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11FREUNDE wird 20!

Kommt mit uns auf eine wilde Fahrt durch 20 Jahre Fuß­ball­kultur: Am 23. März erschien​„DAS GROSSE 11FREUNDE BUCH“ mit den besten Geschichten, den ein­drucks­vollsten Bil­dern und skur­rilsten Anek­doten aus zwei Jahr­zehnten 11FREUNDE. In unserem Jubi­lä­ums­band erwarten euch eine opu­lente Werk­schau mit unzäh­ligen unver­öf­fent­lichten Fotos, humor­vollen Essays, Inter­views und Back­s­­tages-Sto­­ries aus der Redak­tion. Beson­deres Leckerli für unsere Dau­er­kar­ten­in­haber: Wenn ihr das Buch bei uns im 11FREUNDE SHOP bestellt, gibt’s ein 11FREUNDE Notiz­buch oben­drauf. Hier könnt ihr das Buch be­stellen.

Außerdem prä­sen­tieren wir euch an dieser Stelle in den kom­menden Wochen wei­tere spek­ta­ku­läre Repor­tagen, Inter­views und Bil­der­se­rien. Heute: Unter­wegs im öffent­li­chen Nah­ver­kehr an einem Spieltag.

11 Freunde Das große 11 Freunde Buch Kopie

Sa | 10:30 Uhr | S 28 von Neuss nach Mett­mann
Da hat die DFL vor der Saison extra noch lan­ciert, dass immer mehr Frauen ins Sta­dion kämen, mehr als 23 Pro­zent der Zuschauer seien nun­mehr weib­lich. Wie aber reisen diese Frauen an? Offenbar nicht mit Schie­nen­fahr­zeugen. Der Nah­ver­kehr bleibt die Domäne des männ­li­chen Sta­di­on­be­su­chers. In Düs­sel­dorf sitzen vier Männer um halb elf in einer Zubrin­ger­bahn, tragen rot-weiße Schals am Hand­ge­lenk. Die Umgangs­formen sind, ähem, unge­ho­belt. Beim Halt in Düs­sel­dorf-Bilk emp­fehlen sie einem von ihnen, die fette Oma auf dem Bahn­steig“ zu einem Lie­besakt ein­zu­laden. Der neu­trale Fahr­gast denkt: So laut spre­chen doch sonst nur Müll­männer und Schwer­hö­rige mit­ein­ander. Das Quar­tett kreuzt die Bier­fla­schen, um 13 Uhr spielt For­tuna gegen Pader­born. Wir fahren weiter nach Dort­mund, wo der FC Köln antritt.

Sa | 11:00 Uhr | RE 6 nach Minden
Beim ersten Halt in Duis­burg steigen viele Dort­munder zu und ver­ein­zelte Kölner. Ein FC-Fan son­diert zunächst die Stim­mungs­lage, holt erst dann seinen Schal unter der Jacke hervor. Zum Früh­stück ver­schlingt er die übliche Haupt­bahn­hofs­ver­pfle­gung dieser Tage: einen Sesam­b­agel mit Toma­ten­schnitz und Salat­blatt. Die Bäcke­rei­ketten mit ihrem for­ma­tierten Gebäck sind der offi­zi­elle Lie­fe­rant der deut­schen Fuß­ball­fans. Nur die Bord­ge­tränke werden woan­ders gekauft. Zu ihrem 5‑Liter-Party-Fass führen fünf Dort­munder eigens Plas­tik­be­cher mit, bei­läufig regis­triert von anderen Mit­fah­rern. Fans und Nicht-Fans schweben an einem Spieltag in Par­al­lel­uni­versen, die ein­ander nicht berühren. Wo sie auf­ein­an­der­treffen, wirkt es manchmal so, als hätte man zwei Bilder über­ein­an­der­ge­legt.

