Ein Jahr lang lässt sich Hertha BSC von einem preisgekrönten Regisseur und dessen Kameras begleiten – doch am Ende landet die geplante XXL-Dokumentation im Müll. Auf Geheiß von Investor Lars Windhorst. Die Geschichte einer vogelwilden Produktion.
Zunächst, sagt Hicken, hätte er mit Herthas damaliger Vereinsführung noch gescherzt. „Ich sagte zu Preetz: Lionel Messi will Barca verlassen – ihr habt doch jetzt das Geld für einen wie ihn. Preetz hielt sich dann immer das Handy ans Ohr und tat so, als würde er direkt bei Messi anrufen.“ Doch schon in den Sommermonaten 2020 kippt die Stimmung. Windhorst überweist nicht pünktlich, weshalb, so bestätigen mehrere voneinander unabhängige Quellen, mögliche Transfers ins Stocken geraten – oder gar zu platzen drohen. Preetz will beispielsweise Weston McKennie verpflichten, der Amerikaner schaut extra in Berlin vorbei, die Gespräche mit Schalke stehen kurz vor dem Abschluss. Als der junge Mittelfeldspieler Hertha doch noch absagt, atmet Preetz einmal tief durch – vor Erleichterung. Denn da von den für den Sommer 2020 versprochenen 50 Tennor-Millionen (die Holding stockt die Anteile an der KGaA zum 01.07.2020 für insgesamt 150 Millionen Euro auf 66,6 Prozent auf) bisher nur ein kleiner Teil auf Herthas Konten eingegangen ist, hätte er den Transfer bei einer Zusage gar nicht durchziehen können. Die Absage des Spielers erspart ihm ein paar peinliche Telefonate.
„Von Anfang an“, sagt Hicken, „wurde bei Hertha dauernd darüber diskutiert: Wo bleibt die Kohle?“ Auf den Klub-Verantwortlichen, allen voran auf Sportdirektor Michael Preetz, lastet zu diesem Zeitpunkt ein hoher Druck. Die ganze Fußballwelt hält die Berliner für neureich, die Fans erwarten spektakuläre Verpflichtungen, die Boulevard-Redakteure schreiben große Namen zur Hertha, Berater verlangen unverschämte Preise. Doch in den entscheidenden Sommermonaten ist in Wirklichkeit kaum noch Geld in den Kassen. Intern macht Präsident Gegenbauer unmissverständlich klar, dass Hertha nur das Geld ausgeben kann, was auch wirklich angekommen ist. Was zum Problem für Preetz wird. Denn Tennor reißt immer wieder Fristen, mit – so heißt es aus Vereinskreisen heute – teilweise abenteuerlich klingenden Erklärungen. Preetz, Gegenbauer und Finanzchef Ingo Schiller sind laut Hicken sichtlich genervt. Auch vor der Kamera können sie das kaum oder gar nicht verbergen. Doch was genau wer über wen sagt? Darüber gibt es widersprüchliche Aussagen.
Fritzenkötter, der Windhorst-Sprecher, wird im März 2022 gegenüber der Sport-Bild behaupten, dass sich ein hochrangiges Mitglied der Hertha-Geschäftsführung in „ehrabschneidender und herablassender Weise über Herrn Windhorst als Investor“ geäußert habe. Unter anderem deshalb werde Tennor die Dokumentation nicht veröffentlichen. Regisseur Hicken sagt wiederum im Gespräch mit 11FREUNDE: „Ich weiß nicht, was der Mann meint. Niemand hat Windhorst beschimpft, im Gegenteil, für meinen Geschmack waren die Hertha-Verantwortlichen sehr respektvoll und vorsichtig. Zudem wurde er nicht mal direkt mit Namen angesprochen. Wenn es hinter den Kulissen offensichtlich Streit gegeben hatte, sagten sie zum Beispiel ganz diplomatisch: ‚Es gibt kleinere Probleme mit den Investoren, wir sind aber guter Dinge, diese bald zu lösen.‘ Anscheinend war sogar das zu viel für Herrn Windhorst.“ Doch wenn es in Wirklichkeit, wie Hicken behauptet, keine Beleidigungen gab, wieso fühlt sich Windhorst dann so sehr in seinem Stolz verletzt? Wieso lässt er seinen Sprecher einen derart drastischen Vorwurf öffentlich formulieren? „Vielleicht war es eher die Summe von Kommentaren, die kein gutes Licht auf den Investor warf. Es hieß nun mal oft und von quasi allen: Wir wundern uns, wo das Geld bleibt. Wer die Aufnahmen sah, hat sofort verstanden, dass das Verhältnis zwischen dem Verein und Tennor nicht sonderlich gut sein kann.“
Darauf angesprochen, dass der Regisseur selbst sich an keinen „ehrabschneidenden“ oder „herablassenden“ Kommentar erinnern kann, will sich Lars Windhorst gegenüber 11FREUNDE nicht äußern. Auch einen anderen Vorwurf, der direkt die Arbeit von Lee Hicken betrifft, möchte Windhorst auf Anfrage nicht weiter konkretisieren. Laut Tennor sei das Projekt nämlich auch deshalb gestoppt worden, weil es nicht den „professionellen Ansprüchen“ entsprochen habe und „ungeeignet für eine Veröffentlichung“ gewesen sei. Was genau damit gemeint ist, bleibt unklar. Auch den Produzenten selbst. Axel Kruse sagt in der Sport Bild: „Das Material ist großartig.“ Hicken sagt: „Es ist vielleicht das beste, was wir je gedreht haben. Die Bilder sind, entschuldigen Sie den Ausdruck: fucking brilliant.“ Kurz bevor Fritzenkötter im März 2022 öffentlich die Qualitäten des Regisseurs in Frage stellt, gewinnt dieser in England für die Leeds-Doku den bedeutenden Royal Television Society Award – als bester Dokumentarfilmer. „Welcome to Berlin“ hätte noch besser werden können, glaubt Hicken. Doch nach Ende der Dreharbeiten, als er aus den 800 Stunden Rohmaterial und den Archivbildern eine insgesamt vier- bis fünfstündige Dokumentation schneiden will, hört er wochenlang nichts mehr von seinen Auftraggebern aus London. Bei denen dummerweise das Material liegt.
