nicht nur perfekte Insta-Storys im Gegenlicht produziert, sondern lebt. Sie ist 21, hat gerade ihr Literaturstudium abgeschlossen und sucht einen Job. „Hat keine Eile“, sagt sie, „die Saison läuft ja noch“. Sie ist Capo und Mitglied im Angel-City-Fanklub Pandemonium. „Ich hab mich bei der WM 2019 in Fußball verliebt, und als ich hörte, dass in meiner Stadt ein Verein gegründet wird, wollte ich dabei sein.“ Die Anfänge waren schwierig: Lockdown, Treffen nur in Discord-Channels, aber Euphorie bei allen. In ihrem Fanklub sind etwa 250 Menschen, darunter viele Latinas und Asian Americans. Irgendwann konnten sie sich in Parks treffen, jeden Samstag, um Fangesänge zu entwickeln, zu üben und Banner zu basteln. Zu den schönsten Gesängen gehören der für eine Flügelspielerin, Gimme Gimme Gimme Jun Endo from Japan, oder der Chant Campeón. Den hat Arturo Jr. komponiert, ein Grundschüler, der jedes Spiel mit seinem Vater trommelnd im Fanblock steht. Aus diesem Geist ist eine politische und laute Fankultur gewachsen. Es gibt aufwendige Choreografien, antirassistische Buchklubs und Aufräumaktionen am Stadtstrand, man berauscht sich im Stadion eher mit Pepsi, Zuckerwatte und Tacos als mit Bier. „Wir müssen nichts kaputthauen, wenn wir ein Spiel verlieren. Hauptsache, wir hatten eine gute Zeit“, sagt Zorrilla.