Wolfgang Großmann war in der DDR eingesperrt und wurde auch wegen Borussia Mönchengladbach zum Rebell. Zum Tag der deutschen Einheit: Eine Geschichte über Liebe, Treue und Grenzerfahrungen.
Spätestens im Teenageralter wird Wolfgang Großmann zu einem Rebellen, wie ihn sich die DDR-Behörden nicht schlimmer hätten ausmalen können. Wolle trägt die Haare lang, dazu zerschlissene Jeans und Jesuslatschen. Hemden werden provokativ mit einer USA-Flagge verziert, um den Hals baumelt Schmuck aus dem Westen. In der Westentasche steckt stets eine Packung „Karo“-Zigaretten, Mitte der Siebziger eine Art Erkennungssymbol unter den nicht wirklich linientreuen Jugendlichen.
1974 geht er das erste Mal zu einem Heimspiel von Dynamo Dresden. Hier trifft er auf einen wilden Haufen, in dem der junge Wolfgang seine Rebellion gegen den Staat und das Leben im eingesperrten Land noch intensiver ausleben kann. Der Teenager gehört bald zur gewaltbereiten Szene der Dynamos, in den folgenden Jahren liefert er sich wüste Schlachten an Bahnhöfen und Stadien mit Magdeburgern, Leipzigern oder Berliner.
Rebell im Gladbach-Trikot
Mit seinem Land steht er auf Kriegsfuß. Regelmäßig steht die Polizei vor der Tür, Wolle wird so häufig von der Stasi verhört, dass er heute gar nicht mehr weiß, wie oft das stattfand. Er liefert den Behörden gute Gründe, ihn im Auge zu behalten. Nachts klaut er mit Freunden DDR-Fahnen von den Masten und trennt Hammer, Meißel und Sichel mit einer Rasierklinge so geschickt vom Stoff, dass beim nächsten Dynamo-Spiel eine Fahne der BRD im Stadion zu sehen ist.
Zu den Partien taucht er meistens im Gladbachtrikot und mit Schal auf, selbst seine Besuche in der Disko werden zur Inszenierung seiner Borussia-Liebe und der ständigen Konfrontation mit der Obrigkeit: sein schickes weißes Ausgehhemd hat Wolle mit dem Wappen der Gladbacher verschönert.
Faszination Bundesliga
Mit seiner Leidenschaft für den Fußball aus dem Land des Klassenfeindes ist Wolfgang Großmann in der DDR nicht alleine. Die Bundesliga und die BRD-Nationalmannschaft üben auf das eingesperrte Volk einen besonderen Reiz aus. Doch wer diese Leidenschaft auslebt, muss mit schweren Konsequenzen rechnen.
Für die DDR-Diktatur ist jede Faszination für ein Produkt des Klassenfeindes „eine Verletzung des proletarischen Internationalismus“. So stand es in einem Schreiben der Humboldt-Universität an den Ostberliner Studenten Hans-Christian Maaß im Frühjahr 1972. Maaß war am 10. Oktober 1971 zum Spiel der BRD-Auswahl gegen Polen nach Warschau gereist. Gemeinsam mit etwa 6000 Fußballfans aus der DDR wollte er die Superstars um Franz Beckenbauer bewundern.