„Die Bilder sind, entschuldigen Sie den Ausdruck: fucking brilliant.“
Zunächst glaubt Hicken, „Pulse Films“ und Tennor wollen das Projekt ohne ihn beenden. Was eigentlich keinen Sinn ergibt, schließlich hat Hicken die Dreharbeiten mit einer bestimmten Idee geplant, keiner kennt das Material so gut wie er, ein neuer Regisseur würde viele Monate für den Schnitt brauchen. Doch spätestens im Herbst – als die Serie eigentlich hätte anlaufen sollen – ist Hicken klar: Es gibt keinen neuen Regisseur. Im Gegenteil: „Welcome to Berlin“ ist gestorben. Eine Begründung, die über die öffentlichen Aussagen von Fritzenkötter hinausgeht, hat Hicken bis heute nicht bekommen. Besonders seltsam: Ein Vereinsmitarbeiter, der seinen Namen nicht öffentlich lesen will, sagt zu 11FREUNDE: „Tennor hat gegenüber Hertha in Bezug auf die Verzögerungen in der Produktion zunächst behauptet, Hicken sei seiner Arbeit nicht nachgekommen, nicht fertig geworden, habe kein Ergebnis geliefert. Eine glatte Lüge.“ Hertha selbst will sich dazu genau wie Windhorst nicht äußern. Hicken sagt, er hätte seine Arbeit sehr gerne beendet, wenn man ihn denn gelassen hätte. Doch im Sommer 2021 habe „Pulse Films“ ihn genau wie Axel Kruse komplett kaltgestellt, nicht auf seine Nachfragen reagiert, nicht auf Mails geantwortet. „Sie haben uns geghostet.“ Er würde die Dokumentation noch heute gerne fertigstellen. Und ist ob der seiner Meinung nach großartigen Bilder vor allem traurig. Eine verpasste Großchance, ein Jahr Arbeit für die Tonne. Axel Kruse dagegen ist regelrecht sauer.
„Inhaltlich rücke ich von dem, was ich gesagt habe, keinen Millimeter ab.“
Als die „Sport Bild“ ihn im März 2022 auf die geplatzte Dokumentation anspricht, bricht es aus ihm heraus: „Ich empfinde es als eine bodenlose Frechheit, über die Arbeit von Regisseur Lee Hicken so zu reden, der nachgewiesen hat, was er drauf hat.“ Als Lars Windhorst selbst wenige Tage später live bei „BILD TV“, ausgerechnet nach dem ersten Hertha-Sieg seit Monaten, gegen Werner Gegenbauer wettert und unverblümt einen Putschversuch auf der Mitgliederversammlung im Mai ankündigt, platzt Kruse endgültig die Hutschnur: „Doof isser also auch noch“, sagt er in einem RBB-Podcast über den Investor. „Unsere Leute freuen sich alle, endlich mal ein Spiel gewonnen zu haben und ein bisschen Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Und dann setzt sich diese Pfeife da hin, zieht vom Leder und macht alles wieder kaputt.“ Gegenüber 11FREUNDE will sich Kruse weder zu den Dreharbeiten noch über Windhorst äußern. Nur eine Sache ist ihm wichtig: „Meine Wortwahl in Bezug auf den Typen war im Podcast vielleicht etwas drüber, zu explizit. Aber, und das können Sie ruhig schreiben: Inhaltlich rücke ich von dem, was ich gesagt habe, keinen Millimeter ab.“
Hicken selbst sagt: „Ich kann über Windhorst oder Tennor nicht urteilen, weil ich die Leute nie persönlich kennengelernt habe. Was ich aber sagen kann: Hertha drücke ich bis heute die Daumen, Arne Friedrich würde ich als Freund bezeichnen, ich schaue mir die Spiele an, ich verfolge sogar, was die Ex-Spieler machen. Wenn Cunha bei Atletico eingewechselt wird, schalte ich sofort den Fernseher ein. Hertha und alles, was mit der Vereinsseite zu tun hat, ist mir und allen von uns ans Herz gewachsen.“ Aktuell stellt er eine Doku über die Glasgow Rangers fertig, über den sensationellen Europapokalsieg 1972. Ob es mit den Schotten ähnliche Probleme gegeben habe wie mit der Tennor Holding in Berlin? „Quatsch“, sagt Hicken. „So etwas habe ich weder davor noch danach auch nur ansatzweise erlebt.“
In der neuen 11FREUNDE-Ausgabe haben wir uns intensiv mit den aktuellen Geschehnissen rund um Hertha BSC befasst. Die Reportage findet ihr über den unten stehenden Link.
Über Hertha BSC amüsiert sich gerade die Republik. So große Pläne, so viel frisches Geld! Und trotzdem kämpft die Hertha gegen den Abstieg. Innenansichten eines Klubs zwischen Aufbruch und Panik.
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