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Es ist nass­kalt oder brü­tend warm. Der Platz ist aus Asche oder ein Tep­pich aus fein getrimmtem eng­li­schen Rasen. Sieben Rentner meckern am Spiel­feld­rand über den Fehl­pass oder 50000 Zuschauern stöhnen bei einer ver­ge­benen Groß­chance laut auf. Egal ob Kreis­liga, Zweit­liga-Abstiegs­kampf oder Cham­pions League-Spiel. Die Situa­tion ist die gleiche. Gerade läuft die 70. Minute und der Gegner führt. Eigent­lich hatte man sich etwas aus­ge­rechnet, eigent­lich war die Taktik des Star­trai­ners genial, eigent­lich konnte nichts schief gehen. Geht es aber doch. Wäh­rend den einen der gemein­same Knei­pen­be­such am Vor­abend noch buch­stäb­lich in den Kno­chen hängt, werden die anderen gerade von einem 21-jäh­rigen bra­si­lia­ni­schen Außen­stürmer mit in den Voll­wasch­gang genommen. Was alle Fälle eint? Irgendwie geht heute nicht viel, die Köpfe hängen schon seit einigen Minuten, die Mann­schaft wirkt blut­leer.

Ein unter­schätzter Rekord

In dieser scheinbar aus­sicht­losen Situa­tion braucht es jemanden, der der Mann­schaft wieder Leben ein­impft, der ihr eine Blut­auf­fri­schung ver­ab­reicht. Es braucht jemanden wie Klaus Gja­sula. Er würde beim Außen­stürmer vor­stellig werden. Ihm einmal am großen Zeh erwi­schen. Was nicht übel aus­sieht, aber übel weh tut. Der Schiri würde Gja­sula münd­lich ver­warnen. Zum letzten Mal. Kurz danach würde er den Bra­si­lianer nochmal treffen. Diesmal sieht Gja­sula zwar Gelb, seine Mit­spieler sind aber plötz­lich wach und heiß. Der bra­si­lia­ni­sche Wun­der­stürmer hat dagegen keinen Bock mehr. Und zack, das Spiel beginnt sich zu drehen.

Am Wochen­ende sind in der Bun­des­liga wirk­liche (Flo­rian Wirtz, jüngster Tor­schütze aller Zeiten) und ver­meint­liche (Thomas Müller hat den Vor­la­gen­re­kord noch nicht gebro­chen) Rekorde auf­ge­stellt worden. Eine wei­tere Best­marke hat Klaus Gja­sula ein­ge­stellt. Sie klingt im ersten Moment eher negativ: Gja­sula hat in nur 26 Ein­sätzen bereits 16 gelbe Karten kas­siert. Das ist viel, sogar sehr viel. Viel­leicht war nicht jede Karte gerecht, viel­leicht war die ein oder andere Karte unnötig, viel­leicht ist Gja­sula auch mal etwas über das Ziel hin­aus­ge­schossen und hätte eigent­lich rot sehen müssen. Sein Team, den Abstiegs­kan­di­daten SC Pader­born, hat er in diesen 26 Spielen jedoch immer mit­ge­rissen. Er hat die Wege gemacht, wäh­rend andere nur hin­terher getrabt sind. Er hat seine Mit­spieler ange­schnauzt, als diese sie sich in ihr Schicksal ergeben wollten. Er hat sich bei Rudel­bil­dungen nicht zurück­ge­halten und even­tuell auch mal den Schieds­richter nach dessen Optiker gefragt. Er war mit­ten­drin statt nur dabei.

Ottmar Hitz­feld prägte den Begriff

Ottmar Hitz­feld hat Mitte der 2000er Jahre für diesen Typus Spieler einen Begriff geprägt, der sich auch heute noch hält. Über Mark van Bom­mels Ver­halten auf dem Platz sagte Hitz­feld einst: Mark van Bommel ist ein Aggressiv-Leader, der die Mann­schaft anführt, der sich auch mal zu Wort meldet und mit seiner Gestik zeigt, dass er lebt.“ An den soge­nannten Aggressiv-Leader scheiden sich seitdem die Geister. Solange sie im eigenen Team spielen, feiert man jedes dre­ckige Foul, jede obs­zöne Geste, jedes Lamen­tieren gegen­über dem Schieds­richter. Streifen sie aller­dings die Farben des Geg­ners über, wird aus dem bewun­derten Aggressiv-Leader schnell ein unsport­li­cher Treter.