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Julian Röder, Ost­kreuz

Sa | 12:30 Uhr | Der nächste RE 6
Gedrängel beim Ein­stieg am Essener Bahnhof, eine Bier­fla­sche zer­schellt am Boden. Drinnen wird es jetzt schon ziem­lich eng: Die Dort­munder Dau­er­kar­ten­frak­tion steht überall, vor allem im Tür­be­reich. Wer aus­steigen will, muss einen schwarz-gelben Irr­garten durch­queren. Sonja Schulz, eine zier­liche Mit­rei­sende mit drei Kof­fern und null Spiel­plänen, fragt besorgt: Wann steigt ihr wieder aus?“ Sie ist gerade am Düs­sel­dorfer Flug­hafen gelandet, unver­hofft in das Gedränge geraten. Der moderne Schlach­ten­bummler steht gelassen im Gang, hält sich an der Gepäck­auf­be­wah­rung fest und lauscht dem mono­tonen Geräusch über den Boden rol­lender Bier­fla­schen. Wenn gespro­chen wird, dann über die rich­tige Trink­tem­pe­ratur. Wo getrunken wird, fallen Grenzen, wird gerülpst. Das lau­teste je auf Ton­band auf­ge­zeich­nete Bäu­er­chen liegt bei 118,1 Dezibel. Zwi­schen Bochum und Dort­mund gehen einige Fans auf Welt­re­kord­jagd, aller­dings ist gerade kein Ton­band griff­be­reit. Gesungen wird erst später.

Sa | 12:55 Uhr | Dort­mund Hbf | Bahn­steig 8
Die Fans ver­lassen die Bahn durch die Mund­lö­cher, wie man das in der Berg­manns­sprache nennt. Sie werden regel­recht aus­ge­spuckt. Die Masse bewegt sich jetzt sehr gezielt auf die Treppe zu. Es dauert keine drei Minuten, bis sich eine kom­plette Bahn­la­dung in die Bahn­hofs­halle ergossen hat. Hege­mo­ni­al­an­sprüche werden ab diesem Zeit­punkt weniger zag­haft for­mu­liert. Die Dort­munder rufen beim Trep­pen­hin­ab­steigen: Die Nummer eins im Pott sind wir.“ Wenn eine Bahn in dieser ent­schei­denden Phase nur zehn Minuten hinter dem Fahr­plan liegt, ist das eine logis­ti­sche Meis­ter­leis­tung. Beschwerden gebe es zwar nach jedem Spiel, erzählt Bernd Win­kel­mann, Pres­se­spre­cher des lokalen Unter­neh­mens DSW21. Die Fans können die Dimen­sion aber gar nicht abschätzen“, sagt er, wir bewegen an jedem Spieltag eine Klein­stadt.“

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Julian Röder, Ost­kreuz

Sa | 13:10 Uhr | RB 59 nach Soest
Die zehn Mit­glieder der Graf­schaft Schwarz-Gelb“ steigen zu, blau­blütig ist keiner von ihnen. Wo man singt, da lass dich nieder, böse Men­schen kennen keine Lieder, mag die Groß­mutter gedacht haben, die mit ihrer Enkelin unter­wegs ist. Erste Zweifel beschlei­chen sie, als das angeb­liche Gra­fen­ge­schlecht die Bord­toi­lette bei offener Tür benutzt, immer zwei Mann gleich­zeitig. Was nach dem gemein­schaft­li­chen Uri­nieren folgt, ist eine Son­der­aus­gabe der volks­tüm­li­chen Hit­pa­rade, aller­dings ohne Flo­rian Sil­ber­eisen und ohne 1. FC Köln. Der belieb­teste Schlager: Wir füllen unser Schwimmbad mit dem Blut von S 04 / Und singen: Ihr seid ein großer Haufen Scheiße / Tod und Hass dem S 04!“ Die in Ehren ergraute Dame, die sich anfäng­lich wie ein Schutz­wall zwi­schen Sän­ger­kreis und Schutz­be­foh­lene gestellt hatte, greift end­gültig zur Not­bremse, aller­dings nur zur ver­balen. Sie sagt zu ihrer Enkelin: Schnell, halt dir die Ohren zu!“ Die Bun­des­po­lizei macht Ernst, hält einen jugend­li­chen Trinker fest. Der ent­schul­digt sich unüber­hörbar, dass er und seine Kum­pels den Spieltag halt um sechs Uhr mor­gens begonnen hätten, begleitet von der neuen Bal­ler­mann-Hymne. Das ange­sagte Genre heißt: Atzen­musik. Wäh­rend der Schutz­mann seine Per­so­na­lien über­prüft, rezi­tiert der Delin­quent stand­haft: Hey, das geht ab / Wir feiern die ganze Nacht“.

