Rechtsextremismus hat sich im deutschen Fußball eingenistet. In einer öffentlichen Anhörung des Sportausschusses im Bundestag erklärten Experten, was Fans und Vereine tun können.
Im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus unweit des Reichstags wird normalerweise über Sparpakete und Versicherungsreformen debattiert, doch kürzlich stand dort der Fußball im Fokus. Genauer: Die Gefahren von Rechtsextremismus für den Fußball. In der öffentlichen Anhörung des Sportausschusses wurde schnell deutlich: Wir, die Gesellschaft und der Fußball, haben ein Problem.
Aber fest steht auch, und das ist die gute Nachricht, dass sozialpädagogische Fanarbeit dazu beitragen kann, rechtsextremistische Tendenzen im Fußball einzudämmen. Das war der einhellige Tenor der Runde, die aus Sachverständigen des DFB, staatlichen Behörden und Vertretern von Fanprojekten bestand.
Zunächst ging es jedoch um etwas anderes: Als Ausgangspunkt für ihr Eröffnungsstatement wählte die Vorsitzende des Sportausschusses Dagmar Freitag (SPD) die Beleidigungen gegenüber Dietmar Hopp, dem ehemaligen Mäzen und derzeitigen Hauptanteilseigner der TSG Hoffenheim, die vor der Unterbrechung der Bundesliga für mächtig Wirbel gesorgt hatten. Sie leitete die Anhörung und stellte klar, dass aus diesem gegebenen Anlass eine „Erweiterung des Themas“ erfolgen würde.
Nicht wenige Beobachterinnen und Beobachter hatten im Vorfeld spekuliert, dass dieser Sachverhalt in der Anhörung eine größere Rolle spielen würde. Einige Statements von Fußballfunktionären hatten schließlich nahegelegt, dass rechtsextremistische und rassistische Angriffe wie zuletzt in Hanau in einer direkten Argumentationslinie zu den Beleidigungen gegen den Milliardär stünden.
Klar ist: Rassismus und Rechtsextremismus in der Gesellschaft sind zuletzt präsenter geworden, das gilt natürlich auch für die Stadien. Das zeigt sich auch am Beispiel des Chemnitzer FC, dessen Fanszene bis heute von Neonazis dominiert wird. Thomas Sobotzik, früherer Geschäftsführer des Vereins, hatte seine Teilnahme an der Anhörung kurzfristig abgesagt und konnte daher nicht berichten.
„Der DFB muss sich die Frage gefallen lassen, ob immer alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um Rassismus entgegenzutreten und Betroffene zu schützen.“
Zum eigentlichen Thema waren mit Sebastian Schmidt und Claudia Krobitzsch zwei Angestellte des DFB geladen. Schmidt arbeitet als Referent für den Bereich „Gesellschaftliche Verantwortung“, Krobitzsch ist Diversity-Managerin. Für den DFB, das machte Schmidt klar, sei der Kampf gegen den Rechtsextremismus vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte von großer Bedeutung. Aber: „Der DFB muss sich die Frage gefallen lassen, ob immer alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um Rassismus entgegenzutreten und Betroffene zu schützen.“ Für ihn seien Fans dabei eine „bedeutende Ressource“, die dazu beitrügen, „unsere plurale Gesellschaft zu verteidigen“.
Auch staatliche Institutionen waren bei der Anhörung geladen, um den Sachstand aus ihrer Perspektive darzulegen. Für die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) war Torsten Juds als Sachverständiger vor Ort. Die ZIS registriert Fußball-Gewalttäter im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“. Juds wies auf die Schnittmenge an Personen hin, die sowohl zur Störerszene im Fußball als auch zur „rechtsmotivierten Szene“ gehören würden.
Dennoch zeigte er sich in der Bewertung der Problematik ein wenig zurückhaltender. Zwar seien gewisse Kreise aus dem rechtsorientierten Bereich auch im Fußballstadion zu finden, auf Datengrundlage der Polizei könnten rechtsextreme Tendenzen in Fußballstadien derzeit jedoch nicht als großes, bundesweites Problem nachgewiesen werden.
