Wenn die deutsche Elf heute im Achtelfinale gegen Schweden verliert, ist nicht nur der WM-Titel futsch, sondern auch die Olympiateilnahme.
Es gibt diesen blöden Spruch im Fußball: Am Ende einer Saison (oder eines Turniers) gleicht sich alles aus. Vor allem Glück und Pech, diese beiden Hallodris unter den Schicksalsboten. Natürlich ist das oft quatsch, denn wenn es immer so wäre, dann müsste der HSV schon längst… Aber lassen wir das.
Willkommen im wirklichen Leben
Auf die deutsche Frauen-Nationalelf und die Weltmeisterschaft in Kanada trifft das Diktum nämlich tatsächlich zu. Nach einer geradezu absurd leichten Vorrundengruppe mit Spielen gegen die WM-Lehrlinge Elfenbeinküste und Thailand kommt es ab sofort knüppeldick. Sollte die Mannschaft ihr Achtelfinale gegen Schweden gewinnen, träfe sie im Viertelfinale vermutlich auf die starken Französinnen und im Halbfinale mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die USA. Willkommen im wirklichen Leben.
Dabei ist es nicht ratsam, zu weit in die Zukunft zu blicken, denn schon das Match gegen Schweden hat das Kaliber, die WM-Hoffnungen des deutschen Teams zu zerstören. Niemand sollte sich davon blenden lassen, dass die Schwedinnen lediglich als einer der besten Gruppendritten in die K.O.-Phase eingezogen sind, denn sie kommen aus der sogenannten Todesgruppe D. Todesgruppen gibt es inzwischen auch im Frauenfußball, der umstrittenen Aufblähung der Teilnehmerfelds auf 24 Mannschaften zum Trotz.
Die starken Schweden
In der Gruppe D traf Schweden auf die USA, einen der Topfavoriten des Turniers. Die robusten, schwer zu schlagenden Australierinnen. Und Nigeria, traditionell das stärkste afrikanische Team. Von ihren drei Spielen haben die Schwedinnen keines gewonnen, aber auch keines verloren. Sie waren Dritte bei der letzten Weltmeisterschaft und haben der deutschen Elf erst beim Algarve-Cup im Frühjahr eine empfindliche 4:2‑Niederlage zugefügt (um später im Spiel um Platz 3 gegen denselben Gegner mit 1:2 zu verlieren).
Kurz: Schweden ist eine Mannschaft „auf Augenhöhe“, um diesen abgenudelten Begriff aus der Mottenkiste zu holen. Ein „50:50-Spiel“ erwartet auch Team-Veteranin Saskia Bartusiak – mit dem kleinen Vorteil für die Deutschen, dass sie als ausgewiesener Angstgegner der Schwedinnen bei großen Turnieren gelten. Egal, ob WM, EM oder Olympische Spiele: Bisher zogen die Skandinavierinnen in den direkten Duellen noch immer den Kürzeren.
4:0 gegen Thailand gewonnen. Durch vier Kopfbälle
Gleichwohl ist Schweden der mit Abstand schwerste der möglichen Achtelfinalgegner, zumal die deutsche Mannschaft bisher auch keine Bäume ausgerissen hat. Insbesondere das letzte Gruppenspiel gegen Thailand war eine ziemlich maue Veranstaltung, bei der die deutschen Spielerinnen, als sie dem eigentlich hoffnungslos unterlegenen Gegner mit Kombinationsspiel nicht beikamen, schamlos ihre überlegene Körpergröße ausnutzten. Fortan wurde vor allem hoch und weit gespielt, drei der vier Tore beim 4:0 fielen durch Kopfbälle. Das hatte etwas von Eltern, die Süßigkeiten auf dem Schrank verstecken, damit die Kinder nicht drankommen.
Über den Gruppensieg konnte sich danach im deutschen Tross erst mal niemand freuen, die Stimmung changierte zwischen gedämpft und ranzig. Torfrau Nadine Angerer, für ihre freie Rede bekannt, wollte das Spiel gar „in die Tonne kloppen“. Anschließend trafen sich die Spielerinnen (ohne Bundestrainerin Silvia Neid) in einem Restaurant in Ottawa zum Krisengespräch.
Eine Ära könnte enden
Die Nervosität ist verständlich, denn das Spiel gegen Schweden hat Bedeutung über das Turnier hinaus. Gerade mal drei europäische Teams qualifizieren sich bei der WM für die Olympischen Spiele im nächsten Sommer, gleich deren sieben stehen im Achtelfinale. Sollten die Deutschen jetzt ausscheiden, hätte sich das Thema so gut wie erledigt. Dabei soll Rio de Janeiro doch Höhepunkt und Abschluss der Nationalmannschaftskarrieren von Trainerin Neid und der von ihr protegierten Spielerinnengeneration um Annike Krahn, Simone Laudehr und Anja Mittag werden. Sollte das heute in die Hose gehen, könnte also ganz plötzlich eine Ära zu Ende gehen.