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Julian Röder, Ost­kreuz

Sa | 13:55 Uhr | RB 59 | zurück nach Dort­mund Hbf
In diese Rich­tung fährt um diese Uhr­zeit keiner mehr, alle Fahr­gäste sind am Dort­munder Sta­dion aus­ge­stiegen. Nur ein paar Fla­schen­sammler laufen durch die Bahn, befüllen ihre rie­sigen Plas­tik­ta­schen. Sie stürmen die leeren Bahn­ab­teile, balgen um jedes ein­zelne Glas­gefäß. 40 Euro, sagt einer, ver­diene er pro Heim­spiel. Die Sammler zer­stören herr­liche Skulp­turen aus Fla­schen­glas und Weiß­blech. Die Miniatur-Müll­eimer am Platz haben längst kapi­tu­liert. Der Geruch von schalem Bier macht sich breit, der Bahn­boden klebt nach­haltig. Eine Über­ra­schung, dass die Ober­lichter unver­sehrt sind: Bis vor ein paar Monaten gab es in Dort­mund den Brauch, auf Zuruf kol­lektiv die Lampen zu zer­stören. Hin­terher riefen die Fans immer: Dun­kel­kammer, Dun­kel­kammer“.

Sa | 14:15 Uhr | Zugang zur U 45
109 Fahr­zeuge und 120 ÖPNV-Mit­ar­beiter sind heute im Ein­satz. Es hat in den letzten Jahren nur einen Super-GAU gegeben. Kurz nach der Win­ter­pause war die Ober­lei­tung gerissen, unmit­telbar vor dem Sta­dion. 20 000 Men­schen standen in der Kälte. Pres­se­spre­cher Win­kel­mann erin­nert sich: Wir haben 45 Minuten gebraucht, um das zu fli­cken.“ Das interne Ziel lautet, die Fans pünkt­lich zur Sport­schau nach Hause zu beför­dern. Um 20 Uhr rollt im Ide­al­fall die letzte Ein­satz­bahn: zurück in die Werk­statt. Wer es auf die harte Tour mag, nimmt in Dort­mund die U‑Bahn. Schon der lange Marsch durch den Tunnel mit seinen orangen und blauen Kacheln ist ein gepflas­terter Fahr­stuhl zum Scha­fott. Seit­lich hängen Wer­be­pla­kate für die Sport­schau, die Grünen und die Zau­ber­flöte, am Aus­gang Innen­stadt-Nord“ drän­geln die Men­schen, als würde wieder Begrü­ßungs­geld aus­ge­geben. Nur jeweils eine Person kommt hier auf einmal durch das Nadelöhr. Den Ein­gang zur Unter­welt bewacht nicht Ker­beros, son­dern ein groß gewach­sener Mann mit einem Headset. Er hat an diesem Spieltag schon sehr viele Kinder über die Sperre gehoben, sein blaues Hemd ist kom­plett durch­ge­schwitzt. Der Geruch von Schweiß lässt sich nun nicht mehr igno­rieren. Wer sich mit beherztem Ell­bo­gen­ein­satz bis hierhin durch­ge­schlagen hat, dünstet zwangs­läufig nichts Gutes aus. Eine junge Frau ver­zieht das Gesicht, als sie den Men­schen­auf­lauf erblickt. Man möchte ihr zurufen: Gnä­digste, es ist wirk­lich keine gute Idee, jetzt eine Yucca-Palme trans­por­tieren zu wollen.