Als Vertreter der gemeinnützigen Organisation „Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS) sprach Robert Claus, der sich seit Jahren mit Themen wie Fankultur und Rechtsextremismus auseinandersetzt und dazu regelmäßig wissenschaftliche Texte veröffentlicht. Im Sportausschuss wies er zu Beginn seines Statements leidenschaftlich auf die nötige Differenzierung hin, weil Pauschalurteile in der Sache nicht weiterhelfen würden.
Er ging auf den Unterschied zwischen Fußball als Amateur- und Profi‑, aber auch als Zuschauersport mit zahlreichen Fans in Ultra- oder Hooligangruppen ein. „Wir dürfen den Fußball nicht isoliert betrachten“, begründete er später seinen Verweis auf die Kampfsport-Szene, in der ebenfalls teils „besorgniserregende Sachen“ passierten.
Diese Szene sei in den letzten Jahren enorm gewachsen, extrem rechte Organisationen hätten sich dort eingenistet, weil Kampfsport auch ein wirtschaftlicher Faktor geworden sei. „Ein Neonazi-Kampfsport-Event wie der ‚Kampf der Nibelungen‘, der 2013 entstanden ist, muss verboten werden“, forderte Claus. Er nannte das Beispiel des Neonazis Denis Kapustin, der als einer der einflussreichsten Akteure der rechtsextremen Kampfsportszene gilt.
In dieser Szene sei es normal, über Gewalt und Ideologie Menschen zu rekrutieren, um sie wehrhaft zu machen – so erklärte Claus die Herangehensweise der organisierten rechten Kampfsportszene. Zudem gebe es an einigen Standorten Überschneidungen dieser Szene mit örtlichen Hooliganstrukturen.
Doch was können die Fans vor Ort tun, um sich gegen solche Entwicklungen zu schützen? Hierzu waren mit Thilo Danielsmeyer vom Fanprojekt Dortmund und Marek Lange von der Fanabteilung der SG Dynamo Dresden zwei weitere Sachverständige eingeladen, die sich in der lokalen Fanarbeit engagieren und dabei auch immer wieder mit rechtsextremen Tendenzen zu tun haben.
Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) erklärte, auf welche Weise Fanprojekte im Fußball dabei helfen können, Vielfalt zu entwickeln: Als sozialer Raum biete das Stadion den vorwiegend jungen Fans die Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung, was ein Unterschied zu anderen Freizeitangeboten sei.
Danielsmeyer erklärte den Bundestagsabgeordneten die Lage in Dortmund und schilderte, dass dort Stadt und Verein alles Mögliche in der Prävention unternehmen würden. „Alle sind gemeinsam gefordert, um die negativen Seiten des Fußballs nicht aus den Augen zu verlieren“, lautete sein Fazit, bevor er die Geschichte einer Dortmunder Hooligan-Gruppierung schilderte, die wegen ihrer Nähe zu rechtsradikalen Strukturen zu Dortmunds „traurigem Ruf als Nazi-Hauptstadt Deutschlands“ beigetragen habe. Der Fußball werde heute immer noch als Bühne genutzt, konstatierte er.
Marek Lange konstatierte in seiner Funktion als Fanbeauftragter von Dynamo Dresden, dass Rechtsextremismus ein „gesellschaftliches Problem“ sei und es deswegen „gemeinschaftlicher Arbeit“ bedürfe. Gleichzeitig forderte er eine klare und konstruktive Haltung der Vereine und hob die Rolle von Ultras und aktive Fanszenen als Korrektiv innerhalb des Stadions hervor.
Er gestand aber auch ein, dass man die Rechten nie ganz aus dem Stadion bekommen würde. Eine starke Fanszene, die sich artikulieren kann, sei für ihn jedoch eine Möglichkeit, solche Entwicklungen frühzeitig zu unterbinden. Sein Kollege Danielsmeyer pflichtete ihm bei und unterstrich, dass man positive Kräfte stärken und Rechten den Raum wegnehmen müsse.
