Oliver Bierhoff wird nicht zum ersten Mal zur Zielscheibe für das Negative rund um die Nationalmannschaft. Aber der Manager ist auch der Einzige, der überhaupt greifbar ist.
In Sotschi, zwei Tage vor dem Gruppenspiel gegen Schweden, hat Oliver Bierhoff mal wieder die Trainingsklamotten der Nationalmannschaft getragen. Es kommt immer noch gelegentlich vor, dass er am Training teilnimmt, allerdings längst nicht mehr so oft wie in seinen Anfangsjahren beim Deutschen Fußball-Bund. Bierhoff ist im Mai 50 geworden; er verfügt zwar immer noch über eine wettbewerbstaugliche Figur, aber er weiß auch, dass er mit den jungen Burschen nicht mehr mithalten und sich eigentlich nur blamieren kann. In Sotschi ist Bierhoff Torwarttrainer Andreas Köpke ein wenig zur Hand gegangen. Gegen Schweden hat er natürlich nicht gespielt, auch nicht gegen Südkorea – selbst wenn man inzwischen den Eindruck haben könnte, Bierhoff, der Manager der deutschen Nationalmannschaft, wäre ganz alleine verantwortlich gewesen für das desaströse Abschneiden der Nationalmannschaft in Russland, und nicht etwa der Bundestrainer Joachim Löw und die Spieler, die miserablen Fußball gespielt haben.
Massive Vorwürfe
Für Bierhoff ist das keine neue Erfahrung. „Ich stelle bei mir immer wieder fest, dass man häufig von der sachlichen Ebene weggeht und auf die emotionale Schiene driftet. Weil ich auf der sachlichen Ebene eine klare und manchmal auch unpopuläre Position vertrete“, hat er kurz vor der WM gesagt. Vor der WM 2010 in Südafrika. Auch damals richtete sich der Groll der Öffentlichkeit vor allem gegen ihn. Nachdem die Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung mit Joachim Löw vor dem Turnier auf Eis gelegt worden waren, hieß es, Bierhoff sei die treibende Kraft hinter den angeblich maßlosen finanziellen Forderungen des Bundestrainers gewesen.
Auch jetzt sind die Vorwürfe gegen ihn massiv: Bierhoff, der beim DFB inzwischen als Direktor Nationalmannschaften firmiert, wird für die zunehmende Durchvermarktung des Teams in Haftung genommen, für die Eventisierung, die sich in einer immer aseptischeren Stimmung bei den Länderspielen äußert. Bierhoff hat „Die Mannschaft“ als Markenclaim erfunden. Er gilt als Verantwortlicher für die Abschottung und Entfremdung von der Basis, für dämliche Hashtags (#ZSMMN) und größenwahnsinnige Werbesprüche („Best never Rest“), kurz: für eine „in Buchstaben gehauene Botschaft der Überheblichkeit“, wie die „Rheinische Post“ es zusammenfasste. „Spiegel Online“ nennt Bierhoff den „Mann fürs Portemonnaie, nicht fürs Herz“, die „FAZ“ macht ihn für ein „Gefühl der Abgehobenheit und Entfremdung“ verantwortlich.
Kommerz über Kommerz
Man könnte natürlich auch sagen: Bierhoff macht seinen Job einfach nur so, wie es von ihm verlangt und erwartet wird. Genau deshalb wurde die Position 2004 beim DFB geschaffen. Bierhoff sollte dem neuen Bundestrainer Jürgen Klinsmann explizit den Rücken für alles Sportliche freihalten. So wie die Nationalmannschaft von Klinsmann und später von dessen Nachfolger Löw sportlich neu erfunden wurde, so hat Bierhoff sie als frische Marke positioniert und dem DFB damit viel Geld eingebracht. Fußballromantiker dürfen und müssen die wachsende Vorherrschaft betriebswirtschaftlicher Prinzipien natürlich per se verabscheuen – aber ist das bei einem x‑beliebigen Bundesligisten anders, der jede Verletzungspause im Stadion zur Werbung für eine Online-Apotheke nutzt? Ja, der kommerzielle Fußball verfolgt kommerzielle Interessen.
Das heißt nicht, dass Bierhoff vor und während der WM alles richtig gemacht hat. Das wird man schon deshalb nicht behaupten können, weil die Kritik an den Werbe- und Marketingmaßnahmen im Moment so massiv ausfällt wie nie zuvor. Und es liegt nicht nur daran, dass die vermeintlich Besten in Russland de facto die Schlechtesten (zumindest in ihrer Vorrundengruppe) waren; dass die Mannschaft alles ausgestrahlt hat, nur eben nicht echten Zusammenhalt. Viel schlimmer war, dass das Publikum das Gefühl hatte: Jetzt überziehen sie total. Natürlich darf man die Nationalmannschaft vermarkten, aber die Zuschauer sollten eben nicht den Eindruck bekommen, dass die Vermarktung das Allerwichtigste ist. Genau dieses Gefühl aber hatten die Leute in diesem Sommer.