Sa | 14:50 Uhr | U 45 Rich­tung Sta­dion“
Die U‑Bahn ist auf dem Weg, keiner kann mehr umfallen. Warum sich trotzdem einige fest­halten, ist rät­sel­haft. Unmög­lich, mehr Men­schen in diesen Stahl­käfig zu zwängen. Die Betriebs­tem­pe­ratur steigt von Minute zu Minute, das Fräu­lein vom Band ver­hallt unge­hört. Atzen­musik trifft Ach­sel­höhle. Die kör­per­liche Extrem­si­tua­tion führt dazu, dass die Ein­wohner der Stadt Köln auf ihre Qua­li­täten in der gleich­ge­schlecht­li­chen Liebe redu­ziert werden. Schwuuuler, schwuuuler, FC Köln.“ Die Gäste ant­worten kei­nes­falls ähn­lich banal oder gar fäkal, son­dern rufen geis­tes­ge­gen­wärtig CSD, CSD“. Dabei wird das Mate­rial einer Belas­tungs­probe unter­zogen, ein stumpfes Stak­kato begleitet die Schlacht­rufe: unzäh­lige Fäuste häm­mern mit voller Kraft gegen die Bahn­ver­klei­dung. Wer aus­steigt und über­lebt hat, kann sich sofort für die Sauna-WM in Finn­land anmelden.

Sa | 17:25 Uhr | Hal­te­stelle Sta­dion“
Dort­mund hat 1:0 gewonnen. Es ist nicht zu über­hören, dass die Mann­schaft gerade die Welle mit der Süd­tri­büne prak­ti­ziert. Etwa 24.454 von 78 200 Zuschauern sind also noch im Sta­dion. Wer schon draußen ist, spricht mit DSW21-Mit­ar­bei­tern, die kopierte Zettel in Klar­sicht­hüllen mit sich her­um­tragen. Was den Profis ihr Ent­mü­dungs­be­cken“ ist, ist für die Fans der Ent­las­tungszug“. Gewartet wird mit der­selben Gelas­sen­heit, mit der schon die Schwitzkur hinzu bewäl­tigt wurde. Tri­kot­träger sitzen auf Bier­kästen, auf der Mauer und auf dem Boden. Um viertel vor sechs muss ein Mann mit schwarzer Kappe, oranger Warn­weste und Hand­schuhen die Kund­schaft sanft in die Bahn schieben, wie man das eigent­lich nur aus Tokio kennt. Die externe Hil­fe­stel­lung ist erfolg­reich: Die Tür schließt sich end­lich, im vierten Ver­such.

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Julian Röder, Ost­kreuz

Sa | 18:45 Uhr | RE 6 nach Düs­sel­dorf
Nach dem Spiel läuft alles etwas kom­pri­mierter ab. Das Zeit­fenster für den Trans­port nach Hause ist kleiner. Der Son­derzug nach Köln steht bereits am äußersten Gleis bereit. Fahr­gäste mit Nar­ren­kappen und Son­nen­brillen starren auf eine leib­haf­tige Nonne, die direkt gegen­über wartet. Kar­neval in Dort­mund, aber wieder kein Kon­takt zwi­schen den beiden Kör­per­welten. Einige Kölner sind erst etwas spät zuge­stiegen, durch das geöff­nete Zug­fenster. Die letzten vier Pas­sa­giere, die den West­falen-Express betreten, tragen eine Uni­form, gehören zur Bun­des­po­lizei. Trotzdem steigen die Inderin und die Türkin, die in Essen bzw. Mülheim/​Ruhr warten, nicht zu. Eine Mitt­vier­zi­gerin steht mitten im erschöpften Mob und schreibt eine SMS an Schnuffi“. Ihre Bot­schaft lautet: Sitzen in mega vollem RE, sind aber pünkt­lich.“ Über das Spiel spricht kaum jemand, Schlacht­rufe werden jetzt eher als solis­ti­sches Mantra vor­ge­tragen. Die Euphorie, die vorher herrschte: ver­flogen. Es schlägt die Stunde der Schläfer. Einer von ihnen sitzt neben einer jungen Mutter, die eigent­lich auf eine ruhige Bahn­fahrt mit ihrem Sohn gehofft hatte. Der Zei­chen­block und die Bunt­stifte liegen jedoch unbe­rührt auf dem kleinen Tisch. In der Folge ist zu beob­achten, wie sich der Kopf des müden Krie­gers immer weiter neigt. In Duis­burg beträgt der Nei­gungs­winkel noch erträg­liche 30 Grad, am Düs­sel­dorfer Flug­hafen sind es schon bedroh­liche 45 geworden und am Haupt­bahnhof kommt es zur ersten Berüh­rung. Der Mutter bleibt nichts anderes übrig: Sie muss sich kunst­fertig unter dem unbe­kannten Sitz­nach­barn her­aus­winden.