Doch gerade in den letzten Wochen kam es zu einigen rassistischen Ausfällen in deutschen Fußballstadien, die das Problem rechtsextremistischer und rassistischer Tendenzen deutlich machten. Herthas Verteidiger Jordan Torunarigha sah sich Anfang Februar beim DFB-Pokal-Achtelfinale auf Schalke rassistischen Beleidigungen ausgesetzt. Auch Leroy Kwadwo, Drittliga-Profi in Diensten der Würzburger Kickers, war etwa eine Woche später bei einem Auswärtsspiel in Münster von einem Zuschauer rassistisch beleidigt worden. Nach dem Terrorangriff in Hanau störten einige Stadionbesucher die Schweigeminute für die Opfer mit Zwischenrufen.
DFB-Managerin Claudia Krobitzsch gestand ein, dass der Drei-Stufen-Plan bei rassistischen Vorfällen in der Vergangenheit nicht immer konsequent umgesetzt worden sei. Auch die Sensibilisierung der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter sei noch nicht ausreichend, wenngleich sie Katrin Rafalski für ihr Vorgehen lobte – die Unparteiische hatte das Drittliga-Spiel zwischen Preußen Münster und den Würzburger Kickers nach dem rassistischen Vorfall gegenüber Kwadwo unterbrochen.
Die Drei-Stufen-Regelung, vorgegeben durch FIFA und UEFA, gelte für rassistische und diskriminierende Vorfälle, nicht jedoch für Beleidigungen, ergänzte sie. Damit bezog sich Krobitzsch auf die Plakate, die sich gegen Dietmar Hopp richteten – der Plan sei am vergangenen Wochenende aufgrund einer persönlichen Gewaltandrohung angewendet worden. Der Grund für die zahlreichen Spielunterbrechungen am vorletzten Spieltag sei wohl eine „Übersensibilisierung“ gewesen, die der DFB mit den Schiedsrichtern bearbeiten und aushandeln wolle.
Ihr Kollege Schmidt kündigte zudem an, dass Opfer von rassistischen Vorfällen im Fußball mit professionellen Opferschutzberatungen in Kontakt gebracht werden sollen. Die Landesverbände böten diesbezügliche Anlaufstellen.
„Mehr Repression ist kontraproduktiv“
Eine Frage der FDP-Fraktion nach einer App, um rassistische Vorfälle im Stadion und deren Urheber zu melden, erteilte Krobitzsch eine Absage. Dies sei wegen der Stehplätze nicht umsetzbar, auch Maßnahmen wie personalisierte Eintrittskarten seien nicht sinnvoll. „Der DFB setzt auf die Selbstreinigungskräfte der Kurven, mehr Repression ist kontraproduktiv.“
Die Haltung des DFB zu Zuschauerausschlüssen sei seit 2017 unverändert, diese kämen nur bei „schwerwiegenden Vorfällen“ zum Tragen, erklärte Schmidt. KOS-Vertreter Gabriel lobte zwar die Sensibilität der Verbände beim Thema Rechtsextremismus, kritisierte aber den Glaubwürdigkeitsverlust durch Kollektivstrafen und zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs.
Zudem forderte er weitere Unterstützung für die Arbeit der Fanprojekte. So würde etwa ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, die vertrauensvolle Zusammenarbeit sicherstellen. Auch finanzielle Planungssicherheit sei für die Fanprojekte von enormer Bedeutung.
Der Termin für die öffentliche Anhörung stand seit langem fest, die jüngsten Entwicklungen rund um die Causa Hopp konnten daher nicht vorhergesehen werden – dennoch war es einigermaßen wohltuend, dass weder die Sachverständigen noch die Mitglieder des Sportausschusses unnötig die Beleidigungen gegen Hoffenheims Geldgeber thematisierten.
Deutlich wurde an diesem Nachmittag jedoch vor allem, dass Ultras nicht den „Fußball zerstören wollen“, wie es in den letzten Wochen oft zu lesen war – im Gegenteil. Nach Ansicht der geladenen Experten haben sie in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass rechtsextremistische Aktionen und Gedanken im Stadion immer weniger einen Platz finden.