Am 9. Oktober 2019 tötete ein rechtsextremer Attentäter zwei Menschen in Halle. Einer von ihnen war Fan des Halleschen FC. Wie hat sich der Verein seit dem Anschlag verändert?
„Der Hallesche FC“, sagt Oganan, „ist gerade das, wohin die Menschen noch gehen können.“ Tatsächlich wird der Lieblingsverein von Kevin S. zu einem Rettungsring für viele Trauernde. Kevin und sein Vater waren innerhalb der Szene bekannt, fuhren oft gemeinsam zu Auswärtsspielen. Viele Fans haben sich geärgert, dass die Trauerfeier um Kevin von Politikern „genutzt wurde“, wie sie sagen, um Wahlkampf zu machen. „Was hat Politik bei einer Trauerfeier zu suchen? Das hat für mich da nicht hingehört“, sagt ein Fan aus der Szene. Es ist auffällig, dass in öffentlichen Bekanntmachungen wie bei der „Libertà Crew Chemie Halle“ Begriffe wie „Antisemitismus“ oder „Rassismus“ fehlen. Es wird von einem „feigen Mord“ geschrieben und darauf hingewiesen, dass es am Tag der Trauerfeier „nur um Kevin geht, politische Diskussionen können gern später und an anderen Orten geführt werden!“ Nach der Andacht fährt der Leichenwagen vor das Marathontor des Stadions, die Blumenkränze sind in Rot und Weiß gehalten. Die Fans zünden bengalische Feuer.
Als der Hallesche FC beim ersten Heimspiel nach dem Anschlag in schwarzen Sondertrikots mit der Aufschrift „Zusammen gegen Gewalt, Rassismus und Antisemitismus“ aufläuft, stehen Mary Scholz und Natascha Bosch auf dem Platz und bringen mit vielen anderen ein Plakat mit derselben Aufschrift zum Mittelkreis. Die Fans in der Kurve halten schwarze Zettel hoch, eine einsame Pyrofackel brennt. Der Umgang mit dem Geschehenen wirkt vorbildlich. Aber es ist auch eine Spaltung spürbar. Auf der einen Seite der Verein, der zusammen mit anderen Sportvereinen der Stadt offensiv mit dem Thema umgeht. Rassismus und Antisemitismus benennt. Und dann sind da die Fans. Auch sie zeigen große Anteilnahme, aber im Fokus steht hier der Kummer. Aber ist das falsch?
„Wer glaubt, dass der Grund für das eigene Versagen die Ausländer sind, ist für mich ein Verlierer“
Terrence Boyd sitzt im Café „The Shabby“, so wie vor drei Monaten, und überlegt. Eigentlich sollte er gar nicht hier sein, das Interview sollte in einem anderen Restaurant stattfinden, aber Boyd schlug das Café vor. Er ist im New Yorker Stadtteil Queens und in Bremen aufgewachsen. Er hat in Deutschland, Kanada und den USA Fußball gespielt, ist Kosmopolit. Im Sommer wechselte er zum Halleschen FC und sagt: „Wenn ich früher an den Osten gedacht habe, dann immer: ‚Fuck, nur Nazis‘. Aber das stimmt nicht. Halle ist eine offene Stadt.“ Dass das nach innen und außen dringt, dafür haben er und der Hallesche FC gesorgt. In einer Stresssituation haben sie vieles richtig gemacht. Sie waren da. Sie haben die Zeichen gesetzt, nach denen viele Außenstehende verlangt haben. Boyd sagt: „Ich engagiere mich nicht politisch. Aber wer glaubt, dass der Grund für das eigene Versagen die Ausländer sind, ist für mich ein Verlierer.“
Auch die Gemeinschaft in Halle hat sich verändert. Das Paulusviertel ist traditionell nicht sehr eng mit dem HFC verbunden, doch nach dem Anschlag kamen viele Fans hierher. Mary Scholz vom Fanprojekt glaubt, dass das Attentat die Hallenser zusammengebracht hat: „Die Menschen haben mitbekommen, dass die blöden Klischees über die Fans vom HFC einfach nicht stimmen. Weil sie sich begegnet sind.“