So | 12:15 Uhr | RE 6 nach Minden
Einen Tag später: Mön­chen­glad­bach spielt nach­mit­tags in Bochum, in Duis­burg steigt die erste Truppe ein. T‑Shirts künden vom Nie­der­rhein­in­ferno“. Wenn man die Träger genauer mus­tert, wun­dert man sich, dass da nicht Hoch­schule Nie­der­rhein“ steht. Eigent­lich sind sie harm­lose Mit­rei­sende, zeigen sich aber text­si­cher, wenn es um Landser-Lyrik aus der Hoo­ligan-Mund­orgel geht. Ein paar mar­tia­li­sche Gesänge rei­chen aus, um den iro­nie­freien Schaffner zu ver­schre­cken. Er hat gerade noch oben im Gang kon­trol­liert, jetzt schlän­gelt er sich durch die Jungs durch, als wäre er eine Mischung aus Ingemar Sten­mark und Otto Simánek. Das ganze Nie­der­rhein­in­ferno lacht. Er hat sich regel­recht ange­schli­chen, tief ein­ge­atmet und erst wieder aus­ge­atmet, als er vorbei war. Für Kar­ten­kon­trol­leure war die flä­chen­de­ckende Ein­füh­rung des Kombi-Tickets ein Got­tes­ge­schenk. Seit den neun­ziger Jahren gilt die Ein­tritts­karte als Fahr­schein. Die Folge: Fans werden gene­rell nicht mehr kon­trol­liert.

So | 13:30 Uhr | U‑Bahn-Gleis Bochum Hbf
Peter Tobies arbeitet seit einem halben Jahr bei Heim­spielen des VfL Bochum: in oranger Warn­weste. Wenn die U‑Bahnen von den Sta­di­on­tou­risten bevöl­kert werden, ist er jeder­zeit als wan­delnder Fahr­plan ver­fügbar, posi­tio­niert sich neben der ersten Tür. Mein erster Ein­druck war, dass Fuß­ball­fans sehr für­sorg­lich sind“, sagt er. Er hat schon häu­figer beob­achtet, dass geholfen wurde, wenn andere Pas­sa­giere mit Roll­stuhl oder Rol­lator unter­wegs waren. Was er zwei Stunden vor dem Spiel erlebt, ist die Ouver­türe“, wie er sagt. Nur wenn es sein muss, tritt er kurz an die U 306 heran und sagt mit ruhiger Stimme: Noch ein Stück­chen rein­gehen, bitte!“ Beschwerden von anderen Fahr­gästen erreichten das Unter­nehmen kaum noch, sagt Bogestra-Pres­se­spre­cher Chris­toph Koll­mann. Wer sich in Bochum an dem dezenten Aus­nah­me­zu­stand stört, hat längst den Bun­des­liga-Spiel­plan zu Hause hängen und weicht auf andere Stre­cken aus.

