Ende des Jahres kam es erneut zu schweren rassistischen Ausfällen in italienischen Stadien. Die Gegenmaßnahmen bestehen nur auf dem Papier. Weshalb Neapels Trainer Carlo Ancelotti jetzt zu drastischeren Mitteln greifen möchte.
Um das Problem des Rassismus im italienischen Fußball zu verstehen, reicht eigentlich schon der Blick auf ein Gerichtsurteil aus dem Mai 2015. Zwei Jahre nach den rassistischen Beleidigungen gegen Kevin-Prince Boateng bei einem Freundschaftsspiel des AC Mailand gegen Pro Patria wurden die sechs in erster Instanz verurteilten Anhänger freigesprochen. In der Begründung hieß es, die Rufe seien nur vereinzelt aufgetreten und, hier wird es zynisch: „Es gab keine Äußerungen gegen den Spieler Emanuelson.“
Der Niederländer Urby Emanuelson, damals auch in Diensten der Mailänder, ist ebenfalls dunkelhäutig. Das Gericht sprach die Angeklagten, die Boateng solange mit Buh-Rufen, Pfiffen und Affenlauten provozierten, bis dieser den Ball auf die Tribüne schoss und das Feld zusammen mit seinen Mitspielern verließ, also frei, weil sie nur einen dunkelhäutigen Spieler beleidigt hatten und nicht alle.
So schlimm war es noch nie
Seitdem sind mehr als drei Jahre vergangen, Verbessert hat sich in Italien und seiner Fußballkultur aber nichts. Es ist eher schlimmer geworden. Mit der Lega ist eine rechtsgerichtete Partei an der Regierung und die Flüchtlingsdebatte ist auch in Italien eines der größten Themen. Innenminister Matteo Salvini führt die Spaltung der Gesellschaft mit seinen populistischen und teils rassistischen Äußerungen fort und befeuert damit das ohnehin schon aufgeladene Klima. Im Februar erschoss ein Neofaschist in der Kleinstadt Macerata sechs afrikanische Migranten auf offener Straße und das ist nur der schlimmste der rassistischen Vorfälle der jüngeren Vergangenheit.
Diese gefährlichen Tendenzen drücken sich auch im Fußball aus, der wie überall ein Spiegel der Gesellschaft ist. Letztes Opfer ist Kalidou Koulibaly. Der überragende Innenverteidiger des SSC Neapel wird aufgrund seiner Hautfarbe in den Stadien immer wieder beleidigt, so schlimm wie am Zweiten Weihnachtsfeiertag war es aber noch nie. Beim Auswärtsspiel gegen Inter Mailand war es immer wieder deutlich zu hören. Sobald Koulibaly den Ball berührte, schallten Pfiffe und „Uh-uh-uh“-Rufe durch das Giuseppe-Meazza-Stadion.
Kein Abbruch wegen Sicherheitsbedenken?
Dass Inter ebenfalls einige dunkelhäutige Spieler in seinen Reihen hat und schon durch den Vereinsnamen eigentlich auf Vielfalt ausgerichtet ist, war den Idioten auf den Tribünen egal. Es waren auch nicht nur ein paar vereinzelte Zuschauer, die ihren Rassismus auslebten. „Die Wahrheit ist, dass sich nichts verändert hat“, sagte Boateng, der seit dem Sommer zurück in Italien ist und für Sassuolo Calcio spielt, der „Gazzetta dello Sport“ in einem Interview. „Ganz im Gegenteil: Bei mir waren es 50 Leute, die rassistische Buh-Rufe machten, in San Siro vor ein paar Tagen waren es 5000, vielleicht sogar 10000.“
Die Spieler von Neapel und Trainer Carlo Ancelotti wiesen Schiedsrichter Paolo Mazzoleni mehrfach auf die Beleidigungen hin und forderten eine Spielunterbrechung. Doch es gab lediglich Durchsagen des Stadionsprechers, die von vielen Inter-Fans umgehend niedergepfiffen wurden. Laut Reglement hätte das Spiel abgebrochen werden können, wenn nicht müssen. Offenbar hatten die Zuständigen wegen der Krawallen außerhalb des Stadions, bei denen später ein rechtsextremer Ultra aus Varese getötet wurde, aber Sicherheitsbedenken.
Stattdessen flog Koulibaly in der Schlussphase vom Platz, weil er dem Schiedsrichter nach einer Gelben Karte applaudierte. „Es tut mir leid für die Niederlage und vor allem dafür, dass ich meine Brüder im Stich gelassen habe“, schrieb Koulibaly später bei Twitter. „Aber ich bin stolz auf meine Hautfarbe, darauf, dass ich Senegalese bin, Franzose, Neapolitaner: Mensch“. Ancelotti beschwerte sich über die ausgebliebene Unterbrechung und kündigte für das nächste Mal drastische Maßnahmen an. „Dann hören wir auf zu spielen, auch wenn wir dadurch verlieren“, sagte der ehemalige Bayern-Trainer.
Vielleicht ist dies die einzige Möglichkeit, wie die Verantwortlichen im italienischen Fußballverband und der Sportpolitik den Ernst der Lage verstehen. Denn Spielunterbrechungen sind die große Ausnahme, Abbrüche aufgrund rassistischer Beleidigungen gibt es praktisch nicht. Mal sprechen Sicherheitsbedenken dagegen wie in Mailand, mal sollen es nur vereinzelte Rufe sein, manch einer argumentiert, man könne nicht Tausende friedliche Fans für ein paar Idioten bestrafen.
Alles ohne ernsthafte Konsequenzen
Und wenn ein Schiedsrichter doch durchgreift wie Claudio Gavilucci, verschwindet er kurz darauf von der Bildfläche. Im Mai unterbrach er das Spiel Sampdoria Genau gegen Neapel für drei Minuten, nachdem einige Heimfans erst Koulibaly beleidigt und dann allen Neapolitanern mit dem vor allem in Norditalien verbreiteten Spruch „Vesuv, wasch sie mit deinem Feuer“ den Tod gewünscht hatten. Es war Gaviluccis letztes Spiels in der Serie A, offiziell weil er Letzter im Leistungsranking der Schiedsrichter war, viele Experten sehen aber einen Zusammenhang zum Spiel in Genua.
Nach dem erneuten Vorfall um Koulibaly wird in Italien wieder viel diskutiert – in einem Land, in dem die erste Abgeordnete mit afrikanischen Wurzeln 2013 vom Vizepräsidenten des Senats mit einem Orang-Utan verglichen wurde und Paolo Berlusconi, Bruder von Silvio und damals Vizepräsident des AC Mailand, Mario Balotelli als „kleinen Neger der Familie“ bezeichnete. Natürlich alles ohne ersthafte Konsequenzen.
Die gibt es nun zumindest für Inter. Die Mailänder müssen die nächsten zwei Heimspiele vor leeren Rängen austragen, bei einem dritten Spiel bleiben einige Blöcke des Stadions gesperrt. Es ist zumindest ein Anfang. Oder in den Worten von Kevin-Prince Boateng: „Wir brauchen Taten, keine Worte. Es reicht nicht, ‚No to Racism‘-Plakate aufzuhängen und einen Werbespot vor den Champions-League-Spielen zu zeigen. Wir müssen sofort etwas unternehmen. Heute, oder besser noch: gestern.“