Dabei gehört genau diese Art des Spiels zu ihren natür­li­chen Wesens­zügen. Ihnen kommt die Auf­gabe zu, den Gegner durch kleine Nicke­lig­keiten zu ent­nerven, ihn mürbe zu machen. Hier mal ein biss­chen in die Haken treten, dort mal ein Spruch unter der Gür­tel­linie. Es ist ähn­lich wie beim Gue­rilla-Häu­ser­kampf. Klei­nere, nadel­stich­ar­tige Angriffe und ein sinn­voller Rückzug wech­seln sich ab. Dadurch kann es gelingen, ein eigent­lich spie­le­risch über­le­genes Team auf das eigene Level run­ter­zu­ziehen. Zwi­schen sinn­voller Pro­vo­ka­tion und unsport­li­cher Unbe­herrsch­bar­keit ist es dabei aller­dings nicht weit.

Klaus Gja­sula hat diese Balance im Ver­laufe seiner bis­he­rigen Kar­riere zumeist gut hin­be­kommen. In der aktu­ellen Saison ist er trotz seiner Gelb­sucht noch nicht vom Platz geflogen. Daher ist die Ana­lyse von geg­ne­ri­schen Trai­nern wie Julian Nagels­mann nicht über­ra­schend, wonach Gja­sula kein Treter“ sei. Über andere große Ver­treter dieser ganz beson­deren Spe­zies, lassen sich solche Urteile nicht ein­deutig fällen. Für manche ver­kör­pert Roy Keane den Pro­to­typen dieser Bad Boys“. Zwar hat der Ire in seiner Kar­riere nicht über­mäßig viele rote Karten bekommen, was einer­seits auf die in der Pre­mier League här­tere Gangart im Spe­zi­ellen und des Fuß­balls der 1990er Jahre im All­ge­meinen zurück­zu­führen ist. Jedoch wan­delte der ehe­ma­lige Kapitän von Man­chester United immer am Rande der Lega­lität und maß dem Attribut Aggres­si­vität teil­weise zu viel Wich­tig­keit bei. Im April 2001 ver­letzte er Alf Inge Haa­land, den Vater von BVB-Stürmer Erling, mit voller Absicht so schwer, dass der Nor­weger nie wieder richtig auf die Beine kam.

Jedes Team braucht sein Arsch­loch

Mark van Bom­mels Erkenntnis, wonach man manchmal auch Arsch­lö­cher“ brauche, ist den­noch richtig. Klar, die Lor­beeren fahren andere ein. Eine hel­den­hafte gelbe Karte durch die der ent­schei­dende Konter des Geg­ners unter­bunden wurde, merken sich eher Fuß­ball­nerds denn das breite Publikum. Dabei hatte jedes große Team nicht nur über­ra­gende Tech­niker, die Fuß­ball zele­brierten, son­dern auch einen Aggressiv-Leader. Jemanden, der keine Kapi­täns­binde trug und sie den­noch ver­dient gehabt hätte. So wurde Zinedie Zidane der Rücken bei Frank­reich von Claude Makele oder Patrick Viera frei­ge­halten. Andrea Pirlo wusste Gen­naro Gat­tusso hinter bzw. neben sich. Auch bei Spa­nien anno 2010 spielten mit Puyol und Ramos zwei Spieler, die sich mehr über ihren Ein­satz und unbän­digen Willen als über Tiki Taka defi­nierten.

Selbst Deutsch­land hatte seinen Aggressiv-Leader beim WM-Tri­umph 2014. Auf den ersten Blick schien dem Kader solch ein Spie­lertyp zu fehlen. Jedoch kam Bas­tian Schwein­stei­gers Platz­wunde im Finale nicht von unge­fähr. Mit dieser Men­ta­lität ent­nervte er nicht nur Lionel Messi, son­dern trieb vor allem sein eigenes Team an, nicht auf­zu­geben.

Fuß­bal­le­risch kann Klaus Gja­sula sicher­lich nicht mit Größen wie Viera, Gat­tusso oder Schwein­steiger mit­halten. Und den­noch könnte man auch ihn in ein Spiel von inter­na­tio­nalem Format werfen. Ver­mut­lich würde Gja­sula nach einer Halb­zeit die Puste aus­gehen, da Tempo und Qua­lität der Gegen­spieler höher als in einem durch­schnitt­li­chen Bun­des­li­ga­spiel sind. In seiner Zeit auf dem Platz würde er aber alles geben, sich seine ver­diente gelbe Karte abholen und vor allem – was das wich­tigste ist – sein Team aus der Lethargie befreien. Einen Gja­sula kannst du in jedem Spiel bringen. Egal in wel­cher Liga.