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Julian Röder, Ost­kreuz

So | 13:50 Uhr | U 318 nach Gerthe
Nur zwei Sta­tionen sind es in Bochum vom Bahnhof zum Sta­dion. Bogestra-Fahrer Chris­toph Zim­mer­mann kommt gerade zum ersten Mal dort vorbei. Er wird die Strecke heute dreimal hoch und runter fahren. 15 Minuten später ist er an seiner End­hal­te­stelle ange­kommen und wendet wieder. Er erwartet einen ruhigen Nach­mittag, nur wenn er in Gel­sen­kir­chen fahre, käme auch mal die Grüne Minna“. Die Bogestra ver­sorgt Bochum- und Schalke-Fans, hat in jeder Saison 34 Heim­spiele. Wie ver­hält er sich beim Kom­mando Wir wollen wippen, wippen, wippen“, dem Alb­traum jedes Tram­fah­rers? Zim­mer­mann sagt: Jedes Fahr­zeug hat seine Grenzen. Irgend­wann setzen die Federn auf.“ Die Dienst­an­wei­sung lautet: Wenn die Fans unter­wegs anfangen, sich gym­nas­tisch zu betä­tigen, wird die Bahn lang­samer. Wenn die Boden­haf­tung ernst­haft bedroht ist, kün­digt der Fahrer an, an der nächsten Hal­te­stelle stehen zu bleiben. Heute ist das nicht not­wendig. Bei 27 Grad Cel­sius machen viele einen Spa­zier­gang zum Sta­dion. Die vier Männer, die erst um 15:15 Uhr anreisen, es ist Zim­mer­manns zweite Fahrt, ver­breiten beson­ders gute Laune. Einer stellt ver­wun­dert fest: Ohne Gedränge bin ich noch nie zum Fuß­ball gefahren.“

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Julian Röder, Ost­kreuz

So | 17:00 Uhr | Sta­dion Bochum
Wäh­rend des Spiels stehen sieben Fahrer der Bogestra irgendwo stadt­aus­wärts auf einem toten Gleis, zwi­schen den Hal­te­stellen Nordbad“ und Hein­rich­straße“. Als über Funk das 3:3 für den VfL über­mit­telt wird, bricht kurz­zeitig Jubel aus, sie klat­schen sich ab. Für die Stim­mung in der Bahn ist der Treffer von Sta­nislav Sestak bestimmt nicht schlecht. Kurz vor Spie­lende warten elf Stra­ßen­bahnen hin­ter­ein­ander auf der Cas­troper Straße, ein halber Kilo­meter Stra­ßen­bahn. Und das sind nur die Son­der­züge. Wie nah die ört­li­chen Ver­kehrs­be­triebe den Fuß­ball­fans längst schon sind, sieht man daran, dass die spe­zi­elle Tak­tung intern als Cho­reo­grafie“ bezeichnet wird. Als Chris­toph Zim­mer­mann mit seiner Bahn vor dem Sta­dion ein­fährt, sieht es für ihn aus, als wäre gerade der Start­schuss zum Jeder­manns­lauf gefallen. Die Zuschauer hasten auf die Bahn zu, als wäre es die letzte.

So | 17:55 Uhr | RE 6 nach Koblenz
Der Regional-Express, der viele Mön­chen­glad­ba­cher über Duis­burg oder Düs­sel­dorf in die Heimat zurück­bringt, fährt am Bochumer Bahnhof mit einem lauten Hupen ein. In der nächsten Stunde schweigt die Bahn. Das Spiel hat den Fans alles abver­langt: 1. Halb­zeit: 0:3. 2. Halb­zeit: 3:0. Des­halb lau­schen alle einem streit­baren His­to­riker vom Nie­der­rhein. Er hat eine Dis­kus­sion mit einigen Bochu­mern vom Zaun gebro­chen. Seine These, warum Glad­bach das Spiel noch her­schenkte, fußt im Wesent­li­chen darauf, dass die Scheiß­bayern 1972 das Olym­pia­sta­dion geschenkt bekommen haben“. Dis­ku­tabel. Irgend­wann stellen der Glad­ba­cher und die Bochumer jedoch fest, dass sie aus dem­selben Dorf am Nie­der­rhein stammen. Die Dis­kus­sion kommt zum Erliegen. In Duis­burg steigen sie aus und treten gemeinsam den Heimweg an.