Erst gewann Nordmazedonien gegen Deutschland, dann nahm das Land an der EM teil. Doch seitdem ist vieles anders: Goran Pandev ist weg und ein neuer Trainer im Amt. Und jetzt?
Eljif Elmas streckte die Zunge raus und rannte Richtung Eckfahne im Duisburger Wedaustadion. Vor wenigen Sekunden hatte er ungedeckt im Fünfmeterraum gestanden und sich eine Ecke aussuchen dürfen. Er wählte die rechte und traf in der 85. Minute zum verdienten 2:1 im WM-Qualifikationsspiel gegen die deutsche Nationalmannschaft. Wenige Sekunden später begruben ihn die Kollegen an der Eckfahne unter sich. Und als Schiedsrichter Sergei Karasev kurz darauf das Spiel abpfiff, hätten die Stimmungslagen an diesem 31. März bei den beiden Mannschaften nicht unterschiedlicher sein können.
Auf der einen Seite die Nordmazedonier, die gerade den vermutlich größten Erfolg ihrer Länderspielhistorie eingefahren hatten. Auf der anderen Seite die deutsche Nationalmannschaft und Joachim Löw, der zu Beginn des Monats bekannt gegeben hatte, nach der Europameisterschaft nicht mehr weiter als Bundestrainer arbeiten zu wollen. Eine Entscheidung, in der der krachende Misserfolg bei der WM 2018 in Russland und der ideenlose Fußball in der Zeit danach mündeten. Und als hätte es noch mehr Argumente für diesen Schritt gebraucht, verlor Löw gegen Nordmazedonien in seinem allerletzten WM-Qualifikationsspiel erstmals ein ebensolches.
Vieles hat sich verändert seit diesem Mittwochabend im März. Nach der enttäuschenden EM reisen die Deutschen mit einer wiedergefunden Spielfreude nach Skopje. Die ersten vier Spiele unter dem neuen Bundestrainer Hansi Flick wurden allesamt gewonnen. Aber auch bei den Nordmazedoniern ist vieles anders. Goran Pandev, Nationalheld und der beste Fußballer seines Landes, spielt seit dem Ausscheiden in der Gruppenphase bei der Europameisterschaft nicht mehr für die Nationalmannschaft. Und mit Blagoja Milevski ist auch hier ein neuer Trainer am Werk. Auf was für eine Mannschaft treffen die Deutschen heute Abend? Und was macht sie anders als im März?
Das Team ist vor allem: jünger. Sechs ehemalige U21-Nationalspieler beförderte Milevski in das A‑Team. Ohne den ewigen Pandev als Mittelpunkt befindet sich die Mannschaft in einem Umbruch, sowohl was die Hierarchie innerhalb der Mannschaft als auch die Spielanlage angeht. Während Vorgänger Igor Angelovski Nordmazedonien noch mit einem von Kampf und geschlossener Abwehrarbeit geprägten Fußball zur Europameisterschaft coachte, setzt Milevski auf Ballbesitz und einen selbstbewussten Fußball. Milevski möchte, dass sein das Spiel selbst gestaltet. In den ersten vier Spielen unter seiner Amtszeit kam die Mannschaft auf durchschnittlich 63 Prozent Ballbesitz. Ein fundamentaler Kulturwandel im nordmazedonischen Fußball. „Wir wollen eine Mannschaft formen, die sich auf Teamplay stützt, auf menschliche und fußballerische Werte“, sagt Milevski im Interview bei „Deutsche Welle“.
Der Erfolg ist überschaubar. Von den ersten vier Spielen gewannen die Nordmazedonier nur das letzte gegen Liechtenstein (4:0), zuvor spielten sie drei Mal Remis gegen Rumänien (0:0), Island (2:2) und Armenien (0:0). Und obwohl Nordmazedonien mit insgesamt 12 Punkten aktuell noch auf dem zweiten Rang der Gruppe J steht und sich damit für die Playoffs der WM-Qualifikation qualifizieren würde, sieht Milevski die derzeitigen Spiele eher als Testlauf. Ihm geht es um die Nachaltigkeit seiner Arbeit, er möchte die Nationalmannschaft konsequent verjüngen und modernisieren. Um Säulen wie Eljif Elmas vom SSC Neapel oder Stefan Ristovski und Arijan Ademi von Champions-League-Teilnehmer Dinamo Zagreb soll die neue Mannschaft aufgebaut werden.
Auch an Pandevs Fehlen müssten er und das gesamte Land sich erst noch gewöhnen, so wichtig sei er gewesen, sagt Milevski. Lange war er alleinverantwortlich für die spielerischen Elemente, als er gegen Österreich zum zwischenzeitlichen 1:1 traf, erzielte er damit das erste Nordmazedonische Tor bei einer EM. Einen potentiellen Nachfolger hat Milevski aber schon parat. Milan Ristovski (Spartak Trnava) und Bojan Miovski (MTK Budapest) sollen Pandevs Position in Zukunft ausfüllen, sagt Milevski. In seinen Worten schwingt Hoffnung mit. Denn von der Qualität, die Pandevs Spiel so unberechenbar und effektiv machte, sind beide noch weit entfernt.